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Grossverbraucher zurück in die Grundversorgung?
Parmelin blitzt mit Firmen-Stromhilfe bei Versorgern ab

Die Energieversorgungsunternehmen finden seinen Vorschlag nicht gut: Bundesrat Guy Parmelin will Firmen wegen der hohen Strompreise ermöglichen, wieder in die Grundversorgung zurückzuwechseln. 
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Es wäre ein Tabubruch: Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) will jenen Firmen unter die Arme greifen, die von den exorbitanten Strompreisen am freien Markt erdrückt werden. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, in die sogenannte Grundversorgung zurückzukehren, wie diese Zeitung berichtete

Damit stösst Parmelin die Elektrizitätsunternehmen vor den Kopf. Diese beschaffen den Strom für ihre Kunden üblicherweise lange im Voraus. «Kämen nun Unternehmen aus dem freien Markt zurück in die Grundversorgung, müssten die Energieversorgungsunternehmen mehr Strom beschaffen, als sie das für die Grundversorgung geplant haben», sagt Julien Duc, Sprecher des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen.

Diesen Strom müssten die Versorger am Markt kaufen – und dort sind die Preise aktuell sehr hoch. Doch nicht nur deswegen sind die Elektrizitätsunternehmen wenig erfreut über Parmelins Pläne.

Kein Verständnis für Parmelins plötzlichen Kurswechsel

In der Schweiz haben Grossabnehmer seit 2009 die Möglichkeit, ihren Stromlieferanten am Markt frei zu wählen. Vorausgesetzt, sie verbrauchen im Jahr mehr als 100’000 Kilowattstunden Strom. Viele Firmen haben davon Gebrauch gemacht und jahrelang von den deutlich günstigeren Preisen am freien Markt profitiert. Alle anderen – also Firmen mit einem Verbrauch von weniger als 100’000 Kilowattstunden und Privatpersonen – müssen den Strom bei ihrem lokalen Versorger zu einem vorgegebenen und nicht verhandelbaren Preis kaufen. 

Sobald sich Unternehmen einmal für den freien Markt entschieden hatten, konnten sie nicht mehr zurück – bis jetzt. Da die Börsenpreise für Strom in den letzten Monaten in die Höhe schossen, bringen sie Firmen, die traditionell viel Strom brauchen, in Existenznöte. 

Besonders prekär ist die Lage bei jenen Unternehmen, die ihren Stromvertrag zum Jahreswechsel neu verhandeln müssen. Sie bezahlen nun teilweise zehnmal mehr für die Kilowattstunde. In der Grundversorgung steigen die Preise derzeit ebenfalls – aber deutlich weniger als am freien Markt. (Vergleichen Sie die Strompreise Ihrer Gemeinde hier.)

Dass den Firmen wegen der hohen Marktpreise geholfen werden soll, stösst bei den Versorgern auf wenig Verständnis. «Der Markt beinhaltet Chancen und Risiken. Von der Chance der tiefen Preise haben die freien Kunden jahrelang profitiert, sobald Risiken auftauchen, wollen sie zurück unter das regulierte Regime», so Duc.

Stromfirmen warnen vor finanziellen Folgen

In erster Linie würden Privatpersonen in die Röhre gucken. Kommt es wegen Rückkehrern in die Grundversorgung zu Mehrkosten, müssten die Energieunternehmen diese auf alle übrigen Abnehmer im Versorgungsgebiet verteilen. «Das heisst: Die bestehenden Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung müssten dann die Zeche zahlen und diese Mehrkosten mittragen. Das wäre für die gebundenen Kundinnen und Kunden unfair», so Duc. 

Diese Zusatzkosten wären aktuell wohl erheblich – denn schweizweit kaufen etwa 34’000 Firmen am freien Markt ein. Sie verbrauchen rund 40 Prozent des Stroms.

«Die bestehenden Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung müssten dann die Zeche zahlen.»

Julien Duc, Sprecher des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen 

Zudem warnen die Versorger, Parmelins Plan könne einzelne Energieunternehmen selbst in finanzielle Not bringen. Sie haben ihre Tarife für die Grundversorgung für 2023 bereits am 31. August bekannt gegeben. Änderungen sind nicht möglich. Wenn sie nun nach diesem Datum zu hohen Preisen zusätzlichen Strom einkaufen müssen, können sie diese Mehrkosten nicht mehr an Abnehmerinnen und Abnehmer in der Grundversorgung weitergeben. Das wäre erst ein Jahr später möglich, sie würden also auf den Kosten erst mal sitzen bleiben.

