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Ein Kardiologe erklärt
Warum ein tiefer Puls das Leben verlängert

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Herz-Kreislauf-Krankheiten sind in der Schweiz immer noch die Todesursache Nummer 1: Fast jede und jeder Dritte stirbt daran. Dabei liesse sich das Erkrankungsrisiko mit einem gesunden Lebensstil senken. Die meisten Menschen wissen heute zwar, wie wichtig es ist, regelmässig Blutdruck, Blutzucker und Cholesterin zu kontrollieren – und nötigenfalls zu behandeln.

Weniger bekannt ist aber, dass auch der Ruhepuls, also die Anzahl Herzschläge pro Minute im ausgeruhten Zustand, ein bedeutender Risikomarker ist.

Zu diesem Schluss sind in den letzten Jahren gleich mehrere Studien gekommen. So untersuchten dänische Forschende über 1200 Zwillingspaare ohne Herzerkrankungen. Bei 287 Paaren starb während der sechzehnjährigen Beobachtungszeit einer der Zwillinge: In drei Vierteln der Fälle lebte der Zwilling mit dem tieferen Puls länger. Umgekehrt ist ein hoher Puls schon ab 70 Schlägen pro Minute mit einem um 60 Prozent erhöhten Herzinfarkt- und Sterblichkeitsrisiko verbunden, wie Forschende am Universitätsklinikum des Saarlandes aufzeigten.

Bemerkenswert: Ein tiefer Ruhepuls hat nicht nur einen schützenden Effekt auf das Herz-Kreislauf-System, er scheint auch das Risiko für andere Krankheiten zu senken. Grund genug, um bei Kardiologe Christian Schmied nachzufragen, was der Herzschlag über unsere Gesundheit aussagt.

Herr Schmied, verschiedene Untersuchungen zeigen, dass ein tiefer Ruhepuls die Lebenserwartung erhöht. Können Sie uns sagen, warum?

Überraschend ist dieser Zusammenhang nicht. Denken wir nur an die Tierwelt: Das Herz zum Beispiel einer Maus schlägt rund 500-mal pro Minute – nach zwei bis drei Jahren ist dann aber auch schon Schluss. Eine Schildkröte hingegen kommt mit nur gerade 6 Schlägen pro Minute aus – und wird gegen 200 Jahre alt.

Kann man Tiere einfach mit Menschen vergleichen?

Natürlich nicht eins zu eins. Aber damit lässt sich anschaulich erklären, wie ein Organismus funktioniert: Die Schildkröte lebt in einem Sparmodus, ihr Herz arbeitet ökonomischer als das der Maus.

Ist die Herzfrequenz aber nicht angeboren und für jede Spezies vorbestimmt?

Zu einem grossen Teil ja. So wird ein Mensch nie nur annähernd an den Wert der Schildkröte herankommen. Aber einen gewissen Spielraum gibt es schon. Erwachsene haben normalerweise einen Ruhepuls von 60 bis 80 Schlägen pro Minute. Ausdauersportlerinnen und -sportler können aber ohne weiteres auf 40 oder sogar nur 30 kommen.

Dann ist Sport eine gute Methode, um den Ruhepuls zu senken?

Ja, vor allem Ausdauertraining ist sehr wirkungsvoll. Es ist aber nicht die einzige Möglichkeit, den Herzschlag zu ökonomisieren. Auch Entspannungsübungen können dazu beitragen. Denn die Pulsregulation übernimmt das vegetative Nervensystem. Dieses regelt fast alle Vorgänge in unserem Körper und besteht aus zwei Teilen: dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Der Parasympathikus erhält die Grundfunktionen aufrecht – Atmung, Verdauung und eben den Herzschlag. Der Sympathikus dagegen wird nur aktiviert, wenn wir in einer Ausnahmesituation stecken, die ausserordentliche Kräfte und Konzentration erfordert. Früher hiess das zum Beispiel, einem gefährlichen Tier davonzurennen oder mit ihm zu kämpfen; heute ist es vielleicht eher Stress im Beruf oder in der Familie.

Also gilt es vor allem, das sympathische Nervensystem zu trainieren, um in solchen Stresssituationen zu bestehen?

Nein, es ist genau umgekehrt: Sinnvoller wäre es, wenn wir den Parasympathikus stärken würden, der für Entspannung und Erholung zuständig ist.

Das müssen Sie jetzt aber genauer erklären.

