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Zwei «Tatort»-Kommissare im Gespräch
«Eigentlich ist Theater totaler Schwachsinn»

2 "Tatort"-Kommissare treten in der Sartre-Inszenierung am Schauspielhaus Zürich auf – Carol Schuler und Wolfram Koch.
22.11..2024
(Tages-Anzeiger/Urs Jaudas)
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Carol Schuler, die 37-jährige Schauspielerin und Sängerin aus Winterthur, die gerade die Single «AnarQueen» mit herausgegeben hat, steht nach knapp zwei Jahren Theaterpause wieder auf den Brettern. Dies zusammen mit dem 62-jährigen Wolfram Koch, mit dem sie 2016 am Opernhaus Zürich in Herbert Fritschs Inszenierung von «King Arthur» (musikalische Leitung: Laurence Cummings) zu sehen war; er hatte die Titelrolle inne. Preisgekrönt sind sie beide.

Nun sind sie Teil der Inszenierung von Jean-Paul Sartres «Die schmutzigen Hände» in der Regie von Jan Bosse. Während der Proben fanden die zwei «Tatort»-Stars Zeit für ein Gespräch über Theater als magischer Ort und über das Risikoprofil einer theaterfeindlichen Gesellschaft.

Herr Koch, vor kurzem war Ihr finaler Fall als Frankfurter «Tatort»-Kommissar zu sehen. Wollten Sie denn aufhören?

Koch: Nein, noch nicht. Die Redaktion wollte was Neues ausprobieren. Aber alles okay für mich, zehn Jahre «Tatort» langt. Das letzte Drehbuch, das hatte noch Luft nach oben, im Finale fehlte das Packende. Wir Kommissare wollten einen «Abgang mit Effekt», wie es im Theater so schön heisst, und das haben wir dann auch durchgesetzt. Jetzt sind wir schön in die Luft geflogen und die aufblühende Romantik zwischen den Kommissaren auch.

Schuler: Tja, aus dem Crossover-«Tatort» Frankfurt-Zürich wird nun nichts. (lacht)

Frau Schuler, können Sie im Zürcher «Tatort» als Kommissarin auch Inputs geben?

Schuler: Man versucht es sowieso immer, und je länger man dabei ist, desto mehr geht das. Wir sind zwar nicht an der Entwicklung der Fälle beteiligt, aber was unsere Figuren angeht, können wir mitreden. Der «Tatort» hat freilich ein enges Korsett, bei uns gibt es zwingend in den ersten zehn Minuten eine Leiche und dergleichen. Bei unserem letzten Fall war diese Leiche zwar ein Schimpanse, aber ansonsten sind wir bis jetzt nicht sehr experimentell unterwegs.

2 "Tatort"-Kommissare treten in der Sartre-Inszenierung am Schauspielhaus Zürich auf – Carol Schuler und Wolfram Koch.
22.11..2024
(Tages-Anzeiger/Urs Jaudas)

Wie war das in Frankfurt?

Koch: Da war das freier. Die hatten manchmal aussergewöhnliche, schräge Ideen. Allerdings wurde mit der Zeit die Backstory der Kommissarsfiguren zerhackt.

Schuler: Dabei ist so ein Gerüst ja auch eine Chance, freiere Filme zu machen, weil man eben Fixpunkte hat.

Koch: Gerade jetzt sollte man, besonders in Deutschland, angesichts der Sparmassnahmen und des Kahlschlags in der Kultur, auf das Experiment setzen. Ohne Angst. Das ist die einzige Chance für die Kultur.

Schuler: Kunst sollte eine angstfreie Zone sein.

Angstfreie Zone beim Schweizer Fernsehen? Sieht das derzeit nicht anders aus mit all den Sparbemühungen?

Schuler: Darum sage ich «sollte».

«Dass es am Theater auch schiefgehen kann, dass Unvorhergesehenes passieren kann, ist wunderbar.»

Wolfram Koch

Auch am hiesigen Theater werden die Freiräume immer wieder infrage gestellt.

Schuler: Ja, leider! Für mich ist das Theater ein Ort der Magie, der Begegnung! Es muss ja nicht alles gefallen. Aber was gibt es denn sonst noch in dieser Art? Höchstens Livekonzerte. Ansonsten geschieht das Erleben von Kunst die ganze Zeit nur noch remote und gar nicht mehr in Kontakt mit den Künstlern.

Was spürt man denn?

Koch: Den Livemoment. Das Unwiederbringliche. Gerade beim jungen Publikum, der Generation Netflix, merkt man eine Sehnsucht danach. In Frankfurt kommen sehr viele junge Zuschauer ins Theater, die vielleicht genug von streng durchgetakteten Serien haben. Dass es am Theater auch schiefgehen kann, dass Unvorhergesehenes passieren kann, ist wunderbar. Kollege X springt ein für Kollege Y, mit dem Zettel in der Hand, und das Publikum merkt, dass das genau in dem Augenblick live stattfindet.

Schuler: Auch der Arbeitsprozess ist besonders: Am Theater ist man sechs Wochen jeden Tag zusammen, zieht an einem Strang, es ist ein Pingpong an Kreativität. Genauso will ich arbeiten. Das ist für mich jetzt jeden Morgen eine Freude.

