Russischer KremlkritikerMerkel: Nawalny mit Nowitschok vergiftet
Die Analysen eines Speziallabors der Bundeswehr hätten «zweifelsfrei» ergeben, dass Alexei Nawalny mit einem Nervenkampfstoff attackiert worden sei. Die Kanzlerin forderte Moskau zur Aufklärung auf.
Am 20. August war der russische Regierungskritiker Alexei Nawalny auf einem Flug von Sibirien nach Moskau mit Vergiftungserscheinungen zusammengebrochen, zwei Tage später traf er zur Behandlung in Berlin ein. Wieder zwei Tage später erklärte die behandelnde Charité-Klinik, Nawalny sei vergiftet worden. Am Mittwoch gab die deutsche Regierung in Berlin nun auch bekannt, womit: mit dem berüchtigten Nervenkampfstoff Nowitschok.
«Versuchter Giftmord»
Ein Speziallabor der Bundeswehr, so teilte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in einer Ansprache mit, habe einen «chemischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe zweifellos nachgewiesen». Merkel zeigte sich bestürzt, dass Nawalny in Russland Opfer eines «versuchten Giftmordes» geworden sei. Offensichtlich sei versucht worden, einen der führenden russischen Oppositionellen «zum Schweigen zu bringen». Ihre Regierung verurteile diesen Angriff auf das Allerschärfste.
Merkel sagte, es stellten sich nun «schwerwiegende Fragen», die nur Russland beantworten könne – und beantworten müsse. «Das Schicksal Nawalnys hat weltweite Aufmerksamkeit erlangt. Die Welt wird auf Antworten warten.» Aussenminister Heiko Maas erklärte, Russland müsse die Verantwortlichen nun zur Rechenschaft ziehen. Der russische Botschafter sei deswegen erneut einbestellt worden.
Nawalnys Zustand immer noch «ernst»
Merkel bekundete Nawalny und dessen Familie ihr Mitgefühl. Nach Angaben der Charité ist dessen Gesundheitszustand immer noch «ernst». Die Symptome der nachgewiesenen Vergiftung bildeten sich zwar zurück. Der 44-Jährige werde aber weiter auf der Intensivstation behandelt und künstlich beatmet. Man rechne mit einem längeren Krankheitsverlauf, Langzeitfolgen seien nicht auszuschliessen.
Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz und wichtige Minister hatten sich zuvor zu einer Krisensitzung getroffen, um die weiteren Schritte abzustimmen. Nawalnys Frau Julia und die behandelnden Ärzte seien über die Untersuchungsergebnisse informiert worden, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Ebenso die Partnerstaaten in der Europäischen Union und im westlichen Verteidigungsbündnis Nato sowie die Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Je nach russischer Antwort werde man mit den Partnern dann auch «über eine angemessene Reaktion beraten».
Wie bei Skripal
Nowitschok ist einer grösseren Öffentlichkeit erstmals nach der Vergiftung des Russen Sergei Skripal bekannt geworden. Ein Kommando des russischen Militärgeheimdienstes (GRU) hatte den früheren GRU-Obersten, Doppelagenten und Überläufer Skripal im März 2018 vergiftet, indem es das Nervengift an der Türklinke von dessen Haus im englischen Salisbury anbrachte. Skripal und seine Tochter überlebten nur knapp.
Der Angriff führte damals zu einer diplomatischen Krise zwischen Grossbritannien und Russland, in deren Folge mehr als 100 russische Botschaftsangestellte aus vielen westlichen Ländern ausgewiesen wurden, auch aus Deutschland.
Extrem potentes Gift
Nowitschok und Gifte aus dessen Familie gehören zu den wirkungsvollsten Nervengiften, die je erfunden worden sind. Sie führen schon in kleinsten Mengen zu Nervenlähmungen und zum Tod. Sie wurden vom sowjetischen Militär in den 70er-Jahren entwickelt und Anfang der 90er-Jahre vom russischen Militär übernommen und weiter erforscht. Experten glauben, der Zugang zu Nowitschok sei in Russland im Wesentlichen auf militärische und staatliche Stellen beschränkt.
Russlands Regierung bestritt bis anhin, mit der Vergiftung Nawalnys irgendetwas zu tun zu haben. Diese Behauptung könnte nun schwer weiter aufrechtzuerhalten sein. Nach Bekanntwerden der jüngsten Erkenntnisse aus Berlin twitterte Nawalnys langjähriger Mitstreiter Leonid Wolkow: «Nawalny 2020 mit Nowitschok zu vergiften, ist genau das Gleiche, wie am Tatort ein Autogramm zu hinterlassen wie dieses.» Dazu verbreitete er eine Autogrammkarte des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Beziehungen schwer belastet
Die deutsch-russischen Beziehungen sind schon seit längerer Zeit schwer belastet. 2014 ergriff die EU nach der russischen Annexion der Krim und der militärischen Einmischung im Osten der Ukraine weitreichende Sanktionen gegen Russland. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel spielte dabei auf europäischer Seite eine wichtige Rolle.
Neben Versuchen, mit verdeckten Mitteln Wahlen in den USA, in Frankreich und auch in Deutschland zu beeinflussen, wirft Berlin der russischen Regierung auch vor, 2015 gross angelegte Hackerangriffe auf den deutschen Bundestag orchestriert zu haben. Vor einem Jahr schickten «russische Stellen» nach Auffassung des deutschen Bundesanwalts zudem einen Auftragskiller nach Deutschland, der im Berliner Tiergarten bei helllichtem Tag einen Georgier exekutierte, den Russland als «Staatsfeind» betrachtete.
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