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Lesende fragen Peter Schneider
Was gehört zu einer Demokratie?

Republican presidential candidate former President Donald Trump speaks during a campaign event in Laconia, N.H., Monday, Jan. 22, 2024. (AP Photo/Matt Rourke)
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Was gehört zu einer Demokratie, die wirklich eine ist und nicht nur danach aussieht? J.M.

Liebe Frau M.

Wenn ich alle mir bekannten Demokratien vor meinem geistigen Auge Revue passieren lasse, kommt mir keine Demokratie in den Sinn, die zwar nach Demokratie aussieht, aber in Wirklichkeit gar keine ist.

Die sogenannten Volksdemokratien mit Zustimmungsraten von mindestens 99 Prozent wirkten und wirken schon äusserlich als die Mogelpackungen, die sie tatsächlich waren und sind. Es gibt allerdings einerseits nicht nur eine Demokratie, sondern verschiedene Formen von Demokratie, und andererseits auch Abstufungen von Demokratie. Die Zeitschrift «Economist» berechnet darum jährlich einen «Demokratieindex», der von null bis zehn reicht.

Dabei stand 2022 die konstitutionelle Monarchie Norwegen mit 9,81 Punkten an der Spitze, die Schweiz mit 9,14 Punkten auf dem siebten Platz. Afghanistan bildet mit 0,32 Punkten das Schlusslicht auf dem 167. Platz. Aber Sie haben mich ja nicht nach den (übrigens sehr gut nachvollziehbaren) Kriterien des «Economist»-Rankings gefragt, die Sie selber googeln können, sondern danach, was ich für eine Demokratie als unentbehrlich erachte.

Selbstverständlichkeiten wie Gewaltenteilung lasse ich aus und versuche auch gar nicht erst, eine kompakte Definition zu liefern. Also: 1. Zum demokratischen Mehrheitsprinzip gehört der Minderheitenschutz. Der von einer Mehrheit beschlossene Ausschluss einer politischen Position zugunsten einer anderen darf immer nur vorübergehend sein. Die bei politischen Entscheidungen jeweils unausweichliche Exklusion muss auf der Grundlage der Anerkennung des Ideals einer möglichst weitgehenden Inklusion erfolgen. 2. Rechtsstaatlichkeit und die Achtung vor demokratischen Institutionen und Verfahren, vor Bürger- und vor Menschenrechten.

Dies ist auch in Demokratien wie den USA und Israel keine Selbstverständlichkeit, wie Trumps Aufruf zum Sturm auf das Capitol, seine Lüge von der gestohlenen Wahl und seine jetzigen Drohungen gegenüber politischen Gegnern zeigen. Auch Netanyahus Versuch, das oberste Gericht in dessen Rechtsprechung einzuschränken, ist ein Angriff auf die Demokratie.

Weiteres Beispiel für solche Angriffe auf das Rechtssystem ist Ungarn und war Polen unter der nun abgewählten PIS-Regierung. In beiden Fällen gehen diese Angriffe auch mit der Beschneidung der Medienfreiheit (3.) einher. Diese Freiheit ist übrigens auch von innen (also von den Medien selbst) her gefährdet: durch die Konzentration der Medien in den Händen weniger Besitzer*innen, Sparmassnahmen im Journalismus und – Achtung, jetzt wirds pädagogisch! – durch die sich verbreitende läppische Irrelevanz («Fünf Dinge, die Sie beim Duschen garantiert immer falsch gemacht haben») im Journalismus.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.