Staatsterror in Berlin Russland sitzt mit auf der Anklagebank
Am Mittwoch beginnt der Prozess gegen einen Russen, der im Berliner Tiergarten einen tschetschenischen «Staatsfeind» exekutierte – mutmasslich im Auftrag Moskaus.
Seit der Vergiftung von Oppositionsführer Alexei Nawalny herrscht zwischen Deutschland und Russland diplomatische Eiszeit. Kanzlerin Angela Merkel machte den Fall zu ihrer Sache und drohte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unverhohlen mit Strafmassnahmen, sollte Moskau den Anschlag nicht aufklären.
Nun beginnt am Berliner Kammergericht am Mittwoch ein Prozess, der das Verhältnis zwischen den beiden Ländern zusätzlich belasten dürfte – zumal das Verbrechen, um das es diesmal geht, nicht wie bei Nawalny in Russland, sondern auf deutschem Boden verübt wurde. Die deutschen Medien sprechen offen von «russischem Staatsterrorismus».
Vor Gericht steht ein 55-jähriger Russe, der sich Wadim Sokolow nennt, tatsächlich aber Wadim Krassikow heisst. Der deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank wirft dem Mann vor, im August 2019 im Kleinen Tiergarten in Berlin einen Tschetschenen mit georgischem Pass ermordet zu haben. Frank hält Sokolow/Krassikow für einen Auftragsmörder, den Moskau geschickt hat – und nennt «staatliche Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation» als Auftraggeber.
Putin: «Ein blutrünstiger Bandit»
Das Opfer, Selimchan Changoschwili, hat zwischen 1999 und 2004 in Tschetschenien gegen Russland gekämpft. Die russischen Geheimdienste betrachteten den Georgier seither als «Staatsfeind». Ein «blutrünstiger Bandit» sei der Ermordete gewesen, sagte Putin im Dezember im Beisein von Merkel und deutete damit an, dass es aus russischer Sicht «den Richtigen» getroffen habe. Seit 2006 erlaubt ein russisches Gesetz, «Terroristen» auch im Ausland zu töten. Aus deutscher Sicht war Changoschwili aber kein Terrorist, sondern ein potenziell gefährdeter Dissident.
Ermittlungen des Recherchenetzwerks Bellingcat, des Bundeskriminalamts und deutscher Nachrichtendienste haben in den letzten Monaten nicht nur enthüllt, dass Sokolow eigentlich Krassikow heisst, sondern auch, dass er in ein Netzwerk von Spezialeinheiten des russischen Inlandgeheimdiensts FSB eingebunden war. Kurz bevor der Killer nach Deutschland geschickt wurde, trainierte er beim FSB und telefonierte ausgiebig mit Kollegen.
Krassikows Identität wurde zudem in einer Weise geändert, wie es nach Ansicht des Anklägers nur der russische Staat vermag. In Berlin wurde der Auftragsmörder vermutlich von mehreren russischen Agenten unterstützt. Wer diese Leute waren, wissen die deutschen Behörden aber offenbar nicht.
Je mehr das Gericht über die Hintermänner herausfindet, umso heikler für das deutsch-russische Verhältnis.
Der Prozess vor dem Berliner Kammergericht ist vorerst auf 25 Verhandlungstage angelegt und soll mindestens bis Ende Januar 2021 dauern. Der Mordfall als solcher dürfte aufgrund von eindeutigen Spuren und Zeugenaussagen schnell geklärt sein. Ankläger und Gericht werden sich aber bemühen, möglichst viel über die Auftraggeber herauszufinden. Nennt das Urteil russische Stellen und Namen, dürfte Deutschland um gezielte Sanktionen gegen die Verantwortlichen nicht herumkommen. Dies wiederum könnte erhebliche Folgen für das deutsch-russische Verhältnis haben.
Staatsterrorismus gab es auch früher schon
Schon zweimal wurden in der jüngeren Vergangenheit Fälle von Staatsterrorismus auf Berliner Boden verhandelt: 1986 kamen bei einem Bombenanschlag auf die Diskothek La Belle drei Menschen ums Leben; 2001 urteilte das Berliner Landgericht, der libysche Geheimdienst habe das Attentat geplant und verübt.
1992 wurden im Berliner Restaurant Mykonos vier iranisch-kurdische Exilpolitiker erschossen. Das Kammergericht stellte 1997 nicht nur fest, dass der iranische Geheimdienst den Anschlag in Auftrag gegeben habe, sondern auch, dass höchste Regierungsstellen in die Pläne vorab eingeweiht waren. Das Urteil führte damals fast zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Iran.
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