Schweizer Mitfavorit geht leer ausNoè Ponti verpasst den letzten Zug
Dem 23-jährigen Tessiner fehlt in seiner Paradedisziplin über 100 Meter Schmetterling ein Zehntel zur erhofften Olympia-Medaille. Seine Bilanz lässt dennoch aufhorchen.

Noè Ponti war mittendrin. Und stand am Ende doch aussen vor. Er war mittendrin in der Entscheidung um die Medaillen, aber in dem Moment, in dem es darauf ankam, schlug er eine Zehntelsekunde zu spät an, damit es für Bronze gereicht hätte. 50,55 Sekunden über 100 Meter Schmetterling. Fast vier Zehntelsekunden langsamer als beim Schweizer Rekord, den er im Frühling vergleichsweise unvorbereitet im Rahmen der Landesmeisterschaften geschwommen war. Was war da geschehen in der auch am Samstagabend wieder dauerlauten La-Défense-Arena?
Noè Ponti, ein Tessiner aus Gambarogno am Lago Maggiore, hatte darauf kurz nach dem Rennen eine erstaunlich abgeklärte Antwort, als er sagte, dass es natürlich nie schön sei, Vierter zu werden, eine Enttäuschung sei dieses Rennen aber trotzdem nicht. «Ich bin gut geschwommen, schneller als im Halbfinal, ich habe alles gegeben. Ausser beim Anschlag. Der war nicht so gut. Da habe ich die Medaille wohl verpasst.»
Eine schmerzhafte Kleinigkeit macht den Unterschied
Der Anschlag. Schon wieder. Klar, bei einer Zehntelsekunde Differenz macht am Ende immer eine Kleinigkeit den Unterschied, aber die hier war schon fast schmerzhaft offensichtlich, zumal es am Vortag im Halbfinal genau gleich gewesen war. Da hatte er Kristof Milak, den grossen Kontrahenten aus Ungarn, auf der zweiten Länge schon fast gestellt, alles sah danach aus, als ob er Milak noch schlagen würde, nachdem er die erste Länge wie gewohnt etwas langsamer angegangen war. Doch dann kam die Wand näher, Milak hängte noch einen verkürzten Zug an, Ponti nicht. Ponti glitt zur Wand. Und schlug als Zweiter an.
Es heisst, dass im Final alles wieder von vorne beginnt. Dass die Uhren auf Null gestellt werden und alle wieder die gleichen Siegchancen haben. Aber stimmt das wirklich? Betrachtet man den 100-Meter-Schmetterling-Wettkampf an diesen Spielen in Paris, muss man sagen: Ein gutes Rennen ist eher ein Dreiklang.
Es beginnt eben nicht im Final, sondern bereits im Vorlauf. Es geht im Halbfinal weiter, wo am Freitag überraschend Caeleb Dressel hängenblieb, der Olympiasieger von 2021 aus den USA. Und erst dann folgt der Final.
Ponti war natürlich zuversichtlich in diesen Final gegangen, zumal er Mitte Woche schon Fünfter über die doppelte Distanz geworden war, die er gar nicht besonders mag (vielleicht jetzt etwas mehr). Aber wäre er vielleicht noch zuversichtlicher ins Becken gesprungen, wenn ihm im Halbfinal nicht der Anschlag missglückt wäre?
Aber egal, der Konjunktiv hat im Sport noch nie zu etwas geführt, und Noè Ponti ist auch nicht der Typ, der sich lange mit solchen Dingen aufhalten mag. Gestern Abend sagte er: «Es war immer klar, dass für die Medaillen fünf oder sogar sechs Schwimmer in Frage kommen. Es war also auch klar, dass einige Favoriten leer ausgehen werden.»
Die Leistungsdichte war noch nie so gross
Auch das: eine beeindruckend souveräne Aussage so kurz nach dem wichtigsten Rennen der Saison. Aber sie stimmt, das muss man Ponti lassen. Er ist erst 23-jährig, und doch ist er schon Bronzemedaillengewinner von den Olympischen Spielen 2021 in Tokio, er kennt sich in seinem Sport aus. Die Leistungsdichte über 100 Meter Schmetterling war noch nie so gross wie in diesem Jahr. Das zeigt ein Blick auf das Schlussklassement.
Obwohl das Schwimmbecken in der La-Défense-Arena wegen der geringen Tiefe als eher langsam gilt, sind gleich zwei Schwimmer unter der magischen Marke von 50 Sekunden geblieben. Erstens der Ungar Milak, der in 49,90 Sekunden seine zweite Medaille an diesen Spielen gewann (über 200 Meter hatte er sich auf den letzten Metern noch dem französischen Überflieger Léon Marchand geschlagen geben müssen). Und zweitens der Kanadier Josh Liendo, der 21-jährige Shootingstar, der mit der weltweit besten Zeit der Saison nach Paris gereist war. Er gewann hinter Milak Silber in 49,99 Sekunden. Dritter wurde Liendos Landsmann Ilya Kharun in 50,45 Sekunden, der wie Milak auch über 200 Meter schon auf dem Podest gestanden war.
Und dann kam eben Ponti auf die Wand zu. Aber statt wie Milak im Halbfinal noch einen verkürzten Armzug anzuhängen, glitt er. Glitt wieder.
50,55 Sekunden. Besser als im Halbfinal. Schlechter als an den Landesmeisterschaften im Frühling. Nicht gut genug für eine Medaille. Aber gut genug, um zufrieden zu sein. Um sogar stolz zu sein, wie Ponti betonte. Wenn man ihm kurz nach dem Rennen beim Bilanzieren zuhörte, merkte man, dass ihm diese Feststellung wichtig war. Und er hat ja recht. 2021 Olympiadritter. Jetzt Olympiavierter und Olympiafünfter. All das in einer Weltsportart. Das ist eine Bilanz, wie sie nie vor ihm eine Schweizerin oder ein Schweizer vorweisen konnte.
Bevor er sich in die Pariser Nacht verabschiedete, sagte er dann noch etwas anderes, nämlich dass er aus diesem Rennen lernen werde. Das klang wie eine Plattitüde, aber nur beim ersten Hinhören. Aus dem Mund von Noè Ponti ist es schon fast ein Versprechen.
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