Analyse zum Wagner-PutschPutin muss sich jetzt entscheiden, wie er mit Prigoschin verfahren will
Die Wagner-Söldner könnten am Abend Moskau erreichen. Für den russischen Präsidenten naht jetzt die Stunde der Wahrheit: Er muss die Aufständischen stoppen.
Nichts und niemand scheint den Vormarsch der Wagner-Leute zu stoppen: Zuerst marschierten sie nach Rostow am Don und brachten in aller Ruhe die Kommandozentrale der russischen Armee unter ihre Kontrolle. Dann ging es weiter nach Woronesch, inzwischen sind die ersten Fahrzeuge in Tula angekommen – bis zum späten Abend werden sie Moskau erreichen, wenn sie in diesem Tempo weiterfahren (hier gehts zum News-Ticker: Wagner-Truppen kurz vor Moskau – schickt Soldaten).
Damit naht für Präsident Wladimir Putin, der die aufständischen Wagner-Söldner als Verräter bezeichnet und schwere Strafen angekündigt hat, die Stunde der Wahrheit. Denn nach Moskau, das ist ganz klar, will man die Bewaffneten nicht durchlassen. An den Stadträndern sind Schützengräben ausgehoben worden, schwere Maschinen blockieren die Strassen, Armee und Polizei sind in Stellung. Die Stadtverwaltung erwägt eine Ausgangssperre, der Montag ist zur Sicherheit zum arbeitsfreien Tag erklärt worden.
Den ganzen Tag über hat der Kreml offenbar noch versucht, mit Prigoschin zu verhandeln. Schliesslich hat er Putin, von dem er finanziell wie politisch abhängig war, trotz aller harschen Worte gegen das Verteidigungsministerium immer die Treue gehalten und gehorcht. Doch alle Versuche, nun einen Ausgleich mit ihm zu finden, sind offenbar gescheitert. Danach boten Politiker den Wagner-Soldaten Amnestie an, um sie von ihrem Chef zu isolieren. Doch auch das scheint nicht gefruchtet zu haben.
Stoppt Putin den Vormarsch nicht in den nächsten zwei, drei Stunden, erreichen die schwer bewaffneten Soldaten die Millionenstadt Moskau. Und dann drohen unabsehbare Folgen.
Bleibt für den Kreml die unangenehme Variante, die Wagner-Leute mit Gewalt zu stoppen. Dies dürfte problemlos möglich sein, selbst wenn Prigoschin – wie er behauptet – 25’000 Mann zusammengetrommelt hat. Bisher hielt sich das russische Militär zurück und überliess Prigoschin in Rostow das Hauptquartier der Armeeführung kampflos – anders ist es nicht zu erklären, dass der Wagner-Chef sagt, man sei überall durchmarschiert, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern.
Doch nun stellt sich die Frage, wann und vor allem wo der Zugriff gegen die Aufständischen erfolgen soll, damit die zu erwartenden heftigen Zusammenstösse die Zivilbevölkerung möglichst nicht gefährden. Denn tote Russinnen und Russen wären noch weit verheerender für Putins Rating als es der bewaffnete Aufstand der Wagner-Soldaten ohnehin schon ist. Doch viel Zeit hat der Kreml-Chef nicht mehr: Stoppt er den Vormarsch nicht in den nächsten zwei, drei Stunden, erreichen die schwer bewaffneten Soldaten die Millionenstadt Moskau. Und dann drohen unabsehbare Folgen.
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