Koch: Theater sollte im besten Sinn Rausch sein, eine Vorform des Rauschs oder des Irrationalen. Im Grunde ist es ja ein totaler Schwachsinn: Da sind erwachsene Leute, die für andere Erwachsene irgendwas vorspielen. Und trotzdem gibt es den Ritualraum, so eine Art sakralen Raum des Spiels; des «Unsinns». Das finde ich wahnsinnig fesselnd. Müsste ich mich zwischen Theater und Film entscheiden, würde ich mich, glaube ich, für das Theater entscheiden.

Eine Mehrheit scheint den «Unsinnsraum» kritisch zu sehen.

Koch: In Frankfurt redet die AfD davon, dass sie, wenn sie an der Macht wäre, das Schauspiel Frankfurt schliessen würde. Mit einer Bühne fängt es an, am Ende wird die ganze Kultur gestrichen und dann die Bildung. Das ist das Drehbuch der Rechten – immer schon gewesen. Ein Theater, das geschlossen wird, geht so schnell nicht wieder auf. Kultur, Theater sind unbedingt notwendig. Manche halten das für Luxus – na und?

Schuler: Wenn die Kultur wirklich weg ist, merkt der Mensch zu spät: Jetzt wird es echt düster. Und ich persönlich spüre immer, wenn ich eine Zeit lang kein Theater spiele: Da verkümmert etwas in mir.

«Kultur zu machen, ist an sich schon politisch, gerade jetzt!»

Carol Schuler

Jetzt proben Sie Jean-Paul Sartres Stück «Die schmutzigen Hände», ein Stück über politischen Mord im Zweiten Weltkrieg – und das heute, in einer Zeit, in der politische Gewalt mehr Akzeptanz zu finden scheint als in früheren Jahrzehnten.

Koch: Das Stück ist realer, näher an der Gegenwart, als ich erst dachte. Es fragt: Wo stehen wir eigentlich – in dieser Welt, in unserer Einsamkeit? Das reicht weit über ein reines Revoluzzerstück hinaus. Wir versuchen, den historischen Kontext etwas herauszuhalten.

Schuler: Man muss auch keine offensichtlichen Brücken zu Trump oder Putin schlagen, da steckt genug im Text, um Zusammenhänge zu sehen. Das Wort «Sowjetunion» fällt nicht, aber es gibt Umsturz, Bedrohung, Widerstand. Das ist verschieden einsetzbar. Kultur zu machen, ist zudem an sich schon politisch, gerade jetzt!

Das Stück bezieht keine Position?

Schuler: Eines meiner Lieblingszitate aus dem Stück ist jedenfalls, wenn die Figur Hugo fragt: «Jessica, was stimmt denn nun?», und sie antwortet: «Nichts stimmt.» Heute sind alle Diskurse sehr schwarz-weiss. Entweder man ist pro oder anti. Und für mich geht es hier dagegen sehr um Zwischentöne und Graubereiche. Wie macht man Politik? Was ist mit den Idealen? Wie weit gehst du für deine Ideale? Woher weisst du, dass deine Ideale richtig sind? Das sind sehr interessante Dialoge.

Koch: Sartre fragt in jeder Szene: Wofür entscheide ich mich? Wo stehe ich im Leben? Wir hinterfragen auf der Bühne, in welche Sackgassen man rutschen kann – und wie man da vielleicht wieder rauskommt. Im Stück sieht ein alter Pragmatiker in dem jungen Mann, der geschickt wurde, ihn zu töten, den Idealisten, der er selbst mal war. Und komischerweise denke ich sehr oft darüber nach, wie bestimmte real existierende Figuren als Kind waren, bevor sie Mörder, Diktatoren, Monster wurden. Das gehört zum Luxus des Theaters, dass man sich solche Gedanken machen darf.

2 "Tatort"-Kommissare treten in der Sartre-Inszenierung am Schauspielhaus Zürich auf – Carol Schuler und Wolfram Koch.
22.11..2024
(Tages-Anzeiger/Urs Jaudas)

Hat man bei Regisseur Jan Bosse besonders viel Freiheit?

Schuler: Wolfram und ich haben uns vor vielen Jahren bei einer Inszenierung von Herbert Fritsch kennen gelernt. Fritsch und Bosse haben eine ähnliche Arbeitsweise: grosse Freiheit, sehr grosses Vertrauen in die Schauspieler, viel Humor. In diesem Umfeld entstehen tolle Arbeitsbeziehungen, die man schnell wieder ankicken kann, auch wenn man sich lange nicht gesehen hat, weil man einfach dieselbe kreative Sprache spricht.

Koch: Eigentlich sind wir Choristen.

Schuler: Pulkschauspieler!

Und wenn ein Stück danebengeht?

Koch: Auf der Bühne sind wir jede Sekunde im besten Sinn unsere eigenen Verwalter, im Zusammenspiel mit den Kollegen. Da ist das persönliche Scheitern immer eine Möglichkeit. Umgekehrt gilt: Wenn jemand sagt, er wisse, wie Theater gehe, dann sage ich: «Pack deine Sachen und geh nach Hause!» Theater ist nicht Malen nach Zahlen, das wäre ja etwas langweilig. Man könnte aber die Farben vertauschen, dann ginge der Spass wieder los.

Schuler: Ans Theater muss man sich immer wieder neu herantasten.

Premiere «Die schmutzigen Hände», Pfauen, 5. Dezember.