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Interview mit Meeresbiologe
«Hat sich die Industrie wirklich nie gefragt, wohin all ihr Plastik verschwindet?»

Es gelangt beständig mehr Plastik in die Ozeane, als herausgefischt werden kann.
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An die 10 Millionen Tonnen Plastikmüll landen schätzungsweise jährlich in den Ozeanen. Viele Kunststoffe setzen Chemikalien frei, die schädlich für Umwelt und Gesundheit sind. Trotzdem konnten sich mehr als 170 Staaten am letzten Wochenende im südkoreanischen Busan nicht auf eine Plastikkonvention mit verbindlichen Massnahmen einigen. Der Meeresbiologe Richard Thompson von der University of Plymouth erforscht seit Jahrzehnten die Folgen der Müllflut. Im Interview erklärt er, worauf er hofft.

Herr Thompson, Sie haben vor zwanzig Jahren den Begriff Mikroplastik geprägt. Nun hat man in Südkorea darüber verhandelt. Ganz schön frustrierend, dass es so lange dauert, oder?

Es gibt inzwischen 7000 wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Mikroplastik von Arbeitsgruppen auf der ganzen Welt. Im Entwurf des Vertragsabkommens wurde Mikroplastik mehr als fünfzigmal erwähnt. Es war ziemlich emotional für mich, die Diskussionen über Mikroplastik zwischen all den Mitgliedsstaaten zu verfolgen.

Investitionen in Richtung Einsammeln halten Sie derzeit für vergeudet?

Wir haben gesehen, wie grosse Unternehmen in die Reinigung von Stränden investiert haben. Darunter einige der Unternehmen, die Plastik herstellen, genau das Plastik, das die Ozeane verschmutzt. Warum arbeiten sie nicht an einem verantwortungsvolleren Umgang mit ihren Produkten, anstatt diese Augenwischerei mit der Säuberung zu betreiben? Ich sage nicht, dass es schlecht ist aufzuräumen oder dass wir niemals aufräumen sollten. Vielmehr meine ich, dass wir uns im Moment nicht wirklich darauf konzentrieren sollten. Wenn wir das Problem wirklich ernsthaft angehen wollen, müssen wir verhindern, dass mehr Plastik in die Umwelt gelangt, wir müssen den Hahn zudrehen, aus dem der Müll quillt. Während er voll aufgedreht ist, sind alle Versuche vergeblich, den Müll wieder einzusammeln.

Es gibt eine Reihe von Initiativen, die trotzdem die Reinigung der Meere propagieren.

Ich bezweifle nicht, dass diese Initiativen es gut meinen. Ich sage nicht, dass es eine schlechte Sache ist, das zu tun. Ich sage nur, dass diese Investitionen im Moment anderswo besser eingesetzt werden können. Freiwillige Reinigungskampagnen in Flüssen und an Stränden sind jedoch wirksam und schärfen das Bewusstsein für das Problem. Und es gibt eine Reihe von mechanischen Geräten zum Säubern. Manche Kommunen kaufen sie, weil es eine gute PR-Geschichte ist. Aber diese Anlagen verbrauchen Energie, Menschen müssen den Müll abholen und entsorgen. Wir haben durchaus beobachtet, dass solche Anlagen etwas Müll einsammeln können, aber es wurden auch beträchtliche Mengen an Algen und Tieren gefangen, die wir eigentlich im Wasser belassen wollen.

Plastic trash & garbage underwater off Cebu Island, Philippines.

Schaden solche Interventionen mehr, als sie nützen?

Zumindest besteht das Risiko. Logischerweise müssten alle Massnahmen so dicht wie möglich an der Quelle des Problems liegen, also flussaufwärts und nicht erst im Meer. Das haben wir bereits vor fünfzehn Jahren in einem Bericht festgehalten. Hätte man damals gehandelt, wäre die Menge des Mülls in der Umwelt heute wahrscheinlich nur halb so gross. Stattdessen eskaliert die Müllsituation zusehends.

