TV-Kritik «Tatort»Schauspieler Jörg Hartmann macht sich selbst zum grossen Kino
Der erste Dortmund-«Tatort» nach dem Tod von Kommissarin Bönisch ist ganz von ihr geprägt – und vom Hauptdarsteller, der auch gleich das Drehbuch dazu schrieb.
Es ist einer dieser Erinnerungs-«Tatorte», mit etlichen Rückblenden in die Vergangenheit einer Ermittlerfigur. Ja, der neue Dortmunder Fall wird geradezu zum Déjà-vu-Erlebnis, so kurz nach dem Abtauchen des Berliner Kommissars Karow in sein Jugendtrauma in «Das Opfer» (18. Dezember). Und wie Karow ist auch der Dortmunder Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) in «Du bleibst hier» mitgenommen vom gewaltsamen Tod seiner Kommissarskollegin und eigentlich im Ausstand; der Filmtitel zitiert ihre letzten Worte, sie starb in der vergangenen Dortmund-Folge in Fabers Armen.
Ungepflegter Vollbart, zerknittertes Gesicht, Nächte im Auto: Jörg Hartmann, Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne, hat sich selbst – hier erstmals als «Tatort»-Autor in Aktion – eine Steilvorlage für ein grosses Psychokino geschrieben, sein Kommissar arbeitet sich von Suizidgedanken weg und hin zur Versöhnung mit seiner Geschichte und seinem Job.
Als Faber erfährt, dass der Vermieter seines Vaters, ein übler Immobilienhai, verschwunden ist und man verdächtige Blutspuren gefunden hat, macht er erste zaghafte Schritte zurück in sein Leben.
So ermittelt da schliesslich ein regelrechtes Trio katastrophale. Die drei haben voreinander zwar Geheimnisse und befinden sich unwissentlich in einem Wettlauf, greifen einander aber dennoch immer wieder unter die Arme: neben Faber Hauptkommissarin Herzog (Stefanie Reinsperger), deren Mutter sich im kriminell-terroristischen Umfeld bewegt, und Kommissar Pawlak (Rick Okon), dessen drogensüchtige Ehefrau eine Haftstrafe verbüsst.
In der 44. Minute trösten sich die drei mit einem gemeinsamen alkoholischen Absturz: ein klassisches «Tatort»-Motiv, das der Sonntagskrimi-Routinier Richard Huber als Regisseur mit harten Schnitten auf das Unglück der anderen Protagonisten bricht – etwa auf die Verlorenheit von Fabers in die Demenz abgleitendem Vater. Dieser hatte das Verhältnis zum Sohn, das nach dem Tod der Mutter zerbrochen war, nie kitten können. Dass die Recherchen dann buchstäblich in einen Tiefstollen führen, braucht keinen grossen Deutungsaufwand mehr.
Anfangs ist man noch etwas irritiert von all dem Privatkram und psychologischen Gerappel in dem Krimi – dessen Glaubwürdigkeitsfaktor eher nach unten tendiert. Allmählich aber entwickelt der Film mit seinem Mut zur Langsamkeit und Deutlichkeit, zum grauen Alltagspanorama statt zum Actionplot zunehmend Sog. Und der Joni-Mitchell-Soundtrack funktioniert dabei wie eine Fähre zwischen Gegenwart und Vergangenheit, so wie auch «The Crystal Ship» von The Doors.
Die Sprünge in die Kindheit, das Gespräch mit der toten Kommissarin – ansonsten hoch kitschverdächtige Kniffe – geraten zu Ritardandos, auf die man sich gern einlässt. Zuckersüss ist da nichts. Sondern zartbitter zum Dahinschmelzen.
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