Analyse zu US-Wahlen Bidens Resultat in Michigan befeuert die Zweifel an ihm – und die Rufe nach einem Plan B
Die demokratischen Wähler zeigen sich im Swing-State gespalten. Wie geht es nun weiter? Bidens Rückzug ist extrem unwahrscheinlich – aber dennoch möglich.
Es ist derzeit bestimmt nicht nur ein Vergnügen, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu sein. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, der Streit um Waffen und Dollars dafür, der Konflikt mit China, das Gezerre um Migration und Staatshaushalt, die Drogenplage – all die Krisen wären wohl für jeden Bewohner des Weissen Hauses ein bisschen viel auf einmal. Aber Joe Biden ist 81, hat mehr als fünf Jahrzehnte Spitzenpolitik in den Knochen – und steckt nun auch noch mitten im fiesen Wahlkampf.
In acht Monaten will er sein Amt verteidigen, voraussichtlich wie 2020 gegen Donald Trump. Biden glaubt weiterhin, dass nur er die USA vor Trumps Comeback und dem Ende der Demokratie bewahren kann; der Gedanke ist nicht mal völlig abwegig. Aber immer mehr Landsleute haben den Eindruck, dass er sich diese zweite Schlammschlacht und die Aussicht auf vier weitere Jahre Irrsinn besser ersparen sollte. Bidens Stimme wird immer leiser. Die Frage, wer von den Demokraten es sonst versuchen könnte, wird immer lauter. Aus guten Gründen.
Nun proben sie die Flucht nach vorn
Biden und seine Strategen proben jetzt die Flucht nach vorn, er macht Witze über sein Alter, setzt seine Pilotensonnenbrille auf und reist an die US-Südgrenze, nahezu gleichzeitig mit Trump. Die Zweifel wachsen trotzdem. Seine Aussetzer häufen sich, und dann war da dieses vergiftete Gutachten des Sonderermittlers, der ihn zum netten, aber verwirrten Senioren erklärte (lesen Sie hier den Bericht über das für Biden unvorteilhafte Gutachten). Bidens Bilanz ist gut, seine Umfragewerte sind schlecht, was wesentlich damit zu tun hat, dass ihn eine grosse Mehrheit für zu alt hält.
Obendrein verweigern ihm selbst grundsätzlich geneigte Kreise die Zuwendung. Die Vorwahl in Michigan gewann er am Dienstag nur deshalb spielend, weil auch dort bei den Demokraten niemand ernsthaft gegen ihn antrat. Viele junge und vor allem arabischstämmige Wählerinnen und Wähler entschieden sich dennoch für die neutrale Option «Uncommitted»; sie sind gegen seine Unterstützung Israels und für einen Waffenstillstand in Gaza. Dabei braucht Biden in einem Swing-State wie Michigan jeden Mann und jede Frau (lesen Sie hier den aktuellen Bericht zu den Vorwahlen in Michigan). Ausserdem tun sich bei den Demokraten Risse zwischen den Freunden Israels und den Verteidigern Palästinas auf; das alles sowie auch der Strafprozess gegen seinen Sohn Hunter zehren sichtbar am ältesten Staatschef der amerikanischen Geschichte.
Trumps Nonsens ist Routine
Gewagt war dessen erneute Bewerbung von Anfang an. Kritiker sezieren jedes Wort, beobachten jeden Schritt. Sie warten darauf, dass er wieder stolpert, sich wieder verhaspelt. Da hat es Donald Trump leichter, auch wenn er nur dreieinhalb Jahre jünger ist: Trumps Nonsens ist Routine, allenfalls können ihm Gerichte das Rückspiel gegen Biden im November verwehren. Bei diesem dagegen vergeht kaum mehr ein Tag, an dem nicht irgendwer einen Plan B erörtert.
Für einen echten Widersacher bei den Vorwahlen ist es zu spät, aber nominiert wird der Präsidentschaftskandidat der Demokraten erst bei deren Kongress in Chicago im August. Rein theoretisch wäre Bidens Rückzug dort denkbar, die Delegierten müssten in diesem Fall über Ersatz abstimmen – und danach zweieinhalb Monate lang alle Register ziehen. Extrem unwahrscheinlich, dennoch möglich. Wer könnte es sein?
Wer die möglichen Alternativen wären
Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom ist smart, liberal und 56, hat aber gerade Bidens Erfahrung als Bidens Trumpf gelobt. Sein Handicap: Kalifornien ist dem konservativen Amerika grundsätzlich suspekt.
Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan? Sie wurde als Kämpferin für Abtreibungsrechte populär, spielt überregional indes keine grosse Rolle. Gouverneur Josh Shapiro aus Pennsylvania, Senatorin Amy Klobuchar aus Minnesota, Senator Cory Booker aus New Jersey oder Transportminister Pete Buttigieg?
Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie Biden bislang verteidigen und national zu unbedeutend sind. Die Demokraten hätten früher anfangen müssen, sich mutig nach einer frischen Alternative umzusehen. Die designierte Nachfolgerin wäre nach wie vor Kamala Harris, die Vizepräsidentin, die als Einzige den Hinweis gewagt hat, dass sie bereit wäre. Womöglich ist sie sogar besser als ihr Ruf, aber Bidens Stellvertreterin hat keine Basis und war lange so unauffällig, dass sie der eine oder andere vergessen hat.
Und falls jemand von Michelle Obama träumt: romantisch – und unrealistisch. Gemessen an allem, was sie sagt, hat sie nicht die geringste Lust.
Noch gibt es kein Anzeichen dafür, dass Joe Biden aufgibt und den Weg frei macht. Aber ausschliessen kann das niemand, und die Demokraten sind gut beraten, vorzusorgen. Viele von ihnen halten ihren Anführer zu Recht für verdienstvoll. Aber sie wollen ihn nicht als Verlierer sehen, und nur wenige können sich vorstellen, dass er das Oval Office als Sieger wirklich erst im 87. Lebensjahr räumen wird.
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