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Laut Papst ein «Versehen»
Benedikt räumt Falschaussage bei Missbrauchsgutachten ein

Hat er oder hat er nicht an der Sitzung teilgenommen? Wurde oder wurde nicht an der Sitzung über den Priester gesprochen? Der emeritierte Pontifex Benedikt verstrickt sich in Lügengebilde. 
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Wie muss man sich Papst Benedikt vorstellen, der das 1893 Seiten starke Gutachten zum jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in seinem früheren Erzbistums München und Freising studiert?

Laut Privatsekretär Georg Gänswein liest der emeritierte Pontifex «aufmerksam die dort niedergelegten Ausführungen, die ihn mit Scham und Schmerz über das Leid erfüllen, das den Opfern zugefügt worden ist» und sei «um eine zügige Lektüre bemüht». Wirklich?

Seit dem Ende seines Pontifikats 2013 lebt Benedikt streng abgeschirmt im Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten. Nur wenige Ordensfrauen und Vertraute wie sein langjähriger Begleiter Georg Gänswein haben regelmässig Zugang zu ihm. Er ist körperlich sehr schwach und kann kaum noch sprechen. Nicht erst seit diesem Montag fragen sich Beobachter, wie sehr Benedikt im Alter von 94 Jahren und seit langer Zeit gesundheitlich angeschlagen noch Herr seines eigenen Handelns ist.

Dennoch steuerte er zu dem am Donnerstag veröffentlichten Münchner Missbrauchsgutachten im vergangenen Dezember eine 82-seitige Erklärung bei. Darin bestreitet er vehement, als Erzbischof von München und Freising über die Vorgeschichte eines als Missbrauchstäter verurteilten Priesters etwas gewusst zu haben. Dass Benedikt, ehemals Kardinal Joseph Ratzinger, diese mit juristischen Formulierungen gespickte Erklärung selbst verfasst hat, wird in Kirchenkreisen angezweifelt. Dass ihm erst jetzt aufgefallen sein soll, zu einem zentralen Vorfall eine falsche Aussage gemacht zu haben, wirft noch mehr Fragen auf.

Stein des Anstosses ist Benedikts Antwort auf die Gutachter-Frage 1.g): «Haben Sie an der Ordinariatssitzung vom 15.01.XXXX teilgenommen?». Benedikt antwortet darauf: «An der Ordinariatssitzung vom 15.01.XXXX habe ich nicht teilgenommen.» Das wiederholt er in fast gleichlautenden Formulierungen noch zweimal. Bei der Vorstellung des Gutachtens in der vergangenen Woche hielt der Jurist Ulrich Wastl geradezu triumphierend das Protokoll jener Sitzung hoch, die ihm als Beweis dafür gilt, dass Ratzinger doch dabei gewesen war.

Am Montag gestand der emeritierte Pontifex nun genau das ein: Er sei doch in der Sitzung dabei gewesen. Gleichzeitig – so lässt er über ein schriftliches Statement seines Privatsekretärs Gänswein mitteilen – sei er sich sicher, dass dabei nicht darüber entschieden wurde, jenen Priester im Bistum München einzusetzen. Die falsche Angabe sei «nicht aus böser Absicht heraus geschehen», heisst es in dem Statement, das am Montag unter anderem von der konservativen Tagespost Stiftung verbreitet wurde. Vielmehr sei sie «Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme». Eine Stellungnahme zu dem Gutachten werde zu einem späteren Zeitpunkt noch folgen.

Ruf nach Entschuldigung bei Missbrauchsopfern

Es sei ein Muster in der katholischen Kirche, immer nur das zuzugeben, was sich nicht mehr bestreiten lasse, sagt dazu der Sprecher der Opferinitiative «Eckiger Tisch», Matthias Katsch. «Damit trägt er dazu bei, dass man wirklich das Gefühl hat, man kann ihnen nichts glauben.»

Der Kirchenrechtler Thomas Schüller geht mit Benedikt hart ins Gericht: «Joseph Ratzinger verstrickt sich immer mehr in seine Lügengebilde und wird auch durch die angekündigte ausführliche Stellungnahme den irreparablen persönlichen Schaden für sich und sein Lebenswerk nicht mehr beseitigen können. Er beschädigt damit dauerhaft das Papstamt und damit die katholische Kirche.»

«Peinlich», heisst es von der Reformbewegung «Wir sind Kirche» und sogar der Ratzinger-Schüler und -Vertraute Wolfgang Beinert geht auf Distanz zu seinem Lehrer: «Auch Päpste sind vor Lügen nicht gefeit», sagte Beinert der «Augsburger Allgemeinen». «Alle Menschen sind Sünder, Päpste auch. Und auch Päpste sind Menschen, die in der Not zum rettenden Strohhalm greifen.» Ratzinger müsse sich öffentlich bei Missbrauchsopfern entschuldigen und ein Zeichen setzen – «so er das noch kann».

Viele Katholiken fragen sich derzeit, warum Benedikt so handelt. Wäre es seinem Ruf nicht viel förderlicher gewesen, wenn er einfach gesagt hätte: Ja, wir haben das damals falsch eingeschätzt. Wir dachten, man könnte den Priester therapieren. Wir wollten Schaden von der Kirche abwenden. Heute wissen wir, dass wir ihn nie wieder hätten einsetzen dürfen. Wir bitten um Verzeihung.

Die ehemalige Nonne und Ratzinger-Kritikerin Doris Reisinger hat gemeinsam mit dem Filmemacher Christoph Röhl ein Buch über die Rolle des heute emeritierten Papstes im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche geschrieben. Die beiden werfen ihm darin vor, den Ruf der Kirche über das Leid der Opfer gestellt zu haben. Ihr Buch trägt den Titel «Nur die Wahrheit rettet».

SDA/oli