Plötzlich ohne EinkünfteSeit der Sport stillsteht, kämpfen sie um jeden Franken
Die Corona-Krise bringt nicht nur Clubs in Not, sondern auch viele Selbständige, die ihr Geld im Umfeld der Sportveranstaltungen verdienen.
Der Ausnahmezustand beginnt für Vater und Sohn Geisser jeden Tag gleich: Die freischaffenden Sportfotografen schauen sich die Nachrichten an, lesen die Zeitungen. Dann ziehen sie los, um leere Bahnhöfe abzulichten, Hamsterkäufe zu dokumentieren, Apotheken zu fotografieren, weil in der Presse von einem Mangel an Gesichtsmasken die Schreibe war. «Wir kämpfen wie die Verrückten», sagt Manuel Geisser.
Sein Vater Anton ist 72 und seit über einem halben Jahrhundert im Geschäft. Er war in den letzten Jahren längst nicht mehr so oft auf den Sportplätzen der Schweiz wie früher. Aber es sein lassen, das kann er nicht. Er macht Bilder aus Leidenschaft, aber auch, weil er das Geld braucht. Er war nie angestellt, seine Rente beläuft sich auf mickrige 2100 Franken. Monat für Monat rechnen die Geissers ab, je nachdem, wie er verlaufen ist, kann der Sohn dem Vater einen grösseren Zustupf zur Pension geben.
Aber in diesen Tagen ist alles anders, steht der Sport, mit dem die Geissers den Grossteil ihres Lebensunterhalts bestreiten, still. «So etwas wie jetzt», sagt Manuel Geisser, «hat auch mein Vater noch nie erlebt.»
660 Franken Monatseinkommen
Die Geissers sind sich gewohnt, bescheiden zu leben, Einnahmen und Ausgaben zu optimieren. Wenn Proficlubs aus der Schweiz im Winter in die Südtürkei ins Trainingslager reisen, dann tun das die Geissers manchmal auch. Beruf mit Freizeit verbinden, es ist ihre Art der Ferien, wobei diese vorab daraus bestehen, von Morgen bis Abend im Mietauto von Trainingsplatz zu Trainingsplatz zu fahren, von Testspiel zu Testspiel. Jede Einheit, jede Partie ist eine potenzielle Einnahmequelle.
Das Essen vom Hotelbuffet, das Zusammensein am Tisch, es sind die Momente der Erholung. Und diese Tage im Januar, wenn es auch an der türkischen Riviera sehr nass und garstig sein kann, sind nicht selten die einzigen Ferien im Jahr für die Geissers.
Als freischaffende Sportfotografen über die Runden zu kommen, ist schwierig. Die Agenturen Keystone und Freshfocus decken sämtliche Partien der höchsten Ligen im Fussball und Eishockey ab. Die Geissers müssen darauf hoffen, dass es ihnen gelingt, eine Szene festzuhalten, welche die Konkurrenz nicht hat. An Spieltagen der Super League sieht man sie samstags und sonntags, sie teilen sich auf, der Vater deckt jene Partien ab, die näher bei seinem Wohnort Brugg stattfinden. In einem guten Monat bringen sie es so zu zweit auf 6000 Franken. Aber jetzt wird nicht gespielt. Und die zwei Hochzeiten, an denen sie im April zum Nebenverdienst fotografiert hätten, sind verschoben worden.
660 Franken haben die Geissers im März bisher verdient. Als der «Blick» kürzlich ein Archivbild von ihnen druckte, brachte das 200 Franken ein, für ein Bild, das nur online erscheint, gibt es 60. Sie hätten noch Rücklagen, sagt Manuel Geisser, für zwei, maximal drei Monate, «wenn wir unsere Ausgaben noch einmal minimieren».
Bundesratsentscheid gibt Hoffnung
Eine von der Swiss Football League in Auftrag gegebene Studie ergab 2014, dass die Proficlubs in der Schweiz eine Beschäftigungswirkung von 3300 Vollzeitstellen generieren und 800 Millionen Franken Umsatz auslösen. Auf diese Wertschöpfungsketten verweisen Clubvertreter in der Super League gerne, wenn es darum geht, zu erklären, warum auch sie Kurzarbeit anmelden. Die Botschaft: Überleben die Vereine die Krise nicht, trifft das nicht nur Spieler und Trainer, sondern ganz viele Leute, die im Umfeld der Clubs tätig sind.
Matthias Fisch ist auch einer dieser Statisten im Showgeschäft Fussball. Seit Jahren verkauft er, passend zum Namen, Fischgerichte an den Heimspielen des FC Winterthur. Seit der Winterpause steht beim Stadion Schützenwiese sein neuer Verkaufsstand, selbst gestrichen und eingerichtet, ein bisschen Stolz schwingt mit, als er davon am Telefon erzählt und die Bilder per Whatsapp weiterleitet.
Gebrauchen konnte er die Theke nie, sein Geschäft ist auf Eis gelegt, Winterthur spielt mindestens bis Ende April nicht, auch danach ist eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs mit Zuschauern schwer vorstellbar. Und alle anderen Anlässe wie das Sechseläuten und die Feierlichkeiten zum 1. Mai sind abgesagt. Fisch spricht von einem «K.-o.-Schlag». Seit März 1993 ist er selbständig. «Zum Jahrestag», sagt der 52-Jährige, Vater einer neunmonatigen Tochter, «kam das Coronavirus.» Er lacht. Mit seinen Worten zeichnet Fisch düstere Bilder, aber immer wieder drückt der Humor durch. Wie die Geissers verfällt auch er nicht ins Jammern, er sagt, es gebe Leute, die seien von der Corona-Krise viel stärker betroffen.
Und, immerhin: Vor einer Woche beschloss der Bundesrat ein Massnahmenpaket, das Entschädigungen bei Erwerbsausfällen auch für Selbständige vorsieht. Manuel Geisser spricht von einem Aufatmen. Es ist ein Hoffnungsschimmer im Ausnahmezustand.
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