Erleichterung am FlughafenRevolution bei der Gepäckkontrolle – und die Schweiz hinkt hinterher
Fliegen wird einfacher: Europäische Flughäfen streichen dank neuer Scanner die 100-Milliliter-Regel fürs Handgepäck. In der Deutschschweiz müssen sich die Passagiere aber gedulden.
Sommerzeit ist Reisezeit, und auch dieses Jahr wird sich für viele Reisende das wiederholen, was sie schon öfters erlebt haben: Da steht man schon gefühlt eine Ewigkeit in der Schlange für die Sicherheitskontrolle, und dann muss die Person vor einem noch ihren halben Koffer umpacken, weil doch nicht alle Flüssigkeiten im separaten Sichtbeutel waren oder wegen ihrer Grösse gar nicht hätten mitgenommen werden dürfen.
Diese Hürde bei der Sicherheitskontrolle sei nachweislich ein grosser Stressfaktor für die Passagiere, sagt Aviatik-Dozent und Linienpilot Christoph Regli. Nicht nur wegen der Flüssigkeiten: «Wenn man das Tablet herausnehmen muss und dieses dann schneller durch die Sicherheitskontrolle ist als man selbst, machen sich die Leute Sorgen, dass sich jemand anderes dieses schnappt.» Dazu kämen dann noch immer häufiger wegen des aktuellen Personalmangels Flugverspätungen oder Ausfälle. «Da habe ich sogar etwas Verständnis dafür, wenn Passagiere schon mit kurzer Zündschnur ins Flugzeug einsteigen», so Regli.
Vereinfachte Kontrollen in Helsinki
Mindestens bei der Sicherheitskontrolle gäbe es nun aber etwas, das den Stress wohl deutlich mindert. Seit wenigen Tagen beispielsweise muss, wer vom Flughafen in der finnischen Hauptstadt Helsinki abfliegt, bei der Sicherheitskontrolle Flüssigkeiten und elektronische Geräte nicht mehr separat in die Box legen. Grund sind die neuen Scanner, welche die aus der Medizin bekannte Computertomografie (CT) einsetzen.
Im Gegensatz zur herkömmlichen Röntgentechnik machen diese in kürzester Zeit Hunderte Aufnahmen des Gepäckstücks und erstellen eine 3-D-Ansicht, sodass das Personal den Inhalt schichtweise durchleuchten kann und gewissermassen sieht, ob es sich um ein Stück Käse oder doch eher um Sprengstoff handelt.
Und noch eine Erleichterung wird den dortigen Passagieren geboten: Die 2006 eingeführte 100-Milliliter-Regel bei Gefässen mit Flüssigkeiten wurde gekippt. Diese war nach vereitelten Anschlägen mit Sprengstoff in Getränkeflaschen eingeführt worden.
In Helsinki wurde nun die zulässige Menge an Flüssigkeiten im Handgepäck auf zwei Liter pro Passagier erhöht. Eine normale Wasserflasche kann also problemlos mitgeführt werden und muss nicht noch hastig weggeleert oder ausgetrunken und später durch eine teurere Flasche aus dem Café am Abfluggate ersetzt werden.
Denn die Algorithmen der neuen CT-Scanner können Flüssigkeiten anhand ihrer Dichte identifizieren. So lässt sich feststellen, ob es sich um eine Fanta oder eben um flüssigen Sprengstoff handelt – und damit die Vorgabe ohne Mengeneinschränkung erfüllt wird.
Doch nicht nur in Finnland setzt man bereits auf die neuen Geräte. Auch der London-City-Airport hat beispielsweise schon komplett umgestellt und ebenfalls die Flüssigkeitseinschränkung fallen lassen. London Heathrow soll bis Mitte nächstes Jahr folgen. Wer derzeit ins Boardmagazin einer bestimmten spanischen Billigairline schaut, wird damit in den Süden gelockt, dass auch die Flughäfen von Madrid und Barcelona kommendes Jahr umstellen. Und auch an den grossen Flughäfen in Deutschland ist die Umstellung in vollem Gang.
Und wo steht die Schweiz? Bisher sind die CT-Scanner einzig am Flughafen in Genf im Einsatz, und dies schon seit Mitte 2018. Derzeit seien es zwei Linien, bald drei, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt. Die Erfahrungen damit seien bisher positiv; da die Passagiere nicht mehr alle Gepäckstücke herausnehmen müssten, werde der Betrieb beschleunigt. Besondere Probleme mit der Technik würden keine festgestellt.
Eine Einschränkung bei den Flüssigkeitsmengen besteht in Genf weiterhin. Komplett auf die Geräte umstellen könne der Flughafen derzeit auch aus baulichen Gründen noch nicht. Dies soll erst im Rahmen einer geplanten Terminalerweiterung passieren, deren Abschluss fürs Jahr 2032 vorgesehen ist.
Zürich beginnt Testphase erst nächstes Jahr
Auch am Euro-Airport Basel zeigt man sich interessiert an der Innovation, befindet sich aber nach eigenen Angaben erst im Stadium einer Studie zum Thema. Einen konkreten Zeitplan gebe es noch nicht. Und auch am grössten Schweizer Flughafen in Zürich muss man wohl noch etwas auf die vereinfachte Gepäckkontrolle warten.
Dort wurde kürzlich erst die Ausschreibung für die Geräte für die Testphase gemacht. Starten werde diese frühestens im zweiten Quartal 2024 und dann wohl auch einige Zeit dauern, denn wichtig sei, dass diese verschiedene Saisonalitäten darstellen kann, um die verschiedenen Passagierprofile abbilden zu können, wie eine Sprecherin schreibt.
Auf ein Datum für die Einführung will sich der Flughafen noch nicht festlegen, es sei aber geplant, dass alle Geräte ersetzt würden. Ob dann auch die Beschränkung bei den Flüssigkeiten fällt, lässt der Flughafen offen; das sei davon abhängig, ob das Gerät über die entsprechende Zertifizierung für diese Prüfung verfüge.
Doch wieso braucht Zürich im Gegensatz zu anderen wichtigen Flughäfen so lange? Eigentlich hätte das Projekt schon länger angegangen werden sollen, heisst es. Wegen Corona und des grössten Unternehmensverlusts der Firmengeschichte seien aber alle «nicht zwingenden» Projekte zwischenzeitlich auf Eis gelegt worden.
Christoph Regli nennt die Handgepäckscanner mit CT eine wichtige Innovation, da sie sicher zu einem tieferen Stresspegel bei den Passagieren und Mitarbeitern beitragen würden, zeigt aber Verständnis dafür, dass die Geräte nicht überall gleich schnell eingeführt werden. «Das hängt auch damit zusammen, ob alte Geräte sowieso ersetzt werden müssten, und auch von den finanziellen Möglichkeiten, diese Geräte sind sehr teuer.»
Und Regli sieht auch noch einen heiklen Punkt, wenn bald wieder grössere Flüssigkeiten im Handgepäck mitgenommen werden dürften. Dies könne dazu führen, dass Passagiere noch weniger Gepäck aufgeben und noch grösseres Handgepäck mitnehmen würden. Und zu wenig Platz fürs Handgepäck sei auch kein zu unterschätzender Stressfaktor. Zusätzlich darf nicht vergessen werden: Auch wenn am Abflughafen das teure Shampoo nun mitgenommen werden darf, heisst es derzeit noch lange nicht, dass es auch wieder zurückgenommen werden darf.
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