Proteste in FrankreichOperation «Umzingelung»: Bauern blockieren Paris
Die Sprache wird ruppiger, die Aktionen zunehmend gewalttätiger: Die Protestbewegung der Landwirte hat das Land fest im Griff. Der neue Premier verspricht, was er nur kann.
Nach Paris, nach Paris! In Frankreich wird ein Protest erst richtig ernst genommen, wenn er auch die Hauptstadt trifft, das Herz und Zentrum des Landes. Und so haben Frankreichs aufgebrachte Bauern nach einer Woche mit Aktionen in der Provinz ihren Zorn am Montag nach Paris getragen. Karawanen von Traktoren von überall her bewegten sie auf die Stadt zu, sternförmig. Ein Bauer hatte ein Plakat vorne an seinen Traktor geklebt mit der Aufschrift: «Wer Elend sät, erntet Zorn.»
Sie blockierten nach und nach alle Hauptadern, die nach Paris führen: die Autobahnen A1, A4, A5, A6, A10, A13, A15, A16. Der grosse Gewerkschaftsboss der Bauern, Arnaud Rousseau von der FNSEA, hatte am Radio beteuert, sie wollten «das Leben der Franzosen nicht vermiesen». Doch wie es wohl alle jene empfanden, die in die Stadt mussten und mit stundenlangem Warten im Stau rechnen mussten?
Die Stimmung kann schnell kippen
Bisher standen die Franzosen solidarisch hinter ihren Landwirten. In Umfragen sagten achtzig, gar neunzig Prozent der Befragten, sie verstünden den Unmut und die Sorge um ihre Existenz, die sie ja teilten mit Bauern aus anderen europäischen Ländern. Nur: Die Stimmung kann schnell kippen, wenn sie ihren Protest über die Massen strapazieren – etwa, eben, mit der Vermiesung des Alltags der Menschen. Die Gewerkschaften haben angekündigt, dass ihre Aktion rund um Paris «auf unbestimmte Zeit» angelegt sei.
Auf dem Land hatte es in den vergangenen Tagen auch vereinzelte Gewaltaktionen gegeben, im Südwesten vor allem. Portugiesische und spanische Laster, die Ware und Lebensmittel nach Frankreich bringen sollten, Konkurrenzprodukte für den französischen Markt also, wurden gestoppt und geplündert. In Narbonne ging der Sitz einer Sozialkasse in Flammen auf. Rechte Trolls haben Videos und Fotos dieser Aktionen in den sozialen Medien abertausendmal geteilt. So konnte man den Eindruck gewinnen, der Protest gerate ausser Kontrolle, es herrsche Chaos im Land.
So gefällt es auch der extremen Rechten von Marine Le Pen: Die Leute ihrer Partei Rassemblement National befeuern den Zorn der Bauern mit Slogans gegen die Regierung, gegen Brüssel, gegen die Umweltschützer. Die Bewegung braucht jetzt plötzlich eine martialische Sprache für ihren Kampf: Man hört von «Schlachtplänen», von «Belagerungen», von «Umzingelungen».
So ändert auch das Innenministerium den Tonfall, nachdem es bisher gütig über alles hinweggesehen hat, die Strassenblockaden und die Angriffe gegen ihre Präfekturen. Innenminister Gérald Darmanin gab sich so gefügig, dass man ihm vorwarf, er übertreibe es mit seiner Nachsicht. Nun aber bot Darmanin 15’000 Gendarmen und Polizisten auf, damit sie Paris schützten, dessen zwei grossen Flughäfen, Roissy und Orly. Und den Grossmarkt von Rungis, Europas grössten, eine Drehscheibe für Fleisch und Fisch, für Geflügel und Milchprodukte und Feinkost. Die Gewerkschaften hatten damit gedroht, Rungis lahmzulegen – das könnte die Gunst der Franzosen aber schnell aufbrauchen.
Die Sorge vor einer neuen Bewegung wie die Gelbwesten
Ganz offenbar sehen die Bauern in der allgemeinen politischen Gemengelage eine gute Gelegenheit, ein Maximum herauszuholen aus der neuen Regierung. Premier Gabriel Attal ist erst seit ein paar Wochen im Amt, seine Programmrede ist für diesen Diensttag anberaumt: Es wäre eine Katastrophe, wenn sich der Protest lange hinziehen würde und womöglich noch auf andere zornige Berufskategorien und Bevölkerungsschichten ausweitet. Die «Gilets jaunes», die Gelbwesten, sind noch in allen Köpfen.
Und so sieht man Attal nun ständig mit Bauern, im Stall eines Züchters, in einer Strassenblockade mit Protestierenden. «Wir lassen euch nicht allein, ich lasse euch nicht allein», hörte man den jungen Regierungschef schon sagen. «Wir haben beschlossen, die Landwirtschaft über alles zu stellen.» Gemeint war wohl: er und sein Chef, Präsident Emmanuel Macron. Er sagte auch: «Frankreich ist eine Agrarmacht und ein Land, das seine Bauern liebt.» Mehr Charme geht gar nicht.
Attal hat auch schon eine Menge Zugeständnisse versprochen. Die bereits beschlossenen höheren Taxen auf Diesel für die Landwirtschaft? Hebt man wieder auf. Die schwere Bürokratie und die vielen Auflagen? «Ich habe den ganz klaren Beschluss gefasst, die Prozeduren drastisch zu vereinfachen.»
Für die Viehzüchter im Südwesten des Landes, die mit einer Tierseuche kämpfen, legte Attal 50 Millionen Euro auf die Seite. Die Bauern im Norden, die unter Hochwasser leiden, bekommen Nothilfe für 100 Millionen. Und die, die wegen des Klimawandels und der Dürre zu wenig Wasser haben, sollen mit weniger Bürokratie an neue Quellen kommen.
Alle wollen etwas von ihm. Und Attal verspricht eine Menge
Auch den Winzern im Bordelais, die ihren Wein nicht mehr loswerden, weil sich die Vorlieben verändert haben, soll geholfen werden. Und den Geflügelzüchtern, die unter der Konkurrenz viel billigerer Hühner aus dem nicht europäischen Ausland darben, natürlich auch. Das Freihandelsabkommen mit Mercosur, den südamerikanischen Ländern, das in Brüssel gerade Form annimmt? «Ich bin klar dagegen», sagte Attal. Und der Green Deal der EU soll die französischen Bauern nicht benachteiligen.
Alle wollen etwas von ihm. Und Attal verspricht, was er nur kann. Aber genug ist das offenbar noch lange nicht.
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