Sind Filter in Abwasseranlagen eine gute Idee, um Mikroplastik einzufangen?

Wir sollten alles tun, um zu verhindern, dass Plastik in die Umwelt gelangt, auch in der Abwasserreinigung. Die Probleme zum Beispiel durch Mikroperlen in Kosmetikprodukten lassen sich nicht dadurch lösen, dass man versucht, den Pazifischen Ozean zu säubern. Und Massnahmen im Bereich der Abwasserbehandlung werden nur in Ländern mit solchen Einrichtungen wirksam sein. Vielmehr muss man Gesetze entwickeln, die die Verwendung dieser absichtlich zugesetzten Kunststoffe verbieten.

Also nicht den Pazifik oder den Atlantik überwachen, sondern die Supermärkte?

Dann gibt es auch bei der Abwasseraufbereitung weniger zu tun. Dasselbe gilt auch für Kleidung und andere Plastikprodukte. Sie müssen so designt werden, dass sie möglichst wenig Mikroplastik abgeben. Wir haben gezeigt, dass die Freisetzung von Mikroplastik zwischen Kleidungsstücken mit ähnlicher Funktion, aber unterschiedlichem Design um bis zu 80 Prozent variieren kann. Und das bei bestehenden Designs, nicht bei solchen, die speziell für niedrige Freisetzungsraten entwickelt wurden. Dies ist ein klarer Hinweis auf das Potenzial für Innovationen, die die Freisetzung von Mikroplastik bereits in der Designphase reduzieren. Das Gleiche gilt auch für Reifen und alle anderen Produkte.

Warum wird das noch nicht gemacht?

Designer von Wegwerfprodukten sagen mir oft, dass sie einfach nur Produkte entwerfen sollen, die funktionieren und für den Verbraucher attraktiv sind, und dass die Auftraggeber einfach nicht verlangen, dass das Ende der Lebensdauer mitbedacht wird. Die Industrie verlangt von den Designern, dass sie die Tatsache ignorieren, dass sie ein Produkt entwerfen, das Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende überdauern wird. Im weitesten Sinne ist es das, was ich unter erweiterter Herstellerverantwortung verstehe. Es geht darum, Produkte zu entwickeln, die während ihres Gebrauchs weniger Partikel und Fasern ausstossen und während ihres gesamten Lebenszyklus, einschliesslich der Entsorgungsphase, so zirkulär und umweltfreundlich wie möglich sind.

Aber das ist nicht der Fall.

Das ist der frustrierende Teil. Schauen Sie sich die Gesetzgebung zu Mikroperlen an. In Grossbritannien waren es die Erkenntnisse meines Labors, die den Anstoss für eine neue Gesetzgebung gaben. Wir haben gezeigt, dass ein einziger 250-Milliliter-Behälter bis zu drei Millionen Mikroplastikperlen enthalten kann. So viele Kügelchen würden unweigerlich in die Umwelt gelangen. Jetzt gibt es ein Gesetz dagegen, und Sie denken vielleicht: Ist das nicht eine fantastische Leistung für eine Doktorandin, dass ihre Beweise direkt ins Parlament gelangten und zu einer Gesetzgebung führten?

Ist es nicht?

Man denkt: Wow. Aber dann schaut man nach, wann das Patent in der Industrie auf die Verwendung dieser kleinen Plastikteile in kosmetischen Produkten angemeldet wurde. Nun, fünfzig Jahre zuvor. Und ich stelle die Frage, ob sich wirklich niemand in der Industrie mal gefragt hat, wohin all diese mikroskopisch kleinen Plastikteile verschwinden.

Das Wegschauen hat ja lange Zeit gut funktioniert.

Aber es geht zulasten des Planeten. Bedauerlicherweise habe ich das Gefühl, dass die Industrie Dinge ignoriert hat, die durchaus in ihrem Einflussbereich lagen. Zu viele haben zu lange den Kopf in den Sand gesteckt, auf Kosten der Umwelt.