Pipeline ausser BetriebOhne Nord Stream 1 werden Gaslager nur noch schleppend gefüllt
Derzeit fliesst viel weniger Gas von Russland nach Europa. Nun warnt der Bund, dass die geplanten Reserven in Europa bis November nicht zustande kommen.
Geht sie wieder auf oder nicht? Das ist die entscheidende Frage zur Pipeline Nord Stream 1, die derzeit wie geplant gewartet wird. Am Montag wurde sie geschlossen, am 21. Juli soll sie wieder öffnen. Ob das wirklich passiert, steht in den Sternen. Die Pipeline ist wichtig, um die Gasspeicher in der EU weiter zu füllen – und damit sicherzustellen, dass im kommenden Winter tatsächlich genug Gas zur Verfügung steht.
Nun spitzt sich die Lage zu. Gazprom, die Betreiberin der Pipeline, gibt keine Prognose zum Weiterbetrieb mehr ab. Es wird also realistischer, dass der mehrheitlich staatlich kontrollierte russische Gasriese die Pipeline nach der Wartung nicht mehr in Betrieb nimmt.
Hintergrund ist ein Streit um eine Turbine, die von Gazprom zwecks Reparatur nach Kanada geschickt worden war. Wegen der Sanktionen gegen Russland sah sich Kanada ausserstande, die reparierte Turbine an Gazprom zurückzusenden. Sie wird nun nach Deutschland geliefert, um die Sanktionen nicht zu verletzen. Deutschland und die USA unterstützen dieses Vorgehen, damit die Gasleitung wieder in Betrieb genommen wird. Doch laut einer Mitteilung von Gazprom gebe es bislang keine schriftliche Bestätigung, dass die reparierte Turbine tatsächlich geliefert werde.
Am Donnerstag legte eine Sprecherin des russischen Aussenministeriums nach: «Was den Betrieb der Gaspipeline in der Zukunft betrifft, so wird viel von unseren Partnern abhängen – sowohl in Bezug auf die Nachfrage nach Gas als auch in Bezug auf die Verhinderung negativer Auswirkungen unrechtmässiger restriktiver Massnahmen.» Und sie verwies auf die Lieferung der Turbine.
Folgen für die Versorgung in der Schweiz
Die Pipeline ist entscheidend beim Versuch von Europa, die Gasspeicher für den Winter zu füllen. Das Ziel ist, dass bis November die Lager zu 80 Prozent voll sind. Doch nun warnt das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung: «Aufgrund der derzeitigen Lieferungen ist das Erreichen des Ziels von 80 Prozent Speicherfüllstand per November 2022 wenig wahrscheinlich», heisst es im neusten Bulletin zur Landesversorgung vom Dienstag.
Dies werde Folgen für die Versorgung in der Schweiz haben, sagt ein Sprecher des Bundesamts. Sprich: Es steht weniger Gas zur Verfügung. Das müsse aber nicht heissen, dass es automatisch zu einer Mangellage komme. Deren Eintreten hänge von vielen Faktoren ab. «Der Speicherstand ist einer davon. Andere Faktoren sind unter anderem der Stand der Gasversorgung aus anderen Quellen als jenen Russlands sowie die Temperaturen, welche mitentscheidend sind für die Höhe des Gaskonsums», sagt der Sprecher.
Ein Blick auf die Füllstände in der EU zeigt, dass am Montag und Dienstag die Gaslager nicht mehr im gleichen Tempo gefüllt wurden wie zuvor. Dies wäre aber nötig, um die gewünschten Mengen zu erreichen. In Deutschland ging die Füllmenge von Montag auf Dienstag gar zurück. Deutschland ist ein wichtiger Gaslagerplatz für die EU.
Was ebenfalls auffällt: 2019 und 2020 waren die Gaslager in der EU bereits Mitte Juli zu 77 beziehungsweise über 80 Prozent gefüllt. Momentan sind es gerade mal 62 Prozent. Da die Schweiz selber keine Gasspeicher hat, ist sie auf Gaslieferungen aus der EU angewiesen. Unsere Versorger müssen sich darum Reserven im Ausland sichern.
In Deutschland wird derzeit versucht, mit anderen Mitteln Gas für den Winter zu sparen. Etwa mit Aufrufen zum Energiesparen. Und schon bald dürften wieder vermehrt Kohlekraftwerke Strom erzeugen. Das beschloss die deutsche Regierung am Mittwoch.
Damit könnten Kraftwerke, die eigentlich nur noch als Reserve im Einsatz sind, bis Ende des Winters wieder an den Strommarkt. Ziel ist, die Gaskraftwerke zu entlasten, die einen wichtigen Beitrag zur Stromversorgung in Europa leisten.
Hoffnung auf Solidarität unter Nachbarländern
Die Schweizer Gasversorger sind derzeit daran, die Mengen für den Winter einzukaufen. Dabei kommen sie offenbar voran. So hat zum Beispiel der Gasverbund Mittelland GVM – einer der vier Gaseinkäufer der Schweiz – bereits grosse Teile der Gasmengen eingekauft. Der GVM und die ihm angeschlossenen lokalen Versorger hätten sich den Winterbedarf schon fast gesichert, schreibt die «Solothurner Zeitung». Der Bedarf der Haushalte sei zu rund 90 Prozent und jener der Grosskunden zu 80 Prozent gedeckt.
Die grosse Frage ist, ob das in anderen europäischen Ländern eingekaufte Gas im Winter wirklich in die Schweiz gelangt. Um das zu garantieren, arbeitet der Bundesrat daran, Solidaritätsabkommen mit Deutschland und anderen Ländern abzuschliessen.
Derweil reagieren in der Schweiz Firmen auf die Warnungen, dass im Winter Gas knapp werden könnte. Der Aufruf des Bundesrats an die Betreiber von sogenannten Zweistoffanlagen, die mit Gas oder Heizöl betrieben werden können, scheine Wirkung zu zeigen, heisst es beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung. Sowohl Zweistoffanlagen-Betreiber als auch private Heizöl-Konsumenten hätten in den vergangenen zehn Tagen vermehrt Heizöl nachgefragt.
Bundesrat Guy Parmelin sagte vor zwei Wochen, dass Firmen jetzt schon ihre Heizöltanks füllen sollten – selbst wenn der Preis für Heizöl hoch sei.
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