Streit zwischen Moskau und BrüsselRussland lässt sich von niemandem etwas vorschreiben
Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell fordert in Moskau die sofortige Freilassung des Kremlkritikers Alexei Nawalny. Moskau verbittet sich jede «Einmischung».
Die beiden Männer gaben sich wenig Mühe, ihre Differenzen zu verbergen. «Für Russland ist die EU ein unzuverlässiger Partner», sagte Sergei Lawrow in der Pressekonferenz, für die Russlands Aussenminister seine Gespräche mit dem EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell unterbrochen hat. Dieser nutzt seinen Antrittsbesuch in Moskau, um die Forderung der EU nach der sofortigen Freilassung des Kremlkritikers Alexei Nawalny sowie von dessen Anhängern zu wiederholen. Ein Gericht hatte Nawalnys Bewährungsstrafe von dreieinhalb Jahren in eine Gefängnisstrafe umgewandelt.
Borrell sagte, die bilateralen Beziehungen seien «in den letzten Jahren von grundlegenden Unterschieden und mangelndem Vertrauen» geprägt gewesen und man sehe sich gegenseitig «eher als Konkurrenten oder Rivalen» denn als Partner. Der EU-Chefdiplomat erinnerte Lawrow daran, wer für Russland der wichtigste Handelspartner und die grösste Quelle für ausländische Direktinvestitionen ist: die EU. Er wies den Vorwurf zurück, Brüssel mische sich mit seiner Kritik in innere Angelegenheiten Russlands ein. Fragen wie Rechtsstaatlichkeit, politische Freiheit oder eine aktive Zivilgesellschaft seien zentral für eine gemeinsame Zukunft.
Russland weist drei Diplomaten aus
Lawrow und Borrell betonten, bei Themen wie Klimawandel, Wissenschaft oder dem Iran-Nuklearabkommen zusammenarbeiten zu wollen, auch wenn man sonst in vielen Fragen uneins sei. Lawrow nutzte den Auftritt auch dazu, dem Westen Doppelstandards vorzuwerfen und die seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim bestehenden Sanktionen zu kritisieren.
Er warnte, eine weitere Verschlechterung der Beziehungen könnte unvorhersehbare Konsequenzen haben. Zur Entspannung dürfte auch nicht beitragen, was nach der Pressekonferenz bekannt wurde: Russland weist drei Diplomaten aus Deutschland, Schweden und Polen aus, weil diese angeblich an den Nawalny-Protesten teilgenommen haben.
Ende Januar hatte Litauens Aussenminister Gabrielius Landsbergis davor gewarnt, dass Russlands Regierung Borrells Besuch «für ihre Propaganda ausschlachten» werde. Die Sorge erwies sich als berechtigt: Moskauer Journalisten sprachen Borrell auf angebliche Menschenrechtsverletzungen in Lettland, US-Sanktionen gegen Kuba sowie ein Video des russischen Aussenministeriums an. Dieses dokumentiert brutale Polizeiaktionen in Tschechien, den USA oder Frankreich – und soll die westliche Kritik an den gewaltsamen Reaktionen der russischen Einsatzkräfte gegen Demonstranten kontern. Er kenne das Material nicht, entgegnete Borrell und verurteilte die Entscheidung von Donald Trump, Kuba auf die Terrorliste zu setzen.
Wenn Borrell Nawalny im Gefängnis besucht hätte, wäre dies einer Anerkennung der Verurteilung gleichgekommen.
Auf die Frage, ob die EU weitere Sanktionen gegen Russland plane, sagte Borrell, dass die EU-Aussenminister am 22. Februar über mögliche Massnahmen sprechen wollen. Zudem werden die Staats- und Regierungschefs im März über die Beziehungen zu Russland sprechen. In den vergangenen Tagen hatten EU-Diplomaten mit dem Umfeld Nawalnys auszuloten versucht, ob ein Treffen mit Borrell dem Kremlkritiker eher nutzen oder schaden würde. Nach dem Urteil am Mittwoch hiess es in Brüssel: Wenn Borrell Nawalny im Gefängnis besucht hätte, wäre dies einer Anerkennung der Verurteilung gleichgekommen.
Mehr als 11’000 Menschen festgenommen
Auch in Russland selbst nimmt der Unmut gegen den Umgang mit Kritikern zu. Das unabhängige Menschenrechts-Infoportal OWD fordert in einer Petition, «sofort die Gewalt und Willkür gegenüber Teilnehmern von Demonstrationen zu beenden». Nach der Verhaftung Nawalnys seien in Russland mehr als 11’000 Menschen festgenommen worden. Dabei habe man ihnen Mobiltelefone abgenommen, manche der Festgenommenen seien geschlagen oder sogar gefoltert worden, heisst es in der Petition, die an Innenminister Wladimir Kolokolzew und die Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa adressiert ist und bis Freitag von mehr als 10’000 Menschen unterzeichnet wurde.
Derweil wurde gegen Nawalny ein weiteres Verfahren eröffnet. Vor dem Moskauer Babuschkinski-Gericht musste sich der Kremlkritiker am Freitag wegen Verleumdung verantworten. Er hatte es im vorigen Jahr auf Twitter als «Schande» bezeichnet, als sich mehrere Russen in einem Video für die umfangreichen Verfassungsänderungen aussprachen. Einer von ihnen ist ein Weltkriegsveteran. Nawalny sprach von einem «PR-Prozess» und wies jede Schuld von sich. Ihm droht eine Geldstrafe von bis zu einer Million Rubel (etwa 12’000 Franken) oder 240 Stunden Arbeitseinsatz. In der Gerichtsverhandlung sassen auch Vertreter der Botschaften Frankreichs und Grossbritanniens.
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