Nach Zugunfall vor mehr als einem JahrSBB nehmen Gotthardtunnel wieder voll in Betrieb – eine Stunde schneller ins Tessin
Ein entgleister Güterwagen sorgte für einen Unterbruch des Zugverkehrs. Darunter litt der Tessiner Tourismus, und es entstand ein hoher Schaden. Dieser beschäftigt nun die Politik.
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Nach einem Betriebsunterbruch von etwas mehr als einem Jahr fahren ab Montag Züge wieder vollumfänglich durch den Gotthard-Basistunnel. Konkret verkehren alle Intercity- und Eurocity-Züge zwischen der Deutschschweiz und dem Tessin durch den längsten Eisenbahntunnel der Welt.
Wie die SBB am Montagmorgen mitteilten, gelangen Reisende wieder eine Stunde schneller von der Deutschschweiz ins Tessin und umgekehrt – neu den ganzen Tag über halbstündlich.
Ausserdem verkehren wieder alle Direktverbindungen nach Italien: Neben Mailand und Venedig sind auch Genua und Bologna wieder umsteigefrei aus der Schweiz erreichbar.
Die Verbindung von Frankfurt nach Mailand verkehrt ebenfalls wieder, neu fährt auf dieser der Giruno und sie führt über Zürich statt über Luzern.
Im Güterverkehr fahren wieder sämtliche Züge durch den Basistunnel. Dadurch profitieren wieder alle Güterverkehrskunden von einem Fahrzeitgewinn von 60 bis 75 Minuten. Bis zu 20 Prozent der Güterzüge fuhren bis zuletzt noch über die Panoramastrecke.
Das müssen Sie zum heutigen Tag und seiner Vorgeschichte wissen:
Radbruch verursacht Unfall
Am 10. August 2023 entgleiste ein Güterzug auf der Fahrt von Chiasso nach Basel im Gotthard-Bahntunnel. Gemäss dem Zwischenbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle war ein Radscheibenbruch für den Unfall verantwortlich.
Seither war eine der wichtigsten Verbindungen durch die Alpen für den Güter- sowie für den Personenverkehr weitgehend unterbrochen. Den Personenverkehr leiteten die SBB über die Panoramastrecke um, was zu längeren Fahrzeiten führte.
Die Folgen fürs Tessin
Weil der Reiseverkehr in die Sonnenstube der Schweiz beeinträchtigt war, spürte der Kanton Tessin die Folgen noch bis vor kurzem: Neben dem Regenwetter habe die verlängerte Reisezeit im Zug dem Tessin einen Rückgang an Tagestouristen beschert, heisst es bei Ticino Turismo.
Rund 15 Prozent weniger Tagestouristen seien in den vergangenen zwölf Monaten ins Tessin gereist, sagte Tourismusdirektor Angelo Trotta gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Der Verband Hotelleriesuisse Ticino bestätigt diese Einschätzung. Die unterbrochene Hauptverbindung ins Tessin sei mitverantwortlich für einen Rückgang bei den Logiernächten.
Kraftakt bei Reparaturen
In einem Kraftakt haben die SBB den beschädigten Tunnel wieder repariert. Die Bilanz der Reparaturen: Die SBB haben die Fahrbahn auf einer Länge von sieben Kilometern komplett erneuert. Darüber hinaus wurden zwei Schnellfahrweichen ersetzt und ein Spurwechseltor ausgetauscht.
Vor zwei Wochen führten die Bundesbahnen den Probebetrieb durch. Seit dem 19. August verkehren wieder vereinzelt Personen- und Güterzüge durch die instand gesetzte Weströhre. Ferner schlossen die SBB einen Testbetrieb mit Mess-, Test- und Dienstzügen erfolgreich ab.
Hohe Schadensumme
Die SBB beziffern die Sachschadensumme, inklusive Ertragsausfällen, auf 150 Millionen Franken. Davon sind laut Staatsbetrieb 140 Millionen Franken versichert.
Die Lehren aus dem Unfall
Aus dem Unfall haben die SBB Konsequenzen gezogen: Das Unternehmen will einerseits sein Rollmaterial besser kontrollieren, um Materialschäden früher zu erkennen.
Andererseits prüfen die SBB, bei den Spurwechseln im und vor dem Gotthardtunnel streckenseitige Entgleisungsdetektoren anzubringen.
Auf europäischer Ebene hat das Bundesamt für Verkehr verschiedene Massnahmen angestossen. Eine sieht vor, Radtypen derselben Bauart wie das defekte Rad im Tunnel zu «nicht mehr thermostabile Räder» herabzustufen. Dies führt zu strengeren Sicherheitsverfahren bei Anzeichen einer thermischen Überlastung, etwa durch Bremsungen.
Wer haftet? Politik will neue Regeln
Der Unfall hat auch die Politik auf den Plan gerufen: Die nationalrätliche Verkehrskommission fordert neue Regeln bei der Haftung. Vorgesehen ist, dass im Güterverkehr das Risiko besser auf die beteiligten Unternehmen verteilt wird.
Nach heutigem Kenntnisstand geht die Kommission mit «grösster Wahrscheinlichkeit» davon aus, dass SBB Cargo als «ausführender Beförderer» für den Unfall haftbar ist.
Nur: Die gefundenen Radstücke im Tunnel konnten einem Wagen des Unternehmens Transwaggon AB zugeordnet werden. Dieses ist eine schwedische Tochterfirma des Zuger Unternehmens Transwaggon. Demnach waren streng genommen nicht die SBB Auslöser des Unfalls, sondern Rollmaterial eines externen Wagenhalters.
Nach geltendem Recht haftet der Wagenhalter aber nur, wenn das betroffene Eisenbahnunternehmen – in diesem Fall die SBB – nachweisen kann, dass ihn ein Verschulden trifft. Ein Mangel am Wagen genügt für den Verschuldensnachweis nicht.
An diesem Punkt will die Politik nun ansetzen.
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