Bill Anderson geht auf Ende JahrRoche steht ohne Pharmachef da
Noch nie gab es beim Pharmariesen so viele Wechsel in den Toppositionen, nun muss auch die Spitze neu besetzt werden. Beim Konzern in Basel ist das eine spezielle Schlüsselfunktion.

Der Basler Pharmariese Roche besetzt sämtliche Toppositionen neu: Nach dem Verwaltungsratspräsidenten und dem Konzernchef muss Roche jetzt auch eine neue Führung für das Herz des Unternehmens, die Pharmasparte, suchen. Der bisherige Pharmachef Bill Anderson, der 2018 von der Tochter Genentech nach Basel kam, verlässt auf Ende Jahr Roche.
Potenzielle Nachfolger für Anderson gibt es bereits. «Wir haben gute interne Kandidatinnen und Kandidaten», sagt Roche-Chef Severin Schwan dieser Zeitung. Bis März 2023 solle die Entscheidung fallen, und die oder der Neue kann dann sogleich die Stelle antreten.
Zwischenzeitlich übernimmt der aktuelle Chef der Diagnostiksparte, Thomas Schinecker, die Pharmaführung. Ab März wechselt er dann in die Rolle des Konzernchefs, wo er Severin Schwan beerbt, der neuer Roche-Präsident wird.

Noch-Pharmachef Anderson geht auf eigenen Wunsch, wie Schwan sagt. Sein Weggang war absehbar – Roche hat ihn im Sommer bei der Ankündigung des CEO-Wechsels quasi in Kauf genommen. Denn der 57-Jährige war bei der Wahl ins Hintertreffen geraten, als der jüngere Schinecker als Chef des wesentlich kleineren Diagnostikgeschäftes zum neuen Konzernchef gekürt wurde. Dieser hatte die Division während der Pandemie sehr erfolgreich geführt.
Anderson geht nicht im Streit. Der US-Amerikaner steht bis März laut Schwan noch für die Übergabe bereit und wirkt auch noch beratend bei den alljährlichen Planungssitzungen zu Jahresbeginn mit.
«Der Transformationsprozess hin zu schlankeren und effizienteren Strukturen geht weiter.»
Anderson hinterlässt bei Roche eine deutlich offenere Kultur. Er brachte den kalifornischen Genentech-Stil nach Basel. Schon äusserlich liess sich das an seinem T-Shirt unter dem blaugrauen Kittel ablesen. An ihm hielt er auch nach fünf Jahren unter den Basler Hemdenträgern fest. Er schaffte es aber vor allem, überflüssige Hierarchien zu beseitigen – und damit Forschung und Entwicklung zu beschleunigen. Sogar die Budgetkontrolle fiel weg.
«Der Transformationsprozess hin zu schlankeren und effizienteren Strukturen geht weiter», verspricht Schwan. Der Wandel sei nicht auf die Pharmasparte beschränkt und sei auch in der Diagnostik von Schinecker stark vorangetrieben worden. Aber Schwan gibt auch zu: «Bill Anderson war da im Pharmabereich ganz federführend.»
Was auf die Neue oder den Neuen zukommt
Die Aufgabe der neuen Pharmachefin oder des neuen Pharmachefs besteht jedoch vor allem darin, die generelle Richtung von Forschung und auch Marketing vorzugeben. Welches einzelne Medikamentenprojekt weitergeführt oder aufgegeben werden soll, entscheiden Ausschüsse auf niedriger Stufe. Weitreichende und teure Beschlüsse über grosse klinische Studien wie etwa zum vor wenigen Wochen letztendlich gescheiterten Alzheimer-Medikament trifft die gesamte Geschäftsführung zusammen.
Die Pharmaführung hat bei Roche ein speziell grosses Gewicht. Denn der Konzern ist anders als etwa Novartis nicht auf bestimmte Krankheitsfelder ausgerichtet. Sondern er ist offen für Projekte, die sich auf allen Gebieten aus dem Forschungsverlauf ergeben.
Dass Roche zum grössten Giganten bei der Krebstherapie wurde, hatte sich rein zufällig ergeben: Ende der 70er-Jahre galt Interferon als ein erstes vielversprechendes Krebsmedikament, und Roche beauftragte Genentech mit dessen Herstellung. Daraus ergab sich die Zusammenarbeit der beiden Firmen, die schliesslich nach der Entdeckung von Antikörpern für die Krebstherapie zur Übernahme von Genentech mit ihren drei Mega-Krebsblockbustern Herceptin, Avastin und Rituxan führte.
«Follow the Science»
Der Patentschutz der grossen Krebs-Antikörpertherapien ist abgelaufen, und Roche hat es dank seinem offenen Forschungsansatz unter dem Motto «Follow the Science» geschafft, auch auf anderen Gebieten wie Neuro- oder Blutkrankheiten zu punkten. Anderson machte die neuen Therapien durch gekonntes Marketing zu neuen Umsatztreibern.
Pharmaanalyst Stefan Schneider vom Investmenthaus Vontobel lobt Andersons Arbeit bei Roche: «Er hat sicher einen guten Job gemacht, unter ihm hat die Pipeline mit neuen Therapien floriert.» Er habe auch in der Kommunikation mit Analysten überzeugt.
«Anderson hat ein wenig an Glaubwürdigkeit verloren, weil er Fehlschläge nicht auch mal zugeben kann.»
Etwas kritischer ist Analyst Michael Nawrath vom Schweizer Research- und Brokerhaus Octavian. «Anderson hat ein wenig an Glaubwürdigkeit verloren, weil er Fehlschläge nicht auch mal zugeben kann.»
Eine neue Brustkrebstherapie, die Rezeptoren nicht mit Antikörpern blockiert, sondern sie zerstören soll, wird vielleicht nur bei ganz bestimmten Untertypen dieser Krankheit funktionieren. Roche hatte die sogenannte Serd-Therapie als neuen Wachstumstreiber angekündigt, dieses Versprechen bisher aber noch immer nicht zurückgenommen. Der Aktienkurs sackte zudem über Tage ab, nachdem Roche diesen Mai mit seiner neuartigen Anti-TIGIT-Therapie scheiterte. «Mit insgesamt fast 8.500 Patienten und 10 verschiedenen Krebsarten ist das Risiko bei diesen hohen Kosten nicht sorgsam kalkuliert worden.»
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