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Ruag-Fabrikbesitzer im Interview
«Ein zentraler Pfeiler der Produktion würde zerstört»

Sein Unternehmen belieferte schon die Dogen von Venedig: Pietro Gussalli Beretta, Verwaltungsratspräsident der ältesten Waffenschmiede der Welt, vor der historischen Beretta-Villa in Gardone Val Trompia (Italien).
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Herr Gussalli Beretta, vor gut einem Jahr übernahmen Sie die Kleinkaliber-Munitionssparte Ammotec von der Ruag. Nun soll mitten auf dem Firmengelände eine Haltestelle der S-Bahn gebaut werden. Was halten Sie davon?

Darüber bin ich sehr besorgt. Die lokalen Behörden hatten das zusammen mit dem Ruag-Management vor der Übernahme entschieden. Es ist in meinen Augen ein sehr seltsames Verhalten, einerseits zu verlangen, dass die Produktion in der Schweiz bleibt, weil das für das Land strategisch wichtig sei. Und gleichzeitig akzeptieren die Politiker ein Abkommen für eine Bahnstation, mit dem eine für uns wichtige Anlage zerstört wird. Das werden wir diskutieren müssen.

Wo liegt das Problem?

Die Stadt Thun möchte das Gebiet rund um das Werk entwickeln. Die Haltestelle soll in rund zehn Jahren dort hinkommen, wo jetzt die unterirdische Schiessanlage liegt, in der die Munition getestet wird. Die Anlage ist topmodern und gilt als die beste der ganzen Gruppe. Damit würde ein zentraler Pfeiler der Produktion zerstört.

«Wenn die Schweiz unsere Anlage zerstören möchte, verstehe ich nicht, wie sie draufkommt, dass die Firma in Thun überleben kann.»

Kann man die Schiessanlage nicht anderswo auf dem Gelände platzieren?

Das würde Unsummen kosten und zu erheblichen Produktionseinschränkungen führen. Eine industrielle Anlage, notabene unter der Erde, ist nicht einfach ein Gebäude, dass 200 Meter verschoben werden kann. Das ist ein wirklich grosses Problem für den Standort. Und es betrifft 400 Mitarbeitende, von denen die meisten aus Thun stammen. Es gibt momentan viele Länder, die gern eine Munitionsfabrik auf ihrem Territorium möchten. Wenn die Schweiz aus politischen Gründen, in die ich mich nicht einmischen möchte, unsere Anlage zerstören möchte, verstehe ich nicht, wie sie draufkommt, dass die Firma in Thun überleben kann.

Sie haben vor dem Kauf garantiert, die Produktion während mindestens fünf Jahren in der Schweiz zu lassen. Gilt das nicht mehr, wenn die Bahnstation gebaut wird?

Von meiner Seite bin ich bereit, jährlich hohe Beträge in das Werk in Thun zu investieren. Ich bin an den dortigen Mitarbeitenden interessiert und versuche, in der Schweiz mit ihren Vorschriften zum Kriegsmaterialexport unser Bestes zu geben. Wenn aber eine Haltestelle der Bahn wichtiger ist als die Industrie, muss ich das verstehen und reagieren.

Haben Sie vor dem Kauf nichts von der Bahnstation gewusst?

Nein, wir haben es erst sehr spät im Prozess erfahren. Es ist schon seltsam: Als wir Ammotec kaufen wollten, waren verschiedene Politiker dagegen, dass eine internationale Gruppe eine Schweizer Rüstungsfirma kauft. Gleichzeitig war aber damals schon vereinbart, die Bahnstation zu bauen. Wir haben Ammotec gekauft und versuchen jetzt, für SwissP Defence das Beste herauszuholen. Aber das mit der Bahnstation wurde von den Schweizern entschieden, bevor sie uns die Gesellschaft verkauft haben. Es stimmt nicht mit dem überein, was es vor dem Kauf hiess.

Die Fluktuation in dem Werk ist angeblich überdurchschnittlich hoch. Woran liegt das?

