Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Premiere am Schauspielhaus Zürich
«Jugend ist eine bürgerliche Krankheit, viele sterben daran»

Steven Sowah, Lena Schwarz 

DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE
von Jean-Paul Sartre
Neuübersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel im Auftrag des Schauspielhaus Zürich
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Zürich zeigt Sartres politisches Drama «Die schmutzigen Hände» im Schauspielhaus.
  • Hugo ringt mit moralischen Dilemmata und seinem Kampf für Ideale.
  • Bosse inszeniert das Stück als farbenfrohe, komödiantische Interpretation.
  • Desillusionierung und die Suche nach Identität stehen im Zentrum der Aufführung.

Ist es ein echter Facel Vega, der da im sechsten Akt auf die Pfauenbühne gerollt wird: also jenes Auto, in dem der Existentialist Albert Camus 1960 seinen tödlichen Unfall hatte? Egal, die Aura des lebensgrossen Wagens passt jedenfalls, und sowieso «ist alles nur Theater», wie Hugo in einem besoffenen In-Vino-Veritas-Moment bekennt.

Hugo ist der fragile Patriziersohn mit Vaterkomplex in Jean-Paul Sartres Stück «Die schmutzigen Hände», der sich einer linken Revolutionsbewegung angeschlossen hat, und zwar dem radikalen Flügel. In Zürich biegt, züngelt und windet sich Steven Sowah in diese Rolle hinein, dass es eine Lust ist – überhaupt geht es in dem 130-minütigen Kassensturz des Idealismus erstaunlich komödiantisch zu (auch wenn er kürzer hätte sein dürfen): Der Berliner Regisseur Jan Bosse beleuchtet das Hartkantig-Komische dieses Dramas übers richtige Tun, gestützt auf die neue, flockig lakonische Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel.

Für den weichen Kontrapunkt wiederum ist Carol Schuler zuständig als Hugos Frau Jessica in flottem Minikleid: Sie ist keine Parteigängerin, dafür eine hinreissende Interpretin von Serge Lamas «Je suis malade». Mit tiefer Stimme wuchtet Schuler diese Ballade der Verzweiflung heraus, diese klagende Feier der individualistischen, bürgerlichen Liebeskrankheit, die gegen alles steht, was Hugos Linksradikale lehren – und wir lassen uns verzückt hineinziehen. «Jugend ist eine bürgerliche Krankheit, viele sterben daran», wird Hugo später spotten, bevor er selbst gewissermassen daran stirbt.

Wolfram Koch, Carol Schuler

DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE
von Jean-Paul Sartre
Neuübersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel im Auftrag des Schauspielhaus Zürich

Sartres berühmtes Politstück von 1948 erzählt, wie Hugo so wahnsinnig gern vom Schreiben ins Handeln kommen würde und deshalb den Auftrag an sich reisst, den eigenen, aber ungeliebten Parteichef Hoederer zu erschiessen. Hoederer setzt auf eine pragmatische Koalition mit dem faschistischen Regenten, was den jungen Genossen Louis und Olga (Thomas Wodianka und Lena Schwarz) nicht gefällt. Sie schleusen Hugo bei Hoederer als Sekretär ein. Alles scheint zu flutschen, aber Hugo zögert. Als Hoederer ihm auch noch erklärt, dass er durch sein dreckiges Taktieren viele Menschenleben rettet und der Partei langfristig mehr Macht verschafft, gerät er vollends ins Zweifeln.

«Ich habe schmutzige Hände. Bildest du dir ein, man könnte unschuldig regieren?», fragt Hoederer ihn. Bald erkennt der Parteichef, dem Wolfram Koch dandyeskes Flair, autoritäre Züge, aber unwiderstehlichen Charme verleiht, die Zwangslage des 21-Jährigen. Hoederer sagt ihm, dass sein Anspruch auf Reinheit im Grunde unmenschlich sei. Er, Hoederer, liebe die Menschen so, wie sie seien, mit all ihren Schweinereien. «Wenn man die Menschen nicht liebt, kann man nicht für sie kämpfen.»

Kostüme aus den Sechzigern und ein zeitloses Bistro

Wie weit man für seine Ideale gehen soll, bevor man sie dadurch womöglich unwillentlich untergräbt, ob Ideale überhaupt noch Sinn machen und ob Gewalt je ein legitimes Mittel sein kann, ein legitimeres als ein Kompromiss mit den Gegnern: Das alles sind Fragen, die in unserer heutigen polarisierten Zeit überraschend wieder aufbrechen. Die naheliegenden Assoziationen ruft Bosse freilich nicht ab, Kostümbildnerin Kathrin Plath staffiert das Ensemble à la Sechzigerjahre aus, vom Dolly Girl mit frecher roter Perücke (Schuler) bis zum karierten Anzug, samt Hornbrille und Co. Das existenzialistische Schwarz in den Jacken, Mützen oder Schuhen verbindet die Figuren bis hin zu Leibwächter Georges (Gottfried Breitfuss), wenn sie sich in dem abgehalfterten Bistro treffen, das Bühnenbildner Moritz Müller als zeitlosen Raum gestaltet hat.

Noch weiter in die Abstraktion gleitet die Aufführung, als sie schliesslich vor einer mehrfarbig gestreiften Wand stattfindet, die im Verlauf in ihre Einzelteile zerlegt wird. Auf einem dieser Teile wird erst das Wort «Exit» verewigt, und daraus dann der Satz «J’existe» herausgeholt: eines der metatheatralen A-parts der Inszenierung. Wie gesagt: Alles Theatertheater – und gerade dadurch eine direkte Ansprache ans Publikum. Allerdings keine ergreifende.

Carol Schuler, Steven Sowah

DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE
von Jean-Paul Sartre
Neuübersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel im Auftrag des Schauspielhaus Zürich

Die farbintensive Lichtchoreografie tut das ihre, um das Stück zu entkontextualisieren und gleichzeitig zu einer grossen, bunten, bissig-witzigen Show über das gute Handeln im Bösen – oder umgekehrt? – zu machen. Am Ende wandert sogar die Rahmenhandlung, die anfangs unten in der Realität des Parketts ihren Platz hatte, hoch in den Bühnenkosmos: Hugo war wegen des Mordes verurteilt worden, ist nun wieder frei und sucht Schutz bei Olga – der er gesteht, dass er Hoederer nicht aus Überzeugung erschossen hat, sondern, eher, aus Zufall.

Bosse hat aus «Die schmutzigen Hände» geradezu ein Kabarett herausgekitzelt, musikalische Nummern inklusive: Das ist zeitweise schwer unterhaltsam, aber, trotz fettem Oldtimer, insgesamt fast zu schwerelos.