Rezepte gegen Gourmet-KriseWenn Sterneköche mit Schweinebraten locken
Kürzere Menüs, Bistrokonzepte, Vorauszahlungen – mit welchen Tricks Schweizer Topwirte leeren Tischen entgegenwirken.
Am Nebentisch im Edelrestaurant sitzt ein Paar. Vor ihnen stehen zwei Wassergläser, bestellt haben sie lediglich zwei Gerichte zum Teilen. Neben ihnen bleibt ein Vierertisch leer. Gegen 21 Uhr nimmt der Kellner dort das Reservationsschild weg. Da kommt niemand mehr. Solche Szenarien können zum finanziellen Problem werden, weil Feinschmeckerlokale nur wenige Plätze haben und nur wenige Betriebstage.
Das Ärgernis der No-shows ist selbst dem Gastroführer «Gault Millau» aufgefallen. Erstmals hat er Meldungen in seiner neu erschienenen Ausgabe abgedruckt, die Restaurantgäste erziehen sollen. Da steht beispielsweise: «Wenn Sie verhindert sind, sagen Sie den Tisch ab.» Vielen Gästen ist nicht bewusst, dass ihre Absage eine direkte Auswirkung auf die Bilanzen der Restaurants hat. Einen Tisch zu füllen, wenn man eine Stunde vorher eine Absage erhält, ist praktisch unmöglich.
«Drei Stunden am Tisch zu sitzen, dauert vielen schlicht zu lange.»
Ein Rezept für bessere Planbarkeit hat das Sternerestaurant Elmira in Zürich. Hier bucht und bezahlt man bereits bei der Tischreservation das Mehrgangmenü inklusive Getränkebegleitung. Damit wird für die Gastronomen vieles planbar, nicht zuletzt der Umsatz pro Kopf. Im ersten Betriebsjahr gab es null No-shows. «Wir machen super Erfahrungen damit, die Leute sagen rechtzeitig ab», sagt Loïc Mesqui, Mitgründer des Elmiras.
Die Gäste würden den Abend entspannter geniessen, vergleichbar mit einem Konzert oder dem Kino, bei dem auch vorher gezahlt werde. «Ein Besuch bei uns soll sich anfühlen, als wäre man bei Freunden daheim zu Gast», so Mesqui. Vorteile gibt es beim Einkauf und im Kampf gegen Food-Waste: Ist ein vegetarisches Degustationsmenü verkauft, weiss die Küchenbrigade genau, wie viel sie einkaufen und produzieren muss.
Vorausbezahlungen scheinen zu funktionieren, doch warum bleiben Tische im Elmira trotzdem leer? Loïc Mesqui hat eine Erklärung: «Viele, die sich unsere Menüs leisten könnten, wollen dennoch nicht so viel für Essen ausgeben.» Denn das Leben sei heute so schnelllebig, dass Gäste keinen ganzen Abend im Restaurant verbringen wollten. «Drei Stunden am Tisch zu sitzen, dauert vielen schlicht zu lange.» Diesen Gästen kommt das Elmira entgegen und bietet neben dem 7-Gang-Menü auch ein kürzeres Menü in 5 Akten an.
Gastromüde Gäste
Ein Blick über die Landesgrenze nach Deutschland zeigt, dass auch dort die besten Restaurants ihr Angebot justieren. Es scheint sich eine gewisse Müdigkeit der Gäste einzustellen: Beispielsweise hat das bekannte Fine-Dining-Restaurant Ernst in Berlin bekannt gegeben, dass es Ende 2024 schliessen werde. Der Grund: zu wenig Auslastung im Lokal. Das schreibt die «Süddeutsche Zeitung» und macht eine Gourmet-Krise aus.
Auch weitere Lokale wie das Restaurant Nobelhart & Schmutzig – immerhin unter den Top-50-Restaurants der Welt gelistet – haben Probleme, die Tische zu besetzen. «Bis letzten November waren wir brechend voll», sagt Billy Wagner, Chef des Nobelhart & Schmutzig, der «Süddeutschen», aber ab Dezember seien die Reservierungen dann eingebrochen.
Genfer Gourmets
An einem Branchenevent in Berlin war die Stimmung der Gastronomen gedämpft und viele sagten, dass ihnen bis zu einem Drittel der Gäste fehlen. Die Gründe: Inflation, steigende Kosten bei sinkender Kaufkraft, Personalknappheit und andere Corona-Nachwehen wie Rückzahlung von Krediten.
Plötzlich reden die Gastronomen offener darüber, dass die Lokale nicht voll sind. Auch keinen Hehl daraus macht Loïc Mesqui vom Elmira. «Letzthin hatten wir nur acht von 26 Plätzen reserviert.» Er ist aber guter Hoffnung: Es brauche Zeit, bis die Reservationsbücher voller würden. Schliesslich sei das Lokal erst ein Jahr offen und kürzlich mit einem «Michelin»-Stern für Nachhaltigkeit und einem «Michelin»-Stern für Qualität ausgezeichnet worden.
Von der einen Schweizer Wirtschaftsmetropole in die andere, nach Genf zu Olivier Jean vom L’Atelier de Joël Robuchon. «Der Fine-Dining-Markt ist hier wegen der Touristen, Geschäftsessen und nicht zuletzt auch wegen der Genfer Gourmets sehr gut», sagt der Zweisternekoch.
Sein Restaurant ist – unüblich auf Spitzenniveau – auch am Mittag offen. Gästen bietet er für unter 80 Franken ein 3-Gang-Menü. Abends serviert er bis zu sieben Gänge für 249 Franken, bietet aber auch eine Karte mit 30 Gerichten.
Schweinebraten und Schnitzel
In den zwölf Jahren, die Jean hier arbeitet, hat er beobachtet, dass Gäste weniger lange am Tisch sitzen. Deshalb öffnet er bereits um 19 Uhr und bietet das Degustationsmenü auch abgekürzt an. Was sich vielerorts bewähre: «Wenn man ein Bistrokonzept mit den gleichen Produkten hat, kann der Gast den Stil des Chefs kennen lernen. Mag er ihn, nimmt er das nächste Mal im Gourmetlokal Platz. Und umgekehrt», ist er sicher.
Weil Laufkundschaft nicht in Gourmetlokale reinspaziert und man dort eher Jubiläen oder Geburtstage feiert, versuchen Gastronomen es mit rustikalen Events: Wo sonst gediegen in mehreren Akten gespeist wird, locken niederschwelligere Angebote. In Deutschland ist es der Schweinebraten de luxe, hierzulande eher ein Wildmenü oder ein Schnitzelabend.
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