Das kann ich so nicht bestätigen, die Firma ist im Gegenteil stabil. Was wir aber sagen können: Allein in diesem Jahr werden wir rund fünf Millionen Franken in den Standort investieren. Zudem haben wir im Bereich der Produktentwicklung und Materialforschung interessante Projekte in Thun laufen.

Welche Pläne haben Sie mit dem Unternehmen, wenn die Haltestelle nicht gebaut wird?

Meine Absicht ist, in Thun weiterzumachen. Wir haben die Gesellschaft SwissP Defence genannt. Das zeigt, wie sehr wir an die Schweiz, das Unternehmen und die Mitarbeiter glauben. Thun ist einer der grössten Produktionsstandorte innerhalb unserer Gruppe.

Sie haben die Produktion in Thun von einem Dreischicht- auf einen Zweischichtbetrieb zurückgefahren. Warum?

Wie jedes Unternehmen müssen wir das Produktionsniveau und die Kapazität jeweils an das Auftragsvolumen anpassen. Es ist spezifisch im Verteidigungsbereich so und führt zu Veränderungen nach oben und unten. Wir konnten mit diesem Schritt sowohl die Effizienz steigern als auch die Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden optimieren.

«Wir haben unmittelbar nach Kriegsausbruch sämtliche Aktivitäten in Russland eingestellt.»

Die Beretta-Holding wurde wiederholt im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg genannt. Trifft es zu, dass Ihre russische Tochterfirma Russian Eagle weiterhin zivile Jagd- und Sportschützenwaffen in Russland verkauft?

Das stimmt nicht. Wir haben unmittelbar nach Kriegsausbruch sämtliche Aktivitäten in Russland eingestellt. Über Russian Eagle haben wir früher Jagdgewehre verkauft, haben aber die Lieferungen sofort komplett eingestellt, ebenso wie an andere Vertriebspartner in Russland.

Die Tochterfirma ist aber immer noch aktiv. Kürzlich organisierte sie einen Schiesswettbewerb mit Beretta-Waffen.

Es ist keine hundertprozentige Tochterfirma, sondern eine Beteiligung. Sie bekommt kein einziges Produkt mehr von uns geliefert. Wir haben überhaupt keinen Kontakt mehr zu den Leuten vor Ort. Ich weiss nicht, was sie verkaufen – es ist ihre Beteiligung.

Können Sie ausschliessen, dass im Ukrainekrieg Munition zum Einsatz kommt, die in der Schweiz von Swiss P hergestellt wird?

Selbstverständlich. So etwas zu behaupten, wäre Fake News. SwissP Defence hat überhaupt nichts mit dem Ukrainekrieg zu tun. Wir halten uns an die Beschlüsse der Schweizer Regierung. Es ist die konsequente Politik der Beretta-Gruppe, dass jede Firma den Gesetzen und Weisungen des Staates folgt, in dem sie angesiedelt ist. SwissP Defence ist in Kontakt mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft und verkauft keine Produkte, die in der Schweiz hergestellt wurden, weder in die Ukraine noch nach Russland.

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Die neue Besitzerin hat sich verpflichtet, den Standort Thun mindestens fünf Jahre lang weiter zu betreiben. 
Die ehemalige Ruag-Ammotec, die Munitionsdivision des Rüstungsunternehmens,  ist führend in der Produktion von Kleinkalibermunition. 
Das Unternehmen heisst heute Swiss P Defence, beliefert unter anderem die Schweizer Armee und gehört seit einem Jahr zur italienischen Waffenfabrik Beretta mit weltweit über 50 Tochtergesellschaften.

Mit dem Ukrainekrieg hat sich das Image der Rüstungsindustrie markant verbessert. Ganz Europa hilft, die Ukraine zu verteidigen – und erhöht die Rüstungsetats. Spüren Sie das persönlich?