«Für kleine Energieversorgungsunternehmen mit einer kleinen Anzahl von Kunden könnte es kritisch werden, diese Differenz kurzfristig selbst zu tragen», warnt Verbandssprecher Duc.

Sollte es dennoch zu der von Parmelin angedachten Änderung kommen, brauche es dafür einen Vorlauf von ein oder zwei Jahren. Nur dann könnten die Versorger vorausschauend einkaufen und die negativen Auswirkungen auf ihre Abnehmerinnen und Abnehmer und die eigene Bilanz in Grenzen halten, so Duc.

Parmelin beschwichtigt

Für Parmelins Departement kommt die Diskussion zu einem ungünstigen Zeitpunkt, zumal es verwaltungsintern die nötigen Mehrheiten für eine konkrete Hilfsvorlage nicht auf sicher hat. Als Reaktion auf die Tamedia-Enthüllungen vom Montag publizierte das Departement am späten Dienstagnachmittag eine «Richtigstellung» auf seiner Website – in der es nun freilich offiziell bestätigt, dass eine Arbeitsgruppe die «Rückkehr von Unternehmen aus dem freien Markt in die Grundversorgung» vorbereitet.

Allerdings, so schreibt das Departement, sei man sich «bewusst», dass ein solcher Schritt «eine potenzielle Kostenverlagerung auf die bestehenden Kunden in der Grundversorgung haben könnte». Es gebe aber «Varianten, die eine solche Kostenverlagerung ausschliessen». Konkretere Angaben macht das Departement nicht. Man werde die «Indiskretionen zum anstehenden Bundesratsgeschäft» nicht weiter kommentieren. 

Tausende von Firmen wieder zum günstigeren Grundversorger-Preis einkaufen zu lassen, ohne dass die Privathaushalte etwas davon merken: Wäre das theoretisch überhaupt möglich? Die Verheissung scheint zumindest gewagt. In Expertenkreisen werden allerdings Modelle für kostengünstigere Kompromisslösungen diskutiert. 

Die Ideen der Experten

Eines davon stammt vom Verband Swisscleantech. Seine Idee: Firmen in Not können in die Grundversorgung zurückkehren – aber nicht in jene, in der Haushalte und KMU heute gefangen sind. Stattdessen wird parallel dazu eine «industrielle Grundversorgung» geschaffen. Den Preis für den Strom soll dabei der Staat festlegen, und zwar «moderat höher», als dies in der Grundversorgung für Haushalte und KMU heute im Durchschnitt der Fall ist. Swisscleantech spricht von einem Aufschlag von 50 Prozent. Das wäre also deutlich weniger als derzeit auf dem freien Markt, wo es Aufschläge von 1000 und mehr Prozent gibt. 

Das Problem: Den Anbietern des neuen Modells, den Elektrizitätsunternehmen, entstehen Mehrkosten, weil sie den Strom unter jedem Preis verkaufen müssen, zu welchem sie ihn auf dem freien Markt eingekauft haben. Diese Mehrkosten sollen die Firmen zurückzahlen müssen – nicht sofort, sondern erst dann, wenn sie aus der industriellen Grundversorgung wieder austreten. Eine Bürgschaft des Bundes soll sicherstellen, dass die Elektrizitätsunternehmen bei einem Firmenkonkurs nicht auf den Mehrkosten sitzen bleiben. Die Allgemeinheit müsste also nur im Notfall mitzahlen. Damit, so Swisscleantech, sei der Vorschlag fairer als eine Rückkehr Not leidender Firmen in die Grundversorgung für Haushalte und KMU. 

Ein weiterer Vorschlag stammt aus der Feder von SP-Fraktionschef Roger Nordmann. Hierbei richtet jeder Stromversorger einen neuartigen Pool für Not leidende Firmen ein, allein oder im Verbund mit anderen Stromversorgern. Die Firmen können diesem Pool beitreten, aber es besteht keine Pflicht dazu. Ziel sei es, diese Unternehmen langfristig mit Strom zu einem stabilen Tarif zu versorgen, sagt Nordmann. Im Gegenzug müssen die Unternehmen mindestens zehn Jahre im Pool bleiben. Diese lange Verpflichtung, so Nordmann, ermögliche es den Stromanbietern, die Tarife über mehrere Jahre zu glätten und die Kunden gleichzeitig vor «missbräuchlichen» Börsenpreisen zu schützen. 

Zumindest mit Nordmanns Vorschlag muss sich nun der Bundesrat beschäftigen. In einer Motion fordert der SP-Nationalrat, der Bundesrat solle die gesetzlichen Voraussetzungen für die Pool-Idee schaffen.