Gastbeitrag zum Ukraine-KriegPutins Krieg basiert auf historisch geprägten Schablonen
Der Westen hat die russischen Machthaber in der Vergangenheit falsch eingeschätzt. Im Ukraine-Krieg muss er aus diesem Fehler nun die Konsequenzen ziehen.
Kann Russland Grossmacht werden und Sicherheit schaffen?
Nein. Der Grund liegt in den Ursachen und Zielen der Aggression. Die russischen Herrscher waren stets bemüht, sich der tatsächlichen oder vermeintlichen Angreifer um ihre Grenzen herum zu erwehren. Der Zar, das Politbüro, der Präsident wollten zudem eine entscheidende Grossmacht sein. Diese zwei Komponenten beherrschten seit Jahrhunderten das Denken der Elite.
Im Westen hoffte man, mit Wandel durch Annäherung Russland auf einen anderen Weg bringen zu können. Dies scheiterte nicht an der «Eigenart» der Russen, sondern am Resultat der Politik von Jelzin und Gorbatschow. Sie versuchten, sich mit militärischer Macht Hörigkeit zu erschaffen, aber dies allein kann weder Sicherheit noch eine Grossmachtrolle begründen.
Die russische Bevölkerung nahm die Bestrebungen nach Demokratisierung und Liberalisierung als Verarmung, freie Raubwirtschaft, Zunahme der Korruption und Absinken der internationalen Bedeutung wahr – und lehnte sie ab. Der Obrigkeitsstaat sollte erneut her, zumal dies auf historischer Erfahrung fusste.
In der Beurteilung der Gesamtsituation irrte man sich im Abendland, die osteuropäischen Bedenken überging man. Putins Krieg gegen die Ukraine basiert auf historisch geprägten Schablonen (Krieg mit Schweden, Osmanen) und der Erfahrung der jüngsten Zeit in Abchasien und auf der Krim: Der Westen hat die Aggressionen verurteilt, aber nie wirksam etwas Nachhaltiges dagegen getan. Schliesslich ist Russland eine Atommacht mit einer starken Armee, was sich jedoch als Trugschluss erwies. Konventionell entsprach die russische Armee weder dem Eigenbild noch ihrem früheren Ruf in der Welt. Als sich dies herausstellte, begann man verstärkt mit den Atomwaffen zu drohen. Putin ist jedoch kein Selbstmörder und weiss, dass ein atomverwüstetes Russland weder «selbstständig» noch «Grossmacht» würde.
Putins Krieg ist von den eigentlichen Zielen her ein verlorenes Vorhaben. Die internationale Bedeutung des Kreml hat abgenommen. Statt dass die Nato von den russischen Grenzen ferngehalten würde, sind die gemeinsamen Grenzen um 1300 Kilometer länger. Der Niedergang der Bedeutung ist an den neuen Verbündeten zu sehen: Iran, Nordkorea.
Dennoch ist es nicht egal, wie die Konfrontation endet. Wenn Kiew die Soldaten und Waffen ausgehen, wird es eine selbstständige Ukraine wie heute nicht mehr geben. Die Lehre dieser Entwicklung: Krieg als Fortsetzung der Politik wird «salonfähig», Atomwaffen zu besitzen (und damit zu drohen), wird zum Vorteil. Der Kreml dreht die Eskalationsspirale weiter und setzt das Baltikum, Moldau und Polen als nächste Opfer auf die Tagesordnung – ohne dass das Gefühl der Sicherheit in Russland zunehmen würde. Ein Waffenstillstand oder ein realistisch vorstellbarer Frieden würden an den Intentionen Moskaus nichts ändern. Putin hat Russlands Bedeutung so sehr geschadet, dass er aus dieser Sackgasse nur unter Vorweisung von «Erfolgen» herauskommen kann.
Um dies zu vermeiden, ist einerseits die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine erforderlich. Anderseits sind Sicherheiten vonnöten, die nicht den derzeitigen Vorstellungen des Kreml entsprechen – und die mehr sind als nur Versprechen auf einem Blatt Papier.
Janos I. Szirtes ist Politikwissenschaftler und Verfasser zahlreicher Bücher. Er lebt in Budapest.
Fehler gefunden?Jetzt melden.