Preisdeckel, Kurzarbeit oder HärtefallfondsPolitik sucht händeringend nach Lösung für hohe Strompreise
Die stark steigenden Preise für Elektrizität sorgen in der Wirtschaft für Existenzängste. Nun überbieten der Gewerbeverband und Politiker einander mit Vorschlägen.
Wenn Fabio Regazzi als Präsident des Gewerbeverbands über explodierende Strompreise spricht, kann der Nationalrat (Die Mitte) aus eigener leidvoller Erfahrung berichten: Seine Firma, der Rollladenhersteller Regazzi, bezahlt für Strom in diesem Jahr 58’021 Franken. Nun hat er von seinem Stromanbieter, der Società Elettrica Sopracenerina (SES), eine neue Offerte über 925’670 Franken erhalten: 16-mal mehr. «Es ist unmöglich, solche Kostenerhöhungen über die Preise abzuwälzen», sagte Regazzi an einer Medienkonferenz des Gewerbeverbands.
«Die Strompreiserhöhungen können das Genick unserer Wirtschaft brechen», warnte der Präsident des Gewerbeverbandes. Dieser präsentierte einen ganzen Strauss an Vorschlägen, wie das Problem angegangen werden kann.
Er ist damit nicht allein. Denn in Bundesbern überbieten sich auch die Parteien mit Vorschlägen zu dem Thema.
Arbeitsgruppe brütet über Vorschlägen
Noch ist aber unklar, ob und wie der Bund Firmen hier entgegenkommt. Geleitet von einem Spitzenvertreter des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), arbeitet eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe an Vorschlägen zum Thema. Hierzu ist aber noch nichts nach aussen gedrungen.
Der wichtigste Wunsch des Gewerbeverbands dürfte indes unerfüllt bleiben: So sollen Firmen, die ihren Strom bisher am freien Markt eingekauft haben, unter Auflagen in die Grundversorgung zurückdürfen. Dort orientiert sich der Preis an den Gestehungskosten, ist also viel tiefer als der aktuelle Marktpreis für Strom an den Börsen.
Davon will die Verwaltung nichts wissen: «Der Gesetzgeber hat sich bewusst für das Prinzip entschieden: einmal im Markt, immer im Markt», sagt eine Sprecherin des Bundesamtes für Energie. So sollte verhindert werden, dass Firmen den Markt spielen lassen, wenn die Preise tief sind, und dann in die Grundversorgung zurückkehren, wenn die Preise steigen.
Eine Rückkehr von Firmen in den geregelten Tarif sei auch deshalb kaum machbar, weil die betroffenen Stromanbieter dann den zusätzlichen Strom am Markt einkaufen müssten. Das wäre sehr teuer. Und die Kosten dafür müssten dann auf alle Kunden in dem Versorgungsbereich umgelegt werden.
«Wir haben Verständnis dafür, dass die Firmen eine Lösung suchen, und bieten dafür Hand.»
Um dieser Kritik etwas zu entgegnen, schlägt der Gewerbeverband daher vor, dass Firmen nur unter Auflagen in die Grundversorgung zurückkehren dürfen: So sollen Firmen den Rückkehrwunsch ein Jahr im Voraus anmelden müssen. Zudem müssten sie sich für drei Jahre an die Grundversorgung binden und einen Strafaufschlag auf den Strompreis von 10 Prozent zahlen.
Doch auch in der Politik stösst der Vorstoss des Gewerbeverbands auf Ablehnung, wie bei der SP. Denn damit würde der Strom für die Haushaltungen zusätzlich steigen, warnt Fraktionschef Roger Nordmann.
Er schlägt die Tür aber nicht zu: «Wir haben Verständnis dafür, dass die Firmen eine Lösung suchen, und bieten dafür Hand.» Für das kommende Jahr schlägt die SP einen Abfederungsfonds vor, der von den ausserordentlichen Gewinnen der Strombranche refinanziert wird. Der Fonds soll den stromintensiven Firmen 50 Prozent jenes Anteils des Energiepreises rückerstatten, der über 20 Rappen liegt.
Grüne schlagen Härtefallfonds vor
Für 2024 möchte die SP per Gesetz einen nationalen Strombeschaffungspool für stromintensive Unternehmen schaffen. In diesen müssten die Stromproduzenten einen Teil ihres überschüssigen Stroms einspeisen, der nicht für die eigenen Kunden in der Grundversorgung bestimmt ist. Die Firmenkunden müssten für längere Zeit darin bleiben.
Die Grünen sind einer Rückkehr in die Grundversorgung gegenüber offen. So meint der Thurgauer Nationalrat Kurt Egger: «Mittelfristig sollen die Unternehmen die Möglichkeit bekommen, zurückzuwechseln. Allerdings erst nach einer Vorlaufzeit von zwei Jahren, denn die Versorger haben den Strom für die nächsten Jahre bereits beschafft.» Grosse Mengen an zusätzlichem Strom müssten sie jetzt zu hohen Preisen einkaufen.
Die Firmen hätten jahrelang von den tiefen Strompreisen profitiert. «Es kann nicht sein, dass die Haushalte, die immer im Monopol gefangen waren, das jetzt zahlen müssen», so Egger. Unternehmen müssten sich zu einem Beitrag an die Energiewende verpflichten und beispielsweise eine Solaranlage bauen oder Strom aus erneuerbaren Energien kaufen.
Kurzfristig möchten die Grünen den Firmen mit zwei Möglichkeiten entgegenkommen: Erstens soll der Bund einen Härtefallfonds schaffen, aus welchem den Firmen ungefähr 80 Prozent des Überpreises bezahlt werden – allerdings nicht als Subvention, sondern nur in Form von Darlehen.
Firmen mit hohen Energiekosten, die sich nicht verschulden wollen, sollen zweitens die Möglichkeit erhalten, Kurzarbeitsentschädigung zu beziehen, wenn die Produktion eingeschränkt werden muss – analog zu jener in der Pandemie. «Das hilft den Unternehmen und verhindert Mehrkosten für die Haushalte», so Egger.
Gewerbeverband: Strommarkt ist Oligopol
Interessant ist, dass der Gewerbeverband sich stets für eine vollständige Liberalisierung des Schweizer Strommarktes ausgesprochen hat. Jetzt, da die Preise explodieren, will der Verband in den regulierten Tarif zurück. Dazu Verbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler: «Wir haben hier keinen freien Markt, wir haben ein Oligopol.»
Sprich: Die Stromanbieter könnten nach Belieben den Firmenkunden die Preise diktieren, diese könnten nicht ausweichen. «Mit der Rückkehr in das Grundversorgungsangebot geben wir den Firmen eine Marktmacht», argumentiert er.
Als weitere Massnahmen gegen hohe Strompreise schlägt der Verband vor, dass Haushalte Kleinanlagen für sauberen Strom ohne Bewilligung bauen dürfen. Grossanlagen wie Wasser- und Windkraft müssten vom Einspracheverfahren ausgenommen werden.
Die hohen Strompreise halten die Politik in ganz Europa in Atem. Die Regierungen in Grossbritannien, Österreich oder Deutschland wollen die Strompreise einfrieren. Deutschland plant unter anderem eine Strompreisbremse für Haushalte und mittelständische Firmen. So sollen Kunden eine Basisversorgung zu einem Vorzugspreis bekommen. Details sind noch in Arbeit.
Die Debatte um Stromhilfen nimmt nicht nur in der Schweiz so richtig Fahrt auf.
Fehler gefunden?Jetzt melden.