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Schauspielerin Vicky Krieps im Interview
«Ingeborg Bachmann war ihrer Zeit weit voraus, Max Frisch weniger»

Vicky Krieps poses for a portrait to promote the film "Corsage" on Thursday, Dec. 15, 2022, in New York. (Photo by Taylor Jewell/Invision/AP)
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Vor kurzem war sie als Kaiserin Sissi in «Corsage» zu sehen, gerade hat sie einen Western von Viggo Mortensen abgedreht. Spätestens seit Vicky Krieps (40) an der Seite von Daniel Day-Lewis die Hauptrolle in «Phantom Thread» (2017) innehatte, ist die sprachgewandte Luxemburgerin eine gefragte Frau. Für den Film über die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann und deren Beziehung zu Max Frisch war sie aber noch aus einem anderen Grund prädestiniert: Vicky Krieps wurde in Zürich zur Schauspielerin ausgebildet – also in der Stadt, in der Ingeborg Bachmann besonders unter der Enge und dem Eingeschlossensein litt.

Frau Krieps, wie ist es für Sie, nach Zürich zurückzukommen?

Ich komme gerne, habe Zürich immer geliebt. Das Gefühl dabei ist schwer zu beschreiben, Zürich ist eine Grossstadt, aber eigentlich auch ein Dorf. Das tut mir gut.

Ein Dorf? Zürich legt Wert darauf, die grösste Schweizer Stadt zu sein.

Ja, aber mein Eindruck ist stets derjenige eines Dorfes: der weite Himmel, das Wasser. Ich habe auch Glück, meist scheint die Sonne am Tag, an dem ich ankomme, wie heute auch. Zürich will mir gerne gefallen, die Stadt hat eine eigene Magie. Wie Venedig, aber ohne diesen Romantik-Faktor. Da ist auch etwas Trocken-Rationales. Aber für mich ist es eine offene Stadt.

Dann hatten Sie andere Empfindungen als damals Ingeborg Bachmann?

Ja, aber ich kam ja nicht für einen Mann hierher.

Kennen lernen in einer Pariser Kneipe: Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) und Max Frisch (Ronald Zehrfeld).

Da war kein Max Frisch, dem Sie kochen mussten?

Nein, ich war Studentin, und es stand einem alles offen. Aber selbstverständlich muss man das auch aus der Zeit sehen, in der Ingeborg Bachmann in Zürich lebte. Die Welt war in vielem grauer und verschlossener.

Aber Frisch sah sich doch als modernen Menschen, er willigte ein, mit Ingeborg Bachmann in offener Beziehung zu leben.

Ja, aber er sagte auch: Komm, mein Mädchen, ich kümmere mich um dich, ich kaufe dir ein Auto. Ingeborg Bachmann war ihrer Zeit weit voraus, Max Frisch weniger. Mir kommt es fast so vor, als habe sie als Frau von heute in der Epoche von damals gesteckt.

War Frisch ein Monster der Eifersucht, wie es Regisseurin Margarethe von Trotta in einem Interview suggeriert hat?

Er wurde es wohl manchmal notgedrungen, aber es braucht ja immer zwei dazu. Die haben beide ihre Rollen gespielt. Ich glaube, Frischs grösster Fehler war, dass er sein Gegenüber nicht wirklich sah. Ingeborg Bachmann hatte eine Einladung an ihn gerichtet: Komm, lass uns aussteigen, aus den normalen Konventionen der Ehe und der Gesellschaft. Lass uns das alles freier angehen, gerade zwischen uns zwei Intellektuellen.

Wie konnten Sie eine Frau spielen, von der es so viele Beschreibungen gibt?

Es ist immer schwer mit Menschen, die gelebt haben. Diese existieren für mich ja auch nur durch Beschreibungen und vielleicht Ton- oder Bildaufnahmen. Aber eine Aufnahme ist eine Aufnahme. Ich weiss dann immer noch nicht, warum eine Person so ist.

Was tun Sie?

Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu recherchieren, am besten geht das über Texte. Aber ich sage immer: Ich finde Hausaufgaben langweilig. Natürlich mache ich sie, aber wenn der Film nur die Hausaufgaben abbildet, finde ich ihn verloren. Da muss mehr her.

Kannten Sie die Texte von Ingeborg Bachmann schon früher?

Als Jugendliche mochte ich ihre Gedichte sehr. Aber ich wusste nichts über ihr Leben, schon gar nichts über ihr tragisches Ende. Da stand ich dann vor der Frage: Will ich jetzt herausfinden, wie ihr Gang war, um das möglichst genau zu imitieren? Oder widerstehe ich dieser Versuchung und versuche vielmehr, zu ergründen, warum sie sich so bewegt?

