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Kunststoffe statt Benzin
Die gewollte Plastikflut

epa07892087 A handout photo made available by The Ocean Cleanup shows the company's ocean cleanup prototype System 001/B capturing plastic debris in the Great Pacific Garbage Patch, in the Pacific Ocean, 30 September 2019 (issued 03 October 2019). The self-contained system uses natural currents of the sea to passively collect plastic debris in an effort to reduce waste in the ocean. According to the Ocean Cleanup, the system is also able to filter microplastics as small as 1mm.  EPA/THE OCEAN CLEANUP HANDOUT  HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES
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In Kürze:
  • Exxonmobil ist der weltweit grösste Einwegplastikhersteller laut Minderoo-Stiftung.
  • Bis 2040 könnte die Plastikproduktion laut OECD um 70 Prozent steigen.
  • Plastik verursacht aktuell mehr Treibhausgasemissionen als der Luftfahrtsektor.
  • Ineos wechselt von einem Plastikhersteller zu einem Öl- und Gasproduzenten.

Exxonmobil ist nicht nur der weltweit grösste Ölgigant, sondern auch der grösste Hersteller von Einwegplastik. Damit verursacht der US-Konzern nach Einschätzung der australischen Minderoo-Stiftung so viel Kunststoff-Müll wie sonst keine Firma: Sechs Millionen Tonnen jedes Jahr.

Insgesamt fallen 353 Millionen Tonnen Plastikmüll jährlich weltweit an. Davon landet die Hälfte auf Müllkippen, der Rest wird grösstenteils verbrannt, 22 Millionen Tonnen Plastik gelangen in die Umwelt.

Bis 2040 rechnet die OECD mit einer Steigerung der Produktionsmenge um mehr als 70 Prozent im Vergleich zu heute, auf dann 736 Millionen Tonnen. Im gleichen Masse würden auch die Plastikmüllberge weiter wachsen.

Mögliche Gegenmassnahmen haben die Staaten diesen November auf der Kunststoff-Konferenz INC-5 im südkoreanischen Busan diskutiert, mit dem Ziel, ein weltweites Plastikmüll-Abkommen zu schliessen. Als ehrgeizigste Forderung stand eine Obergrenze für die Herstellung von Kunststoff im Raum.

«Die Produktion zu reduzieren ist der effektivste Weg, um die Plastikverschmutzung einzudämmen», sagt Plastikforscher Steve Fletcher von der University of Portsmouth. Doch die Mahnungen halfen am Ende nichts: Eine derartige Obergrenze kam aufgrund des Widerstands Erdöl produzierender Staaten wie Saudi-Arabien nicht zustande.

Die Abfalltaucher Schweiz bergen verschiedenste Gegenstaende aus dem Luzerner Seebecken und der Reuss in der Stadt Luzern am World Clean Up Day Samstag, 19. September 2020. Die Abfalltaucher Schweiz setzen sich ein für die Natur und die kommenden Generationen und sind ein gemeinnuetziger Verein von Freiwilligen, welcher über das Jahr verteilt Aktionen durchfuehrt, um Abfall aus den Seen zu bergen. (KEYSTONE/Urs Flueeler).

Weniger Plastik in Umlauf zu bringen, läuft den Interessen der fossilen Industrie völlig zuwider. Derzeit macht die Plastikherstellung zwar nur einen kleinen Teil der Gewinne der fossilen Konzerne aus. Das meiste Geld verdienen diese noch mit Treibstoffen wie Benzin, Diesel und Kerosin, oder mit Erdgas für Kraftwerke und Heizungen.

Doch der Klimaschutz bedroht dieses Geschäftsmodell langfristig. Mit dem Ausbau der Elektromobilität und erneuerbaren Energien könnte die Nachfrage nach fossiler Energie sinken – dementsprechend wächst die Bedeutung von Petrochemikalien für die Branche, schreibt die Internationale Energieagentur (IEA). Petrochemikalien sind chemische Produkte, die aus Erdöl oder Erdgas gewonnen werden.

