EU-Premiers in KiewQuartett der Mutigen fordert mehr Waffenhilfe
Die Reise von vier osteuropäischen Spitzenpolitikern nach Kiew ist mehr als ein Zeichen grosser Solidarität. Sie führt dazu, dass man der EU und der Nato unangenehme Fragen stellt.
Der ukrainische Präsident appelliert derzeit regelmässig via Videoschaltungen an die Regierungen und Parlamente im Westen. Doch die Solidarität wird auch in umgekehrter Richtung bekundet: Wenige Stunden vor seiner Rede an den US-Kongress hatte Selenski in Kiew eine prominente Delegation empfangen: Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki, dessen Stellvertreter Jaroslaw Kaczynski, Tschechiens Ministerpräsidenten Petr Fiala und den slowenischen Regierungschef Janez Jansa. Selenski lobte den Mut der vier, mit dem Zug nach Kiew zu reisen, die vier sicherten ihm unverbrüchliche Solidarität zu.
Kaczynski, als PIS-Chef der wohl mächtigste Politiker Polens, ging sogar noch weiter. Er forderte sogar eine «Friedensmission» der Nato, die auf ukrainischem Gebiet agieren solle. Das sorgte wiederum beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel am Mittwoch für Gesprächsstoff. Vor dem Hauptquartier des Bündnisses wurden die Minister von Demonstranten begrüsst, die laut riefen: «Wie viele Kinder müssen noch sterben, bis ihr endlich handelt? Wir brauchen eine Flugverbotszone.»
Die Botschaft war eindeutig
Im Dreieck zwischen Washington, Kiew und Brüssel versuchten Selenski und seine Helfer am Mittwoch, den Westen zu mehr Hilfe für die Ukraine zu bewegen. Die Botschaft war eindeutig: Im europäischen Osten bieten wagemutige Freiheitskämpfer dem russischen Diktator Putin die Stirn. Im Westen dagegen, in den USA, aber vor allem in Brüssel, verlieren wohlverstandsverwöhnte Bedenkenträger aus lauter Angst vor Putin die eigenen Ideale aus den Augen – und am Ende verlieren sie womöglich ihre Freiheit. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel müssen sich nun immer wieder fragen lassen: Seid ihr zu feige, um in den Zug nach Kiew zu steigen?
Wer dachte, dass deshalb eine osteuropäische Delegation in einer Art panslawischen Freundschaftsmission nach Kiew fuhr, weil die vier Herren vielleicht alle Russisch, gar Ukrainisch sprechen, muss von dem Dienstagnacht veröffentlichten Video enttäuscht sein. Man kann nicht erkennen, welcher der vier Selenski im Original versteht, jedenfalls wird alles, was Selenski über die Kriegslage sagt, von einer Dolmetscherin noch mal ins Englische übertragen.
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Am Mittwochvormittag melden Morawiecki, Fiala und Jansa dann, sicher zurückgekehrt zu sein. Der tschechische Premier Petr Fiala, erst seit Dezember im Amt, beschränkt sich, anders als Kaczynski, auf die realistischere Forderung nach «schnellen und massiven» Waffenlieferungen. Die Ukraine brauche vor allem Panzer- und Flugabwehrwaffen, sagt er am Prager Flughafen. Ausserdem habe man in Kiew über eine Allianz von Staaten gesprochen, die bereit wären, desertierte russische Soldaten aufzunehmen. Dass die Reise von Sicherheitsbehörden als sehr gefährlich eingestuft wird, zeigt, dass der slowakische Premier Eduard Heger offenbar die Teilnahme absagte.
EU endlich aufgewacht
Auffällig ist, dass vor allem Fiala die Reise als Ausdruck der Solidarität der gesamten EU verstanden haben will. Aber auch Jansa, der angeblich die Idee zu der Reise hatte, gibt sich nun ungewohnt europafreundlich. Die Debatte über die europäischen Werte in den vergangenen Jahren sei sehr theoretisch gewesen. «Dann bemerkten wir auf einmal, dass diese Werte wirklich existieren.» Die EU-Staaten seien endlich aufgewacht.
Von der Leyen, Michel und die anderen EU-Staaten waren nur beiläufig informiert worden über die Reisepläne. Die Kiew-Reisenden hatten, trotz ihrer gegenteiligen Behauptungen, kein Mandat der EU. Und selbstverständlich hatten die vier, allesamt Vertreter von Nato-Staaten, auch kein Mandat, im Namen des Verteidigungsbündnisses zu sprechen.
Nato reagiert zurückhaltend
Die Zugfahrt nach Kiew haben auch die Nato-Verteidigungsminister mitbekommen. Und natürlich auch Kaczynskis Vorschlag für eine «friedenserhaltende Mission» der Allianz auf ukrainischem Territorium. Die Reaktionen fallen zurückhaltend aus. Kalle Laanet aus Estland, dessen Regierung die Ukraine fast uneingeschränkt unterstützt, weist auf eine Selbstverständlichkeit hin: Einen Einsatz von Friedenstruppen müsste der UNO-Sicherheitsrat beschliessen. Was er nicht sagen muss: In diesem Gremium hat Russland ein Vetorecht.
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