Proteste in SerbienPräsident Vucic beauftragt politisch unerfahrenen Mediziner mit Regierungsbildung
Der Staatspräsident setzt Djuro Macut als neuen Premier ein, doch die Serben wissen, in wessen Händen die Macht liegt. Die Proteste gegen sein Regime gehen weiter.

Ein Mediziner soll jetzt formal die Regierungsgeschäfte in Serbien führen. Staatspräsident Aleksandar Vucic hat am Sonntagabend den öffentlich eher wenig bekannten Endokrinologieprofessor Djuro Macut als neuen Premierminister nominiert und ihn damit beauftragt, eine neue Regierung zu bilden. Dies muss laut serbischer Verfassung bis zum 18. April geschehen, und das neue Kabinett muss dann noch vom Parlament bestätigt werden, was allerdings angesichts der dortigen klaren Mehrheit der Regierungspartei eine Formalie sein dürfte.
Die Opposition zeigte sich am Montag von der Personalie mässig beeindruckt: Es sei ohnehin klar, dass Vucic de facto die Regierung führe, erklärte etwa die sich selbst als proeuropäisch verstehende Partei Srce; insofern sei es unerheblich, wer gerade das Amt des Premierministers bekleide.
Der bisherige Amtsinhaber Milos Vucevic war im Januar zurückgetreten. Zuvor war bekannt geworden, dass schwarz gekleidete, maskierte Männer aus einem Büro der Regierungspartei gestürmt waren und eine Studentin so schwer verprügelt hatten, dass sie mit dreifachem Kieferbruch im Spital behandelt werden musste. Der Rücktritt des Premiers, begleitet von Worten des Bedauerns, war von vielen im Land als rein taktischer Schachzug aufgefasst worden, mit dem Kalkül, die Gemüter der Protestierenden zu besänftigen und die seit Monaten andauernden Demonstrationen einzudämmen. Ausgelöst hatte die Protestwelle, die bis heute andauert, der Einsturz eines Bahnhofsvordachs in der Stadt Novi Sad, bei dem 15 Menschen starben – und der mutmasslich durch Schlamperei und Korruption mitverursacht worden ist.
Die Protestbewegung, die im Wesentlichen von Studierenden getragen wird, fordert unter anderem, dass die Justiz die Hintergründe des Unglücks aufarbeitet, frei von politischer Einflussnahme – ein demokratisches System mit funktionierender Gewaltenteilung also. Die ist derzeit nicht gewährleistet; die Organisation Freedom House etwa stuft Serbien seit Jahren nur noch als «teilweise» frei ein. Und das von Präsident Vucic kontrollierte Regime geht immer wieder mit Gewalt gegen Gegner und Kritiker vor.
Bei der bislang grössten Demonstration am 15. März, mit mehreren Hunderttausend Teilnehmern, brach Panik aus, mehrere Menschen wurden verletzt, klagten über Gleichgewichtsstörungen oder extreme Kopfschmerzen. Analysten fanden im Nachhinein starke Hinweise darauf, dass offenbar eine spezielle Schallkanone gegen die Menschen eingesetzt worden war. Vucic behauptete daraufhin zunächst, in Serbien existierten derartige Waffen überhaupt nicht; nachdem Medien allerdings immer neue Gegenbelege zutage gefördert hatten, verstrickten er und sein Innenminister sich in Widersprüche.
Vucic klammert sich an die Macht
Doch auch dieser Vorfall erschüttert Vucic bislang nicht in seinem Festklammern an der Macht. Das Szenario von Neuwahlen, auf das Teile der Opposition zwischenzeitlich gehofft hatten, ist mit der Nominierung des neuen Premierministers bis auf weiteres vom Tisch. Der Stoffwechselspezialist Macut soll Vucic zufolge aufgrund seiner «beruflichen und persönlichen Qualitäten» für das Amt besonders geeignet sein. Politisch ist er zuletzt dadurch aufgefallen, dass er sich mit Studierenden solidarisch gezeigt hatte, die an einer mutmasslich inszenierten Gegenveranstaltung für das Regime demonstrierten.
Unterdessen gehen die Proteste weiter, und sie nehmen immer neue Formen an. Am Sonntag brachen Berichten zufolge etwa 150 Serben aus dem Norden Kosovos zu Fuss Richtung Belgrad auf, um dort an einer für den kommenden Samstag geplanten Demonstration teilzunehmen. Beim Belgrader Marathon, der am Sonntag stattfand, trugen viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer T-Shirts mit regimekritischen Aufdrucken, etwa der blutigen Hand, die nach dem Bahnhofseinsturz von Novi Sad zum Symbol der Solidarität mit den Opfern geworden war.
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