Als sich die US-Regierung im Sommer der Forderung nach einer Produktionsobergrenze anschloss, reagierte der Chemieverband American Chemistry Council wutentbrannt: Das Weisse Haus übe Verrat an der heimischen Industrie und an Hunderttausenden Arbeitsplätzen.

Bislang denken die meisten Kunststoffhersteller nicht daran, sich selbst einzuschränken. «Die Pipeline an Projekten, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Betrieb gehen werden, deuten auf einen starken Ausbau der fossilen Nutzung im Chemiesektor hin», sagt der Chemieexperte Christopher Oberschelp vom Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich.

Kunststoff wird noch immer zu mehr als 90 Prozent aus fossilen Rohstoffen hergestellt, vor allem aus dem Rohöl-Bestandteil Naphtha. In riesigen Spaltanlagen, sogenannten Crackern, wird diese Ölfraktion zu Ethylen verarbeitet, dem wichtigsten Grundstoff für Plastik.

Plastik wird auch fürs Klima zum Problem

Viele solcher Anlagen entstehen laut Oberschelp derzeit in China. Dort gebe es beispielsweise «extreme Zuwächse bei PET für Textilfasern und Flaschen». Auch Indien plane einen starken Ausbau der Produktionskapazitäten. Dabei profitiere das Land auch von günstigen Öl-Importen aus Russland, seitdem der Westen Sanktionen gegen Moskau verhängt hat, so Oberschelp.

Auch für das Klima wird Plastik zunehmend zum Problem. Schon heute verursacht die Kunststoffherstellung 3,4 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen, mehr als die Luftfahrt. Der Kunststoff-Boom hängt zudem eng mit dem klimaschädlichen Fracking in den USA zusammen. Bei dieser Förderung mithilfe von hohem Druck und Chemikalien sprudelt neben Erdgas auch Ethan an die Oberfläche, das zur Kunststoffherstellung genutzt werden kann. «Die niedrigen Ethankosten treiben neue Investitionen in der Chemie- und Kunststoffindustrie an», schreibt die Umweltorganisation «Center for International Environmental Law» in einer Analyse.

Zwar beteuert die Chemiebranche, langfristig klimaneutral produzieren zu wollen, etwa mithilfe von grünem Wasserstoff und mehr Recycling von altem Kunststoff. Christopher Oberschelp sieht für eine derartige Trendwende aber bislang kaum Belege. Der Sektor sei relativ schwerfällig und tue sich schwer mit Veränderungen.

Vom Öl- zum Plastikkonzern und vom Plastik- zum Ölkonzern

In den USA gibt es laut Zählung der NGO «Oil & Gas Watch» an 120 Orten Pläne für den Neubau oder die Expansion petrochemischer Anlagen, teils mit erheblichen Umweltauswirkungen. An der Südküste Louisianas ist eine der grössten neuen Kunststofffabriken geplant, die Investitionskosten sollen bei umgerechnet rund 8.5 Milliarden Franken liegen. Die Gegend am Mississippi ist auch als «Krebsallee» bekannt, weil im Umfeld der bestehenden petrochemischen Anlagen besonders viele Tumore beobachtet werden. Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen fordern daher, das Projekt zu stoppen.

Die Firma Ineos plant nun im belgischen Antwerpen mit «Project One» eine drei Milliarden Euro teure Anlage, die jedes Jahr zwei Millionen Tonnen Fracking-Gas verarbeiten kann. Transportiert wird es von riesigen Ethantankern, mit denen Ineos bereits Anlagen in China, Norwegen sowie in Grossbritannien beliefert, wo die Firma ihre Ursprünge hat.

«Die Entwicklung von Ineos ist spannend, weil der Konzern sich von einem reinen Chemie- und Plastikhersteller zu einem Öl- und Gasproduzenten entwickelt hat», sagt der Umweltaktivist Andy Gheorghiu, der mit Organisationen wie «Exit Plastik» zusammenarbeitet. Ineos nehme damit die umgekehrte Entwicklung wie etwa Exxonmobil, die sich eher vom Öl auf die Chemie verlegen.