Dazu kann ich nur sagen, dass die europäischen Regierungen gemerkt haben, dass sie nicht vorbereitet sind, sollte ihnen etwas Ähnliches wie der Ukraine widerfahren. Überall in Europa versuchen die Politiker, mehr in die Verteidigung zu investieren. Unsere Gruppe ist in diesen Prozess involviert. Wir spüren natürlich, dass die Verteidigungsetats überall wachsen. Deshalb planen wir dieses Jahr, unser Budget für Investitionen in unserer gesamten Gruppe – nicht nur im Verteidigungsbereich – markant zu erhöhen.

Was heisst markant?

Von 55 auf 90 Millionen Euro. Das ist sehr viel Geld. Ein grosser Teil davon fliesst nach Europa. Aber auch in anderen Teilen der Welt erhöhen viele Länder ihre Verteidigungsbudgets.

Macht es Ihnen seit dem Kriegsausbruch mehr Vergnügen, Ihren Namen zu nennen, der mit einer berühmten Pistole untrennbar verbunden ist?

Für mich war das nie ein Thema. In meinem Leben bin ich viel gereist, war mehr oder weniger überall auf der Welt. Wenn ich am Flughafen gelandet bin, selbst auf einer entlegenen Insel, wussten die Leute, was Beretta ist. Der Name war ihnen lange vor dem Ukrainekrieg bekannt.

In der Schweiz gibt es Gerüchte, dass Beretta Ammotec als führenden Hersteller von Kleinkalibermunition mit der Absicht gekauft habe, das Familienunternehmen zu einem besseren Preis verkaufen zu können. Gibt es Interessenten?

Das ist natürlich völliger Unsinn. Beretta existiert seit 1526 und ist momentan sehr stark. So stark, dass wir daran sind, neue Zukäufe zu tätigen. Wir werden die Beretta Holding nicht verkaufen, sondern unsere Gruppe weiter vergrössern und andere Unternehmen kaufen.

«Für uns war die Akquisition von enormer strategischer Bedeutung für die Gruppe insgesamt.»

Als sie Ammotec von der Ruag übernommen haben, erklärten Sie, die Munitionsfabrik in Thun solle wachsen und Gewinne abwerfen. Haben Sie Ihr Ziel erreicht?

Wir sind auf gutem Weg, es zu erreichen. SwissP Defence, wie die Schweizer Produktionsstätte der Ammotec mit den 400 Angestellten in Thun mittlerweile heisst, wird den Umsatz im laufenden Jahr um drei bis fünf Prozent gegenüber dem vergangenen Jahr steigern. Dank dem professionellen Management und den gut qualifizierten Mitarbeitenden hat selbst der Gewinn erfreulich zugenommen. Das zeigt uns, dass der Austausch mit den anderen Beretta-Holding-Firmen im Jagd- und Sportwaffen-Bereich funktioniert. Die Synergien mit dem Rest der Gruppe eröffnen für SwissP Defence Möglichkeiten.

Umgekehrt profitiert auch die Beretta-Gruppe: Sie konnte ihre Verkäufe von weniger als einer Milliarde auf 1,4 Milliarden Euro steigern. Dank Ammotec?

Die Integration von Ammotec war tatsächlich ein Meilenstein, der unsere Gruppe in eine neue Ära geführt und unser Angebot an Waffen, Optik, Munition und Zubehör ideal ergänzt hat. Im laufenden Jahr werden die Verkäufe der gesamten Gruppe voraussichtlich auf 1,6 Milliarden Euro steigen, bei einem Betriebsgewinn von 279 Millionen.

Wie sieht es mit dem weltweit tätigen übrigen Bereich der ehemaligen Ammotec aus – ist dieser ebenfalls auf Kurs?

Wir sind sehr zufrieden mit den verschiedenen Ammotec-Firmen und sehen viele positive Möglichkeiten für die Zukunft. Für uns war die Übernahme von enormer strategischer Bedeutung für die Gruppe insgesamt. Schon nach ziemlich kurzer Zeit sehen wir viele positive Ansätze, die unseren Entscheid nur bekräftigen.