Wie gut jemand im Notfall mit den Ressourcen seines Körpers klarkommt, hängt ganz entscheidend von der Grundaktivität des parasympathischen Nervensystems ab. Ein hoher Ruhepuls bedeutet, dass diese Grundaktivität bereits erhöht ist und das System entsprechend geschwächt. Das ist schlecht: Man möchte ja im Ruhezustand möglichst wenig Energie verbrauchen, um dann im Ernstfall alle verfügbaren Reserven abrufen zu können. Wenn wir es heute auch nicht mehr mit wilden Tieren zu tun haben, geht es bei diesem evolutionär bedingten Mechanismus doch immer darum, das Überleben zu sichern. Und dafür ist ein niedriger Puls einfach besser.

«Wer seinen Ruhepuls von 80 Schlägen pro Minute auf 60 senkt, erspart sich in drei Jahren ein ganzes Jahr an Herzarbeit.»

Christian Schmied, Kardiologe

Gilt das auch für geistige oder seelische Herausforderungen, mit denen wir heutigen Menschen ja viel öfter konfrontiert sind?

Durchaus. Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen, die sich regelmässig bewegen, besser mit Stresssituationen umgehen können und auch weniger psychisch erkranken. Wenn sich der Herzschlag möglichst flexibel den körperlichen und mentalen Anforderungen anpassen kann, sprechen wir Kardiologen von einer hohen «Herzfrequenzvariabilität». Diese ist ein Indikator für einen guten Fitness- und Gesundheitszustand.

Dann darf tatsächlich auf ein längeres Leben hoffen, wer einen tiefen Ruhepuls hat?

Ja. Aufgrund der Daten, die wir heute kennen, kann man das sagen. Wobei es natürlich auch Krankheiten gibt, auf die der Puls weniger Einfluss hat. Interessant ist aber, dass ein tiefer Puls generell zu einer geringeren Krankheitsanfälligkeit und zu einem besseren Wohlbefinden führt.

Was ist Ihre Erklärung dafür?

Dies zeigt, dass der Risikofaktor Stress bei allen Krankheiten immer noch massiv unterschätzt wird. Und da kann eben, wie erklärt, ein tiefer Ruhepuls entgegenwirken, indem er den Parasympathikus stärkt.

Aber man kann doch nicht von allen Menschen erwarten, dass sie wie Leistungssportler trainieren, um ihren Puls in den optimalen Bereich runterzudrücken?

Das ist auch gar nicht nötig. Zum einen bringen Pulswerte unter 50 keinen Zusatznutzen. Zum anderen: Wer seinen Ruhepuls zum Beispiel nur schon von 80 Schlägen pro Minute auf 60 senkt, entlastet das Herz enorm: Damit lässt sich in drei Jahren ein ganzes Jahr an Herzarbeit einsparen. Das ist auch für Durchschnittsmenschen ein realistisches Ziel. Und es gibt noch eine gute Botschaft: Das Herz ist bis ins hohe Alter trainierbar.

Wenn das Herz aber langsamer schlägt: Besteht dann nicht die Gefahr, dass der Körper nur noch unzureichend mit Blut versorgt wird?

Da muss man keine Bedenken haben. Ein trainiertes Herz ist grösser und kräftiger als ein untrainiertes; es kann deshalb problemlos genügend Blut pumpen – nur eben mit deutlich weniger Schlägen.

Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, wie sich der Ruhepuls senken lässt. Was treibt ihn denn überhaupt erst in die Höhe?

Alle Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und der bereits erwähnte Stress. Auch eine Schilddrüsenüberfunktion kann den Herzschlag beschleunigen. Gleich doppelt ungünstig ist Rauchen: Es schadet der körperlichen Fitness, zusätzlich aktiviert das Nikotin auch noch den Sympathikus. Das ist unerwünscht, weil dieser uns aufputscht und unnötigerweise in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, also stresst.

Es gibt ja Medikamente wie Betablocker, die in solchen Fällen den Herzschlag verlangsamen können. Wäre es eine Option, diese Mittel auch präventiv zu nehmen, da wir nun wissen, wie wichtig ein tiefer Ruhepuls ist?

Das würde ich keinesfalls empfehlen. Diese Medikamente sind dafür da, eine Krankheit zu behandeln. Auch haben sie teilweise erhebliche Nebenwirkungen. Nein, die Pille, die den Puls auf so gesunde Weise senkt wie Sport, ist noch nicht erfunden. Sie hätte das Potenzial zum Anti-Aging-Verkaufsschlager!

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