Gas für Nord Stream 1Russland verbrennt seit Monaten Gas, während Europa darum bangt
Ob es sich um einen politischen Schachzug oder technische Notwendigkeit handelt, ist unklar. Sicher ist: Die ökologischen und finanziellen Kosten steigen mit jedem Tag.
Während die EU und der Bundesrat einen Gas-Notfallplan vorstellten, um durch den Winter zu kommen, verbrennt Russland seit Monaten täglich Millionen von Kubikmetern an Erdgas. Das zeigen neue Analysen des Energieforschungsunternehmens Rystad Energy, die der BBC vorliegen. Bedenklich ist dies nicht nur aufgrund der potenziellen Energieknappheit während der kalten Jahreszeit, auch das arktische Eis ist davon betroffen, wie Wissenschaftler warnen. Denn täglich verursacht die Gasfackel etwa 9000 Tonnen CO₂. Die grosse Menge an Kohlendioxid und Russ verstärkt die Schmelzung der Pole.
Das Gas stammt aus einer neuen Verdichterstation für Flüssigerdgas in Portowaja – nordwestlich von St. Petersburg und in der Nähe der finnischen Grenze. Einige Bürger des Nachbarlandes waren Anfang des Sommers auch die Ersten, die die grossen Flammen am Horizont entdeckten, wie die finnische Nachrichtenseite «Yle» berichtete. Die Anlage steht am Anfang der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 1.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Das Gas ist laut Experten für den Export nach Deutschland vorgesehen gewesen. Die Deutschen erhalten seit Juli nur noch gedrosselt Erdgas aus der Rohrleitung. Für Deutschland ein politischer Schachzug, für die Russen technische Probleme. Die Pipeline ist wichtig, um die Gasspeicher in der EU weiter zu füllen – und damit sicherzustellen, dass im kommenden Winter tatsächlich genug Gas zur Verfügung steht. Doch bereits seit Juni soll Russland gezielt Gas abfackeln, wie Experten der BBC erklärten. Wieso genau, ist bis anhin unklar. Gazprom – Russlands staatlich kontrollierter Energieriese, dem die Anlage gehört – hat auf Anfragen der BBC zum Abbrennen nicht reagiert.
Dass Erdgas in einer Verarbeitungsanlage verbrannt wird, ist grundsätzlich nichts Aussergewöhnliches. Doch das Ausmass der Anlage in Portowaja ist ungewöhnlich, wie Jessica McCarty, Expertin für Satellitendaten von der Miami University in Ohio, gegenüber der BBC erklärt: «Ich habe noch nie gesehen, dass eine Flüssiggas-Anlage so viel abfackelt.» Seit Juni haben Forscher einen erheblichen Anstieg der Wärme, die von der Anlage ausgeht, festgestellt, und «sie blieb sehr anomal hoch», sagt McCarty. In Zahlen ausgedrückt: Die Anlage verbrennt schätzungsweise täglich 4,34 Millionen Kubikmeter Gas in einem Wert von 10 Millionen Dollar, schreibt BBC.
Weshalb Russland eine solch grosse Menge an Gas verbrennt, ist unter Experten umstritten. Für Mark Davis, Geschäftsführer von Capterio – ein britisches Unternehmen, welches sich auf das Abfackeln von Gas spezialisiert hat –, hat das Verbrennen einen betrieblichen Hintergrund. «Betreiber zögern oft, Anlagen abzuschalten, weil sie befürchten, dass es technisch schwierig oder kostspielig sein könnte, sie wieder in Betrieb zu nehmen, und das ist hier wahrscheinlich der Fall», erklärt er der BBC.
Andere Experten vermuten wiederum technische Probleme. «Diese Art des langfristigen Abfackelns kann bedeuten, dass ihnen einige Ausrüstungen fehlen», erklärt Esa Vakkilainen, Professor für Energietechnik an der finnischen LUT-Universität, der BBC. Grund dafür könnte das europäische Handelsembargo gegen Russland sein. «Aufgrund des Handelsembargos gegen Russland sind sie nicht in der Lage, die hochwertigen Ventile herzustellen, die für die Öl- und Gasverarbeitung benötigt werden. Vielleicht sind also einige Ventile kaputt, und sie können nicht ersetzt werden», sagt Vakkilainen.
«Das Volumen, die Emissionen und der Standort der Fackel sind eine sichtbare Erinnerung an Russlands Dominanz auf den europäischen Energiemärkten.»
Was auch immer der Grund für das Verbrennen des Erdgases sein mag, klar ist, dass die Preise für Gas seit der Corona-Pandemie kontinuierlich steigen und sich seit Beginn des Krieges verdoppelten. Die russischen Drosselungen der Gaslieferungen haben zu einem weiteren massiven Anstieg der Gaspreise geführt.
«Die genauen Gründe für das Abfackeln sind zwar nicht bekannt, aber das Volumen, die Emissionen und der Standort der Fackel sind eine sichtbare Erinnerung an Russlands Dominanz auf den europäischen Energiemärkten», erklärt Sindre Knutsson, Senior-Vizepräsident des Energieforschungsunternehmens Rystad Energy, der BBC und ergänzt: «Ein deutlicheres Signal kann es nicht geben – Russland kann die Energiepreise schon morgen senken. Dabei handelt es sich um Gas, das sonst über Nord Stream 1 oder Alternativen exportiert worden wäre.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.