«Vom Klassenzimmer aus sah ich die Sihl, und ich dachte oft, der Fluss war schon vorher da und wird nachher weiterfliessen.»

Sie haben sich offensichtlich für das Zweite entschieden.

Was ich gefunden habe, ist ihr Sprachbewusstsein. Sie hat schon früh im Leben verstanden, dass jedes Wort das Versprechen von der Erlösung und der Zerstörung in sich trägt. Also, dass jedes Wort den Abgrund und auch den Himmel öffnen kann. Schwierig ist, dass dies beim Spielen nicht hölzern wirkt. Ich will immer etwas finden, was die Dialoge lebendig erhält.

Gehörte das Lesen von Frisch-Texten auch zu den Hausaufgaben?

Ja. Max Frisch kannte ich aber besser. In Luxemburg ist Frisch die Schullektüre schlechthin, wir haben praktisch alles gelesen und analysiert. Vom Privatleben wusste ich nichts. Ich finde, beide Figuren bleiben für mich auch am Ende des Films mysteriös. Das ist okay so, weil: Lasst sie in Frieden, sie sollen ruhig bleiben, wie sie sind.

Austrian poet and writer Ingeborg Bachmann is seen in this September 14, 1965 photo.(AP Photo)

Aber das Interesse an den beiden scheint wieder gross zu sein, auch mit dem im Frühjahr veröffentlichten Briefwechsel. Weshalb?

Weil sie wirklich etwas versucht haben. Die meisten von uns tun das nicht, oder geben früher auf. Wir schreiben keine Briefe mehr. Die beiden haben sich abgemüht, stundenlang, um die richtigen Worte zu finden. Und dann wieder auf den Brief des andern gewartet. Schon diese Mühe fasziniert bis heute.

Haben Ihnen Ihre Zürcher Erfahrungen geholfen, sich der Figur von Ingeborg Bachmann anzunähern?

Auf jeden Fall. Die Enge der Stadt, das Konservative, das Rückwärtsgewandte habe ich natürlich auch mitbekommen während des Studiums. Aber auch die Ruhe, die die Stadt ausstrahlt. Vom Klassenzimmer aus sah ich die Sihl, und oft dachte ich im Unterricht, wenn der Lehrer Vorträge hielt, er redet jetzt, aber der Fluss war schon vorher da und wird auch danach weiterfliessen. Das fand ich beruhigend.

Haben Sie sich damals bewusst für Zürich entschieden, oder war es Zufall, weil Sie hier die Prüfung zur Schauspielschule bestanden hatten?

Nein, ich hätte auch andere Möglichkeiten gehabt. Wenn ich jetzt zurückblicke, war das eine naive Entscheidung. Ich hätte mir ja sagen können: Ich gehe in eine grössere Stadt, wo ich später als Schauspielerin auch mal arbeiten will. Aber ich war mit 23, 24 Jahren noch so verträumt, dass ich ganz andere Prioritäten hatte. Ich habe diesen See gesehen und gedacht: Das gibt es doch gar nicht, kann man hier studieren?

Und am Ende, waren Sie zufrieden mit dem Studium?

Sehr. Ausser, dass ich es nicht abgeschlossen habe.

Sie haben es nicht abgeschlossen?

Nicht ganz. Ich habe den Bachelor gemacht. Und den Master auch abgeschlossen, aber meine schriftliche Arbeit war zu frei gedacht, anscheinend. Mir wurde beschieden, so etwas könne man nur schreiben, wenn man auf sein Leben zurückblicke, und dann nenne man es Memoiren.

Was haben Sie denn geschrieben?

Ich habe mich wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt, habe sehr persönlich über Schauspielerei geschrieben, über die Bedeutung der Pause, alles, was mir in den Sinn kam… Wahrscheinlich war es nicht akademisch genug. Aber ich muss noch sagen, ich habe in dieser Zeit ein Kind bekommen, und die Aufteilung zwischen dem Stillen, der Arbeit und dem Schreiben fand ich schwer.

«Es weiss ja niemand, was Schauspielerei wirklich ist.»

Ihr Partner konnte Sie nicht unterstützen?

Er musste arbeiten, in Berlin. Meine Mutter kam teilweise, das ging aber nicht immer. Ich hätte das Studium gerne rund abgeschlossen. Aber das Leben passiert immer, während man darüber nachdenkt, wie man gerne leben will.

Können Sie eigentlich auch Schweizerdeutsch?

