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Polemik um Italiens Partisanen
Schiefe Töne im «Bella Ciao»

Sieg gegen den Faschismus: Italienische Partisanen ziehen Ende April 1945 durch die Strassen der befreiten Stadt Mailand.
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Im italienischen Kalender ist der 25. April ein fröhlicher Tag, wenigstens für die meisten. Ein offizieller Feiertag, die Arbeit ruht. Man hört dann allenthalben «Bella Ciao», das bekannteste Lied der Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg, mehr oder weniger gut intoniert. Die Italienerinnen und Italiener begehen am nächsten Montag die Befreiung von den Nazis und den Faschisten vom 25. April 1945.

Die Hauptveranstaltungen werden von antifaschistischen Parteien, linken Gewerkschaften und von der nationalen Partisanenvereinigung organisiert. Letztere, die Associazione nazionale partigiani d’Italia, kurz Anpi, gibt dabei die gefeierte Verwalterin des Gedenkens. Sie soll dafür garantieren, dass die Werte des Widerstands und der Befreiung, der «Resistenza» und der «Liberazione», beide mit Grossbuchstaben geschrieben, nie verwelken.

Diesmal aber ist alles anders: Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine ist um die Anpi eine heftige Polemik entbrannt. Für das Dafürhalten vieler haben sich die Spitzen der Vereinigung nicht deutlich genug positioniert gegen die russischen Aggressoren und für den ukrainischen Widerstand. Der Überbegriff für die vorgeworfene Haltung lautet: «Equidistanza», Äquidistanz – das ist ein anderes Wort für Überparteilichkeit oder Neutralismus.

Die Kritiker fragen: Wie kann eine Vereinigung, die im Widerstand gegen einen «invasor» geboren ist, wie es in «Bella Ciao» heisst, jetzt nicht klar auf die Seite der ukrainischen Angegriffenen stellen, die Widerstand leisten?

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Im Fokus steht der neue Präsident der Anpi, Gianfranco Pagliarulo, der früher einmal für die Comunisti Italiani, eine kommunistische Minipartei, im italienischen Senat gesessen hatte. Gewählt haben ihn die Partisanen vor zwei Jahren, er stand für eine Premiere: Pagliarulo ist der erste Vorsitzende in der Geschichte der Vereinigung, der den Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat: Er ist 72 Jahre alt.

Der neue Präsident der Partisanenvereinigung ist ein «Putiniano». Er sah Moskau «legitim» bedroht.

2020 hielt sich niemand damit auf, Pagliarulos Einträge auf Facebook nachzulesen. 2014 und 2015 waren denkwürdig verständnisvolle Posts dabei über den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die Besetzung der Krim. Pagliarulos Sicht auf die Nato und deren Osterweiterung hätte wohl niemanden überrascht, sie wird in der extremen Linken genauso geteilt wie in der extremen Rechten. Auch kurz vor der russischen Invasion in der Ukraine beschrieb Pagliarulo die Nato-Osterweiterung als «wachsende Bedrohung» für Russland. Es sei «legitim», dass sich Moskau bedrängt fühle.

Er selber hat den Zweiten Weltkrieg nicht erlebt: Anpi-Präsident Gianfranco Pagliarulo (Mitte) bei einer antifaschistischen Demonstration der Gewerkschaften im Oktober 2021 in Rom.

Diese Argumentation zieht er seit Beginn des Kriegs weiter, mal explizit, mal eher implizit. Und da das auch Putins Argumentationslinie ist, wird Pagliarulo in den Medien und von der gemässigten Linken als «Putiniano» beschrieben, als Anhänger Putins also. Er streitet das ab, die Polemik aber legt sich nicht. Seine Anpi ist auch dagegen, dass der Westen den Ukrainern Waffen liefert, und bezieht sich dabei auf seinen Pazifismus.

Butscha – und die Forderung nach Untersuchungskommission

Besonders virulent wurde die Debatte aber, als die Anpi nach Bekanntwerden der Gräueltaten von Butscha ein Communiqué aufsetzte. Darin verurteilte sie zwar das Massaker, schickte dann aber gleich nach, es brauche nun eine unabhängige Untersuchungskommission zu Butscha, «die überprüfen muss, was da tatsächlich passiert ist, warum es passiert ist, wer die Verantwortlichen sind». Die linke Kulturzeitschrift «MicroMega» schrieb darauf, die relativierende Formulierung sei «obszön» und eine «Beschimpfung der Resistenza».

Pagliarulo wird vorgeworfen, dass er die Anpi gerade zu einer politischen Partei umfunktioniere, wo es doch ihre Aufgabe sei, das Erinnern zu pflegen und an den Schulen von den Leiden des Kriegs zu erzählen, damit auch die neuen Generationen davon erfahren.

«Donnerwetter, ja, das ist Widerstand», sagt die Partisanin Iole Mancini, 102 Jahre alt.

Die bekannteste Zeugin im Land ist Liliana Segre, 91 Jahre alt, Senatorin auf Lebenszeit. Sie hat Auschwitz überlebt. Der «Corriere della Sera» fragte sie nun, wie sie auf diesen 25. April schaue. «Wir werden ‹Bella Ciao› in diesem Jahr nicht singen können, ohne dabei an die Ukraine zu denken», sagte sie. Äquidistanz sei keine Option. «La Repubblica» sprach mit Iole Mancini, einer römischen Partisanin, 102 Jahre alt, und fragte sie, ob der ukrainische Widerstand denn vergleichbar sei mit ihrem. «Donnerwetter, ja», sagte sie, «natürlich ist das Widerstand.»

Die Anpi druckte Plakate für den 25. April. Als Slogan steht darauf ein Auszug aus Artikel 11 der italienischen Verfassung: «Italien lehnt den Krieg ab.» Dazu eine Zeichnung mit einer Piazza und Häusern drum herum. An einigen Fenstern hängen Fahnen, grün-weiss-rot gestreift – allerdings nicht vertikal wie auf der italienischen Trikolore, sondern horizontal wie auf der ungarischen. Ein dummes Versehen.