Ramadan beginnt ohne WaffenstillstandBiden zieht zittrige rote Linie
Der US-Präsident warnt Premier Netanyahu vor einem Angriff auf den Grenzort Rafah in Gaza, obwohl das Ultimatum, das Israel der Hamas gestellt hatte, abgelaufen ist. Wie ernst meint es Biden?
Noch hat sich der Neumond nicht gezeigt, der den ersten Tag des Fastenmonats Ramadan vorgibt. Doch es erscheint bereits so gut wie sicher, dass die Muslime im Gazastreifen ihren heiligen Monat im Krieg beginnen werden. Damit verstreicht das Ultimatum, das Israel der Terrororganisation Hamas gestellt hatte: Seien bis zum Beginn des Ramadan nicht alle israelischen Geiseln befreit, werde die Armee den Grenzort Rafah angreifen. 134 Entführte werden noch in dem Palästinensergebiet vermutet.
US-Präsident Joe Biden hat sein wiederholt erklärtes Ziel verfehlt, vorher einen Waffenstillstand herbeizuführen – obwohl er die Hoffnung noch nicht aufgeben will. CIA-Chef Bill Burns sei in der Region und setze sich weiterhin dafür ein, sagte Biden in einem Interview, das der US-Sender MSNBC am Wochenende ausstrahlte. Er sprach von einer «roten Linie», falls Israel nun den Grenzort Rafah angreife, den Zufluchtsort von rund 1,3 Millionen Palästinensern. Die USA verlangen von Israel ein Konzept zu ihrem Schutz, das bisher nicht vorliegt.
Biden weicht die eigene rote Linie wieder auf
Trotzdem weichte der US-Präsident seine rote Linie in dem Interview gleich selbst wieder auf. «Ich werde Israel nie im Stich lassen», sagte Biden. «Es gibt keine rote Linie, wegen der ich die Lieferung von Waffen einstellen würde.» Notfalls wolle er sich über Netanyahus Kriegskabinett hinwegsetzen und sich direkt an die Knesset, das Parlament in Jerusalem, wenden, sagte Biden. Zumindest bejahte er die Interviewfrage, ob er das in Erwägung ziehen würde. Allerdings zeigte sich gleich danach, dass er dafür eher keine konkreten Pläne schmiedet, Detailfragen wollte er auch keine beantworten.
Seiner zunehmenden Enttäuschung verlieh Biden Ausdruck, indem er sich kritischer als je zuvor über den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu äusserte. Dieser «schadet Israel mehr, als er Israel hilft», sagte Biden. «Er muss den unschuldigen Menschenleben mehr Aufmerksamkeit schenken, die verloren gehen.» Mehr als 31’000 Menschen sind in dem Krieg gemäss Angaben des Gesundheitsministeriums der Hamas ums Leben gekommen. «Das ist das Gegenteil dessen, wofür Israel steht», sagte Biden. «Es ist ein schwerer Fehler.» Er warnt Netanyahu seit Wochen, die internationale Unterstützung aufs Spiel zu setzen durch das gewaltsame Vorgehen in Gaza.
Biden leistet sich einen Fauxpas
Die jüngsten Bemerkungen Bidens reihen sich ein in eine ganze Serie von Warnsignalen aus Washington an den israelischen Ministerpräsidenten, wobei zumindest eines wohl nicht für die Ohren der Welt bestimmt war. Nach seiner Rede zur Lage der Nation am Donnerstag wurde der Präsident im Saal des Repräsentantenhauses umringt, wobei sein Mikrofon weiterlief. Es schnappte Bidens Bemerkung auf, er habe «Bibi» gesagt, er werde mit ihm ein «come to Jesus meeting» abhalten.
Der Ausdruck «zu Jesus kommen» ist eine Metapher für Momente der Erleuchtung, der Einsicht in eigene Fehler. Ihn auf einen jüdischen, israelischen Politiker anzuwenden, hat jedoch einen antisemitischen Unterton. Der US-Präsident rechtfertigte sich, die Redewendung sei gebräuchlich in Pennsylvania, wo er aufgewachsen sei. Netanyahu wisse, wie das zu verstehen sei, er kenne ihn seit 50 Jahren.
Kann Spuren von Wahlkampf enthalten
Der gewiefte Haudegen dürfte jedoch auch wissen, dass in Bidens Bemerkungen eine ganze Menge Wahlkampf steckt. Der US-Präsident steht wegen seiner Unterstützung für Israel unter Druck aus dem linken Parteiflügel sowie von muslimischen Wählern in wichtigen Swing-States. Bei Vorwahlen in Michigan und Minnesota wurde sichtbar, dass die Bewegung stark genug ist, um Biden bei der Präsidentschaftswahl im November entscheidende Stimmen wegzunehmen. Das stellte Biden in Abrede. Jene, die sich der Stimme enthielten, hätten dafür eine Vielzahl von Gründen, sagte er zu MSNBC.
Doch hatte er den Nahostkrieg zu einem wichtigen Thema seiner Rede zur Lage der Nation gemacht. Unter anderem kündigte er dabei den Bau eines schwimmenden Piers vor der Küste Gazas an, über den Hilfsgüter an die von Hunger bedrohte Bevölkerung geliefert werden sollen. In Betrieb gehen kann dieser frühestens in zwei Monaten. Und kurz nach der Vorwahl in Minnesota hatte Biden den israelischen Ministerpräsidenten blossgestellt, dem er seit Monaten eine Einladung ins Weisse Haus verweigert. Dafür empfing Vizepräsidentin Kamala Harris seinen Erzrivalen Benny Gantz.
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