Ich verstehe alles. Und ich kann es reden, aber in der Schweiz geniere ich mich. Wenn ich jetzt nicht mit Ihnen hier wäre, würde ich es sprechen. In Deutschland tue ich es manchmal, zum Spass.

Filmangebote aus der Schweiz haben Sie aber noch keine bekommen?

Noch nie. Ich glaube nicht, dass sie denken, dass ich Schwyzerdütsch kann.

Ingeborg Bachmann sagt im Film, sie habe aufgehört, Gedichte zu schreiben, weil sie das Gefühl hatte, sie wisse jetzt, wie das gehe. Könnte Ihnen das als Schauspielerin auch passieren?

Nein, ich habe eher das Gefühl, dass ich überhaupt nichts verstehe. Es weiss ja niemand, was Schauspielerei wirklich ist. Klar, es gibt gewisse Techniken, es gibt die Kleider, die Kostüme. Und es gibt den Versuch, sich zu öffnen, dem Geist der anderen Person nahezukommen. Aber da bleibt immer ein Element, das ich nicht verstehen kann. Und deswegen habe ich, Gott sei Dank, immer das Gefühl, dass ich wieder im Dunkeln bin und nicht weiss, was ich mache.

Gibt es nicht auch die Angst, dass etwas zur Routine wird?

Vielleicht schon. Aber ich sehe mich vor, lerne zum Beispiel meinen Text oft nicht, weil ich ein gewisses Risiko suche und damit die Möglichkeit, dass etwas Unvorhergesehenes passiert. Ein Film erzählt ja eine Geschichte, aber er ist für mich ebenso Dokumentation der Menschen, die den Film gemacht haben. Zum Beispiel: Margarethe und ich.

Regisseurin Margarethe von Trotta?

Genau, die Frau ist voller Licht und Leben. Sie steht mit ihren über 80 Jahren an einer ganz anderen Stelle als ich. Ich empfand die Arbeit mit ihr als so etwas wie ein Familienerbstück. Unser Dialog berührte mich mehr als das Drehbuch.

Sie arbeiten oft mit Regisseurinnen. Bewusst?

Ja. Gegenüber dem traditionellen Filmmodell mit Männern empfinde ich eine gewisse Müdigkeit und kann mir das heute auch erlauben. Die alten Muster gibt es nämlich schon noch: Ich bin der Regisseur, ich sag dir jetzt, was zu tun ist, und wenn du ein braves Mädchen bist, kriegst du ein Bonbon. Da bin ich dann bald weg.

Das haben Sie schon getan?

Sagen wir es so: Ich habe meine Erfahrungen gemacht. Sie sehen mich jetzt hier als Schauspielerin, aber ich fühle mich nicht so. Ich will im Idealfall mit der Regie darüber nachdenken, was wir uns gemeinsam vorstellen können.

Ausflug in die Wüste als Erholung von der Frisch-Beziehung: Vicky Krieps als Ingeborg Bachmann.

Was auffällt: Sie machen Ihre Figuren transparent, aber entblössen sie nicht. Verraten Sie, wie Sie das hinkriegen?

Vielleicht funktioniert das, weil ich mir selbst ein Rätsel bin.

Was hat Sie am meisten überrascht, an der Zeit mit Ingeborg Bachmann?

Es ist schon erstaunlich, sie hatten ständig Affären, dann wieder nicht, das war eine ganz andere Zeit. Das geht heute gar nicht mehr, wir stehen alle unter Beobachtung im Schauspielgeschäft. In Deutschland ist es noch einigermassen normal, aber in den USA und England wird das Leben richtiggehen zweigeteilt: Öffentlich trinken alle Wasser und machen Yoga, Rauchen geht auch gar nicht.

Als Ingeborg Bachmann mussten Sie auch viel rauchen.

Ja, das waren Kräuterzigaretten, es war wähhhh… Egal.

The Dead don't Hurt" (2023

In Toronto hatte kürzlich noch ein weiterer Film mit Ihnen Premiere, der Western «The Dead Don’t Hurt» des Schauspielers Viggo Mortensen. Wie waren diese Dreharbeiten?

Es war eine komische Mischung aus absolutem Vertrauen und allergrösster Zuneigung. Ich finde ihn so toll, er findet mich so toll, wir finden uns so toll. Und dann muss Vicky wieder... (lacht)

Was?

Ich kann nicht anders. Ich muss immer Unfug stiften. Wenn etwas zu gut läuft, zu gut aussieht, muss ich Unordnung reinbringen.

Vicky muss Unfug stiften, das klingt fast wie ein Filmtitel.

So ist es.

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«Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste»: ab 26. Oktober im Kino