Lesende fragen Peter SchneiderDarf ich als Demokratin eine Partei ablehnen?
Und inwiefern wird jemand zum Demokraten, nur weil er demokratisch gewählt wird? Unser Kolumnist beschäftigt sich diesmal mit der Legitimation einer extremen Partei.
Ich fühle mich als Demokratin. Ich weiss, dass es verschiedene Meinungen und Haltungen gibt und dass ein Neben- und manchmal Miteinander möglich sein muss. Bei einer Partei wie der AfD klappt das für mich nicht mehr. Ich finde, es dürfte sie nicht geben. Diese Haltung kann ich als Demokratin nicht haben, oder? V.M.
Liebe Frau M.
Doch, können Sie. Nicht alle, die demokratisch gewählt werden, werden dadurch selbst zu Demokraten. Das trifft auf etliche Politikerinnen und Politiker in der ganzen Welt zu, auch in Ländern, die im Demokratie-Index eigentlich als solide demokratisch gelten. Andreas Glarner, den man jetzt offenbar amtlich bewilligt einen «Gaga-Rechtsextremisten» nennen darf (es gilt die Unfugsvermutung) verkörpert mit seiner kindisch feixenden «wohldosierten Grausamkeit» (um einen von Peter Sloterdijk geprägten und von der AfD aufgegriffenen Begriff zu verwenden) gegenüber anderen Menschen, die seiner Ansicht nach nicht zur Schweiz gehören, eine klar antidemokratische Haltung, die dadurch nicht besser wird, dass er ein Mandat durch seine Wählerinnen hat.
AfD und Demokratie: Eine absurde Logik
Dasselbe gilt für die AfD, die sich auch in der Schweiz augenscheinlich grosser Beliebtheit erfreut. Im September letzten Jahres stellte NZZ-Chef Eric Gujer fest: «Die AfD ist eine fremdenfeindliche und in Teilen rechtsextremistische Truppe» (so weit so richtig), um fortzufahren: «aber sie erfüllt trotz allem einen wichtigen Zweck.» Sie zwinge «zur Diskussion über Themen, die ... in der politischen Debatte verdrängt werden. Entgegen der landläufigen Meinung gefährdet die AfD auf diese Weise nicht die Demokratie, sondern trägt zu ihrer Stärkung und Erneuerung bei.»
Mit der gleichen Logik könnte man auch argumentieren, dass die Weigerung des Davoser Bergrestaurants Pischa, Schlitten an Juden zu vermieten, die bürgerliche Gesellschaft erneuere, weil man den Antisemitismus nicht den woken Hamas-Freunden überlassen dürfe. (Wäre doch mal eine coole steile These fürs Feuilleton.)
Am 20.1.24 klagt derselbe Autor in seinem Leitartikel «Deutschland in der Depression»: «Die AfD wird mit deutscher Gründlichkeit ausgegrenzt. ... Statt aus der beeindruckenden Erfolgsgeschichte ihrer Demokratie Selbstvertrauen zu schöpfen, starren die Deutschen auf den Fetisch 1933. Aus Angst vor der vermaledeiten Vergangenheit erschweren sie sich die Zukunft. ... Ein willfähriger Inlandgeheimdienst liefert die passenden Stichworte wie die angebliche ‹Delegitimierung des Staates›. Wäre es nicht so trist, könnte man darüber lachen: Ausgerechnet die Regierung, die allenthalben vor Verschwörungstheorien warnt, verbreitet selbst Schauermärchen.» Weil dieser Sound so trist ist, sollte man ihn nicht einfach hinnehmen.
Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.
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