Abstimmung in RusslandWie Putin das Volk sprechen lässt –wenigstens ein bisschen
Die Russen entscheiden über eine neue Verfassung. Warum das wichtig ist und warum Präsident Wladimir Putin den Urnengang tatsächlich gewinnen dürfte. Antworten auf neun Fragen.
Worüber stimmen die Russen ab?
Über einen bunten Mix von Verfassungsänderungen. Da wird zum Beispiel erstmals Gott erwähnt, die Ehe für Mann und Frau reserviert oder das russische über das internationale Recht gestellt. Zudem wird die Machtverteilung zwischen Parlament, Regierung und Präsidenten verschoben und die Amtszeit des Staatschefs auf zwei Amtszeiten beschränkt. Bisher waren zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten erlaubt. Ein Präsident konnte also nach einer Pause in den Kreml zurückkehren, wie das Putin 2012 gemacht hat.
Warum die Änderung?
Der Verdacht besteht, dass es einzig darum geht, mit einer neuen Verfassung bei der Zählung der Amtszeiten des Präsidenten wieder von vorne beginnen zu können. Putin darf nach der Verabschiedung der neuen Verfassung noch zweimal für sechs Jahre gewählt werden, so hat es das Parlament beschlossen.
Welche Verfassung hat Russland heute?
Eine starke Präsidialverfassung nach französischem Vorbild. Sie ist 1993 in Kraft getreten, allerdings nicht ohne Widerstand: Der damalige russische Präsident Boris Jelzin wollte sie durchsetzen, um das widerborstige Parlament politisch kaltzustellen. Als sich die Abgeordneten widersetzten, liess er das Parlament mit Panzern beschiessen. Einen besonders guten Start hatte die Verfassung also nicht.
Ein Sieg mit einer einfachen Mehrheit ist in Russland kein Sieg.
Bekommt der Präsident mit der Revision noch mehr Macht?
Im Prinzip nein. Das Parlament bestimmt in Zukunft, wer Premierminister, wird und setzt Minister ohne Rücksprache mit dem Präsidenten ein, allerdings nur die weniger wichtigen. In den Machtministerien hat weiter der Präsident das Sagen: Er setzt beispielsweise die Minister für Verteidigung, Justiz, Innen- und Aussenpolitik ein, das Parlament muss er dafür nicht mal mehr konsultieren. Zudem kann er den von den Abgeordneten gekürten Premier einfach wieder entlassen. Die genaue Machtverteilung wird davon abhängen, wer Präsident wird: Zieht eine neue Person im Kreml ein, wird das Parlament gestärkt, bleibt Putin an der Macht, kann er künftig noch mehr machen, was er will – und das fast so lange er will.
Wann tritt Putin ab?
Nach der alten Verfassung läuft seine Amtszeit 2024 definitiv ab. Mit der neuen Verfassung wird er aber weitere 12 Jahre an der Macht bleiben können, erst 2036 muss er gehen. Das gäbe eine Amtszeit von 32 Jahren als Präsident und vier als Premierminister – länger hat es in Russland und der Sowjetunion nur Peter der Grosse an der Macht ausgehalten. Putin hat bisher offengelassen, ob er auch von der Möglichkeit Gebrauch machen und wieder kandidieren wird. Findet er bis zu den Wahlen einen valablen und loyalen Nachfolger, ist es denkbar, dass er selber nicht mehr antritt oder nur noch eine Amtszeit absolviert.
Warum sollten die Russen einen ewigen Putin wollen?
Viele Menschen haben Angst vor einem Wandel. Putin finden vielleicht nicht alle gut, doch zumindest weiss man, woran man ist: «Die heutigen Machthaber haben schon alles gestohlen, was sie haben wollen, mit einem Machtwechsel würde das Stehlen nur von vorne anfangen», kommentieren viele Russen das Thema sarkastisch. Zudem ist das Referendum ein Sammelpaket, in das auch Geschenke verpackt sind. Garantierte Rentenerhöhungen zum Beispiel, etwas, das normalerweise nicht in einer Verfassung steht. Oder das Verbot einer Ehe für alle, etwas, das in Russland eine breite Mehrheit findet.
Wird Putin die Abstimmung gewinnen?
Das braucht er gar nicht. Die Verfassungsänderung ist bereits rechtsgültig vom Parlament beschlossen, die Volksabstimmung ist eigentlich gar nicht nötig. Putin will dem Vorhaben damit aber zusätzliches Gewicht und seinen allfälligen neuen Amtszeiten zusätzliche Legitimität verschaffen. Aber ja, er wird die Abstimmung ganz bestimmt gewinnen, obwohl es vor allem in den Städten auch Widerstand gibt gegen das Projekt und viele Russen allmählich Putin-müde sind.
Wird die Abstimmung frei und fair sein?
Offenbar hat Putin eine Mehrheit für seine Verfassungsrevision. Rund 44 Prozent der Russen geben in Umfragen an, dafür stimmen zu wollen, 32 Prozent sind dagegen. Die Zahl der Befürworter ist gestiegen seit März, die Corona-Krise hat Putin in dieser Hinsicht also nicht geschadet. Doch ein Sieg mit einer einfachen Mehrheit ist kein Sieg in Russland: Zwar müssen es nicht mehr wie zu Sowjetzeiten 99 Prozent sein, doch der Kreml stellt sich wohl eine Zustimmungsrate über der 70-Prozent-Marke vor. Und natürlich eine hohe Wahlbeteiligung, um zu zeigen, wie begeistert das Volk von Putins Plan ist.
Und wenn das nicht funktioniert, wird nachgeholfen?
Seit Wochen ist die Rede davon, dass das Ergebnis vor allem durch Onlineabstimmungen, ein Novum in Russland, manipuliert werden könnte. Immer wieder tauchen Berichte auf, laut denen Dutzende SIM-Karten und Registrierungsnummern verteilt wurden, mit denen dann gegen Bezahlung mehrfach für Putins Verfassung gestimmt wird. Ob dies das Endergebnis massiv beeinflussen wird, ist schwer zu sagen.
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