Analyse von KampagnenSchweizer Werbespots zeigen Männer von gestern
Welterklärer, witziger Kumpel oder Chef am Grill: Männer werden in der Werbung altmodisch, aber positiver dargestellt als Frauen. Das dürfte sich bald ändern.
Ein Geschäftsmann in Anzug und Krawatte klemmt telefonierend das Handy mit der Schulter fest, während er seiner kleinen Tochter die Haare zu einem Pferdeschwanz bindet. «Denken Sie hier an eine Geschäftsführerin? Warum nicht», heisst es im Spot der Credit Suisse.
Werbungen, in denen sich Männer um Kinder kümmern, sind selten. Eine Analyse von 149 Kampagnen aus dem letzten Jahr zeigt, dass Männer und Frauen noch immer vor allem in den traditionellen Rollen dargestellt werden.
Überraschenderweise trifft es nicht nur die Frauen: Männer werden sogar häufiger klischiert dargestellt als die Frauen, heisst es in einer Analyse, die von der Initiative «Gislerprotokoll» durchgeführt wurde. Geprüft wurden Werbespots auf sechs typisch männliche Stereotype und vier typisch weibliche. Darunter: «the one funny guy», also der lustige Mann, oder die «Kümmerin», die Frau, die sich um etwas oder jemanden kümmert.
Beim «Gislerprotokoll» engagieren sich 50 Schweizer Werbeagenturen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Öffentlichkeit für die Darstellung der Geschlechter zu sensibilisieren. Denn die Werbung prägt das Bild, das wir von unserem Umfeld haben. «Wir müssen nicht die Welt verbessern. Wir möchten hingegen, dass das Bild von Männern und Frauen, das wir in Werbekampagnen transportieren, der aktuellen gesellschaftlichen Realität entspricht», sagt Nina Bieli, Mitinitiantin des «Gislerprotokolls».
«Wir sehen sehr wenige lustige Frauen – ausser vielleicht solche, die sich tollpatschig verhalten.»
Zeitgemässe Spots sind solche, in denen Männer mit umgebundenen Babys durch den Park spazieren (Postfinance), oder solche, in denen sich Männer eine Auszeit nehmen für eine bessere Work-Life-Balance (Migros). Und solche, in denen Männer die Geschenke organisieren (Manor).
Die Analyse zeigt aber: In einem Drittel der analysierten Spots sind Männer vor allem eines: lustig. «The one funny guy» – so der Name des identifizierten Stereotyps – ist die häufigste Charakterzuschreibung für Männer. Ebenfalls sehr beliebt sind Herren, die Auto fahren, grillieren oder schwitzend körperliche Arbeiten erledigen. Also Dinge tun, die als «typisch männlich» gelten.
Männer sind humorvoll, sie erklären Dinge oder fahren gekonnt Auto. «Es ist daher nachvollziehbar, dass diese Rollen oft in der Werbung gebraucht werden. Und an sich ist das kein Problem. Auffallend wird es nur dann, wenn man die schiere Menge dieser männlichen Stereotype und die Abwesenheit weiblicher Pendants in Betracht zieht», sagt Annette Häcki. Sie hat das «Gislerprotokoll» zusammen mit Nina Bieli vor einem Jahr ins Leben gerufen. Beide arbeiten als Werberinnen bei der Agentur Jung von Matt. Häcki stellt fest: «Wir sehen in der Werbung sehr wenige lustige Frauen – ausser vielleicht solche, die sich tollpatschig verhalten. Frauen erklären seltener Dinge und sind oftmals eher passiv.»
Die Zahl an klischierten Darstellungen von Frauen ist gemäss der Analyse deutlich tiefer als die der Männer (95 männliche gegenüber 53 weibliche Stereotype). Wenn Frauen klischiert dargestellt werden, dann sehr oft als «die Kümmerin» – also als eine Person, die sich um Kinder, Katzen oder verkalkte Kaffeemaschinen sorgt.
Das häufigste Stereotyp bei Frauen ist jedoch ein vergleichsweise positiv besetztes: das «cool girl». Die Frau, die Deftiges isst, Fussball spielt, flucht und auch sonst mit ihrem ungewöhnlichen Charakter gerne im Rampenlicht steht. Im Spot von Honda fährt eine Frau ein schweres Motorrad. Im Clip der Post träumt eine bogenschiessende Jusstudentin während eines Museumsbesuchs von einer Influencerkarriere.
Heisst: Frauen erhalten immer mehr Rollen, die über das «Sich-Kümmern» oder über das «stille Geniessen» hinausgehen. Aber: «Wir haben aber auch festgestellt, dass diese Rollen sehr oft überzeichnet werden», sagt Häcki.
Fazit: Die Männer werden mehrheitlich positiv dargestellt, Frauen reduziert. Zwar kommen Letztere in den Spots nicht als dumm und humorlos rüber, doch auch nicht als ausgesprochen klug, kompetent oder witzig.
Swisscom setzt auf männliche Comedystars
Hinzu kommt, dass Frauen oftmals als Teil von etwas Grösserem dargestellt werden. Als Mutter (Teil der Familie) oder als Ehefrau (Teil eines Paares), während Männer häufiger eigenständig vorkommen. Die drei kultigen Appenzeller sind witzig, ohne etwas dazu machen zu müssen. Auf einer Bank zu sitzen, reicht bereits aus. Swisscom lässt die Komiker Charles Nguela und Walter Andreas Müller deshalb für sich werben, weil sie lustig und beim Publikum sehr beliebt sind.
Das «Gislerprotokoll» hat in seiner Werbefilmanalyse auch nach weiblichen Comedystars gesucht. Fazit: In allen Spots des letzten Jahres kommt keine einzige Satirikerin vor.
Das dürfte sich bald ändern. Denn die Schweizer Werbebranche hat sich vorgenommen, hierbei vorwärtszumachen. Petra Dreyfus, Co-Chefin der Werbeagentur Wirz, ist schon lange im Geschäft. Sie stellt eine rasante Veränderung fest. «Es brauchte sehr lange, bis das nötige Bewusstsein entstand. Vor einigen Jahren hinterfragten vornehmlich Frauen das konservative Rollenbild in der Werbung. Das hat dazu geführt, dass heute vermehrt moderne Frauenbilder gezeigt werden, Männer jedoch noch immer traditionell dargestellt werden.»
Inzwischen seien es vermehrt auch die Männer, die sich damit, wie sie in Kampagnen abgebildet würden, nicht mehr identifizieren könnten. Dreyfus vermutet, dass wir in der Werbung künftig viel häufiger Männer sehen werden, die weinen, Windeln wechseln oder am Mittagstisch Kleinkinder verpflegen.
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