Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen
Meinung

Kommentar zum 6. Dezember
Der Samichlaus und der Kapitalismus

Bauma ZH 07.12.2019 / Der Samichlaus und sein Schmuzli sind 
mit der historischen Dampfbahn sind vom Bahnhof Baertswil in der Bahnhofshalle eingetrofen, und erfreuen die Kinder mit einem Chlaussaeckli . Der Chlaus und sein SChmutzli begruest die Kinder im Historischen Zug .   Bild: Heinz Diener
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Waren auch Sie ein Kind, das den Samichlaus als zwiespältige Figur betrachtete? Ein alter Mann liest einem die Leviten und verteilt entsprechend Geschenke. Zwar erhielt immer jeder etwas. Aber was zum Teufel hatte das mit der Rechenschaft über begangene (Un-)Taten zu tun? Was ging ihn mein Benehmen der letzten zwölf Monate an?

Später erfuhr ich von den vielen Wundertaten seines Namensgebers Nikolaus von Myra, der im 4. Jahrhundert Bischof in Lykien gewesen sei. Warum aber wurde er zum Richter über Gut und Schlecht?

Dieser Tage stiess ich auf Wikipedia auf einen Hinweis. Viele der Bräuche an Nikolaus von Myras Gedenktag, dem 6. Dezember, hingen ursprünglich mit der Perikopenordnung der Kirche zusammen. Dazu muss man wissen: Die frühen Christen lasen täglich Abschnitte aus der Bibel, Perikopen, wie die alten Griechen das nannten.

Am 6. Dezember wurde üblicherweise das «Gleichnis von den anvertrauten Talenten» gelesen. Wie am Samichlaustag geht es auch dort darum, wer was geleistet hat. Ein Gassenhauer der Bibellektüre – bis heute viel zitiert.

In der Bibel gibt es Lob und Tadel für die Sklaven

Es handelt von dem Herrn, der seinen Sklaven während seiner Abwesenheit Geld in unterschiedlicher Höhe hinterlässt, um damit Geschäfte machen zu können. (Luther machte aus den Talenten, einer griechischen Gewichtseinheit, später «Pfunde», mit denen die Untergebenen «wuchern» sollten.)

Als der Herr zurückkam, stellte er beglückt fest, dass einige Sklaven das ihnen anvertraute Geld hübsch vermehrt hatten. Und er lobte sie. Einer jedoch hatte es vergraben, sodass es während der Abwesenheit des Herrn nicht weniger, aber auch nicht mehr geworden war.

«Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und du sammelst, wo du nicht ausgestreut hast», so der Sklave. Wow, denke ich, das sind starke Worte. Ein Revoluzzer? Sein Meister hingegen war sauer. «Du bist ein schlechter und fauler Diener!», kanzelte er den Sklaven laut Apostel Matthäus ab. «Hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank gebracht!», heisst es wörtlich. Dort gäbe es Zinsen, meint der Sklavenbesitzer.

Und er wirft den «nichtsnutzigen Diener hinaus in die äusserste Finsternis», wo er «heulen und mit den Zähnen knirschen» werde – ein weiteres gern genutztes Bibelzitat notabene.

Diese Passagen wurden einst am 6. Dezember gelesen, am Tag, an dem später der Samichlaus seine Rolle als tadelnder und lobender Geschenkegeber ausübte. Bis heute wird das Gleichnis sehr unterschiedlich interpretiert, wie man dem Standardwerk «Kompendium der Gleichnisse Jesu» des deutschen Theologen Ruben Zimmermann entnehmen kann.

Eine Rechtfertigung des Kapitalismus

Hat der Sklavenbesitzer oder der aufmüpfige Sklave recht? Ist das Gleichnis als Kritik an Ausbeutung, an Wucher, an Zinsgeschäften – oder sogar am Kapitalismus – zu betrachten? Bertolt Brecht hat es zu diesem Zweck in seiner «Dreigroschenoper» über die Moral der kapitalistischen Bourgeoisie verwendet.

Oder steht der Herr, der Sklavenhalter, vielleicht doch sinnbildlich für den «anderen» Herrn, Jesus Christus, der von seinen Anhängerinnen und Anhängern verlangt, ihre alten Denkweisen hinter sich zu lassen und ihm zu folgen? Ist es am Ende gar eine frühe Rechtfertigung des Kapitalismus? Die Meinungen dazu könnten laut Zimmermann nicht kontroverser sein.

Jedenfalls wird mir nun klarer, warum ich mit dem Samichlausspiel «Sei brav, sonst gibts die Fitze / Bist bös, so gibts kein Geschenk» niemals warm wurde. Dem schon immer bockigen Kinde widerstrebt es, sich zu rechtfertigen, Rechenschaft abzulegen, um dem Mann mit Bart zu gefallen und so an seine Geschenke zu kommen.

Vielleicht ahnte ich, dass im Anspruch des Samichlauses an die Kinder, bis zum nächsten 6. Dezember auch ja schön brav zu sein, ein Aufruf zu bürgerlichem Wohlverhalten und damit einhergehend zu Erfolg und Prosperität steckt? Ein Fitzenhieb für ungenügende Leistungen! Oder war ich doch nur ein bockiges Kind?