Strafmassnahmen gegen RussenSchweiz hat 5,75 Milliarden Vermögen von Putin-Vertrauten gesperrt
Der Bund meldet zum ersten Mal, wie viele Vermögen sanktionierter Russen gesperrt worden sind. Nun nimmt die Debatte Fahrt auf. Muss die Schweiz mehr tun?
Die Schweiz hat bei der Durchsetzung der Sanktionen bis jetzt Vermögenswerte in einem Volumen von 5,75 Milliarden Franken gesperrt. Diese Zahl nannte am Donnerstag Erwin Bollinger, Botschafter beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und Leiter des Leistungsbereichs Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen.
«Das ist eine Momentaufnahme, das Seco erhält laufend Meldungen zu Vermögenswerten», sagte Bollinger. Der Grossteil der gesperrten Vermögen umfasse Bankguthaben, es seien aber auch Kunstwerke und Liegenschaften in Tourismusorten gesperrt worden. Details, etwa wem diese Werte gehören, nennt das Seco nicht. Zurzeit unterlägen 874 Personen und 62 Firmen den Sanktionen.
Schweiz ist viel passiver als andere Länder
Die Schweiz steht als weltgrösster Finanzplatz für die grenzüberschreitende Vermögensverwaltung und als wichtiger Rohstoffhandelsplatz, über den rund 80 Prozent der russischen Rohstoffe gehandelt werden, unter internationaler Beobachtung. Während Länder wie Italien mit spektakulären Beschlagnahmungen von Jachten sanktionierter Russen Schlagzeilen machen und die USA eine Taskforce zur Jagd auf Oligarchenvermögen gegründet haben, ist es in der Schweiz in Sachen Vermögenssperren bislang recht ruhig gewesen.
Bekannt wurden nur einzelne Blockaden. So hat das bernische Grundbuchamt laut der «NZZ am Sonntag» eine Ferienwohnung von Pjotr Awen in Gstaad blockiert, dem früheren Eigentümer der Alfa-Bank. Der Kanton Genf habe ebenfalls eine Liegenschaft blockiert. Und die Bundesanwaltschaft fahndet nach Personen, die versuchen, die Sanktionen zu umgehen.
«Die Schweiz wäre gut beraten, eine eigene Taskforce ins Leben zu rufen. Andernfalls droht ein grosser Reputationsschaden.»
Anders als die G-7-Staaten sucht die Schweiz bislang aber nicht aktiv nach Vermögenswerten. Der Bund hat stattdessen eine Meldepflicht verhängt. Demnach müssen alle Personen und Institutionen, die von Vermögen sanktionierter Personen Kenntnis haben, dies dem Staatssekretariat für Wirtschaft melden. Dieses wacht über den Vollzug. Wer dagegen verstösst, muss mit einer Haftstrafe rechnen.
Laut Seco-Botschafter Bollinger habe sich die Meldepflicht «in der Praxis bewährt». Politiker und Geldwäsche-Fachleute fordern dagegen, dass die Schweiz sich ebenfalls der internationalen Taskforce anschliesst und aktiv nach Vermögenswerten sucht. So sagte SP-Co-Chefin Mattea Meyer dieser Zeitung: «Bundesanwaltschaft, Finma und die Expertinnen vom Staatssekretariat für internationale Finanzfragen müssten sich einen Überblick über die Gelder verschaffen, über die Immobilien und Kunstwerke. Und die dann beschlagnahmen.»
Die grüne Nationalrätin Regula Rytz verweist auf Lücken bei der Meldepflicht: So hätten Banken bis zum 22. Juni Zeit, Bankvermögen zu melden. «Bis dann haben die Oligarchen ihre Vermögen längst in dubiose Länder gezügelt», sagt Rytz. Daher fordert sie «dringend» die Einsetzung einer Taskforce.
Auch im bürgerlichen Lager gewinnt diese Idee an Unterstützung. «Die Schweiz wäre gut beraten, eine eigene Taskforce ins Leben zu rufen», sagt Mitte-Politiker Martin Landolt. «Andernfalls droht ein grosser Reputationsschaden, da alle anderen Länder aktiv nach Vermögenswerten sanktionierter Personen suchen und dann mit dem Finger auf die Schweiz zeigen könnten.»
Unklare Lage bei Anwälten
Der FDP-Nationalrat Beat Walti hat dagegen Zweifel: «Ich bin skeptisch, ob die Gründung einer neuen Taskforce uns jetzt noch helfen würde, Oligarchengelder aufzuspüren. Ich vermute, viele haben bereits vor Einsetzung der Sanktionen Vermögenswerte aus der Schweiz verlagert.» Aber Walti meint: «Wenn belegt werden kann, dass eine Taskforce tatsächlich die bessere Lösung dafür ist, Vermögen sanktionierter Personen aufzuspüren, dann bin ich nicht dagegen.» SVP-Nationalrat Thomas Matter hält dagegen nichts von einer Taskforce, die Meldepflicht reiche aus.
Auch wenn die Schweiz mittlerweile erste Erfolge mit der Meldepflicht verzeichnet, so bleiben doch noch Unklarheiten. Zum Beispiel bei den Anwälten. Seco-Botschafter Bollinger bekräftigte vor den Medien, dass die Meldepflicht für «alle Personen und Institutionen gilt, die Kenntnisse von Vermögenswerten haben» – also auch die Steuerämter oder eben Anwälte.
Doch der Schweizerische Anwaltsverband ist sich da nicht so sicher. Laut ihm kommt es auf die Tätigkeit an, ob die Meldepflicht greift: Würden Rechtsanwälte nur als Finanzintermediäre dienen, unterlägen sie der Meldepflicht. Bei einer anwaltschaftlichen Kerntätigkeit käme es dagegen zu einem «Normenkonflikt zwischen Embargogesetzgebung und dem Strafrecht und Berufsrecht der Anwältinnen und Anwälte», sagt René Rall, Generalsekretär des Anwaltsverbands. «Wie dieser Konflikt aufzulösen ist, kann nicht abschliessend gesagt werden.»
Es sei aber zu vermuten, dass der Gesetzgeber es wie in der EU halte, «wonach das Berufsgeheimnis der Meldepflicht vorgeht». Darauf angesprochen, blieb Seco-Vertreter Bollinger unscharf: Etwaige Konflikte von Werten «müsse man sich im Einzelfall anschauen.»
Macht Bern bei der Taskforce mit?
Schweizer Anwälte sind indes wichtige Dienstleister, um superreichen Kunden dabei zu helfen, ihr Vermögen zu strukturieren und in Briefkastengesellschaften zu verstecken. Auf diese Beratertätigkeit geht der Anwaltsverband nicht ausdrücklich ein. Insgesamt erscheint es fraglich, ob Schweizer Anwälte ihre Oligarchenkunden nun ans Staatssekretariat für Wirtschaft verpfeifen werden.
Hinter den Kulissen tut sich aber etwas. Wie in Bern zu hören ist, gibt es innerhalb der Regierung Überlegungen, ob die Schweiz nicht doch auch eine Taskforce ins Leben rufen soll. Das zuständige Aussendepartement bestätigt dies und erklärt: «Wir stehen mit den Behörden der massgebenden Länder diesbezüglich in Kontakt.»
Seco-Vertreter Bollinger betonte, dass es «eine politische Frage» sei, ob die Schweiz aktiv Vermögenswerte suchen» solle. Er verwies indes darauf, dass Gründung von Such-Taskforces durch die G7-Staaten bisher nur eine Ankündigung sei.
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