Papablog: Geschlechterstereotype im BlickDinge haben kein Geschlecht
Warum hängt die Gesellschaft noch an Geschlechterklischees? Unser Autor zeigt, wie seine Kinder damit brechen und warum er weiter für Gleichberechtigung kämpft.
Meine siebenjährige Tochter spielt momentan mit Begeisterung Fussball. Sie kickt in jeder Schulpause und verabredet sich am Wochenende mit Freundinnen, um in deren Garten aufs Tor zu schiessen und Bälle zu halten. Ihr neunjähriger Bruder könnte daran nicht desinteressierter sein. Manchmal passen wir uns in der Dämmerung einen selbstleuchtenden Ball zu (schöne Erfindung), um noch ein bisschen gemeinsam draussen zu sein, aber das war es dann auch. Darüber hinaus ist ihm Fussball zu kompliziert, zu kompetitiv und vor allem viel zu anstrengend. Einem Ball hinterherzujagen, ist für meinen Gemütlichkeitsbären keine nachvollziehbare Entscheidung. Er malt und schwimmt gern. Er fährt gerne Hoverboard, liebt Unterhaltungen, lange Bäder und macht es sich generell so kuschelig wie möglich. Seine kleine Schwester hingegen mag Trampolinspringen, Bouldern und wie gesagt seit neuestem Fussball. Sie ist ehrgeizig, sie strengt sich gerne an und mag das daraus resultierende Gefühl der Erschöpfung. Das könnte meinem Gemütlichkeitsbären nicht passieren. Anstrengung überzeugt ihn als Konzept überhaupt nicht und ist global gesehen ein schwerer Fehler.
Die Macht der Zuschreibung
Das könnte alles vollkommen unproblematisch sein. Der eine springt nur so hoch, wie er muss, die andere immer wieder so hoch, wie sie kann. Kinder sind eben verschieden. Das Problem ist, dass beide damit gegen geschlechtsspezifische Zuschreibungen verstossen. Zwar erfüllen sie viele davon auch, aber für etwaige Nichteinhaltung von Geschlechternormen werden sie immer wieder bestraft. Freunde wenden sich von meinem Gemütlichkeitsbären ab, weil er überhaupt kein Interesse an Fussball hat und sie annehmen, dass er aufgrund ihrer Lieblingsbeschäftigung kein Interesse an ihnen hat. Das stimmt aber nicht. Und eigentlich hat sich in den Freundschaften auch nichts geändert. Seine Jungs spielen nicht erst seit gestern Fussball, und er ist nicht erst seit vorgestern ein Gemütlichkeitsbär. Was sich ändert, ist die Macht der Zuschreibung. Die Wucht des Imperativs, sich gefälligst geschlechterrollenkonform zu verhalten. Das gilt auch für mein kleines Mädchen. Die ist schon immer in jedes Loch gekrochen und auf jeden Baum geklettert, egal wie zerkratzt sie danach war. Aber in letzter Zeit wird sie vermehrt für unmädchenhaft befunden. Ihre Haare seien nicht lang genug und ihre Hosen zu dreckig. Darüber hinaus probiert sie gerne Sachen aus und lässt sich nicht herumschubsen. Kuscheln und Liebhaben auch ganz super, aber wer Streit will, kriegt Streit.
Und jetzt könnte man natürlich sagen, das hatten wir doch alles schon mal. Wie oft will ich mich denn noch wiederholen?! Bücher, Kolumnen, Vorträge, diesdas. Geschlechtergerechtigkeit, blabla, Stereotypenbedrohung, blabla. Die Antwort darauf ist einfach: so lange wie nötig. Bis endlich Schluss ist. Schluss damit, dass Jungen mit zunehmendem Alter aus dem zärtlichen Körperkontakt mit anderen fallen und aufgezwungen bekommen, sich möglichst hart und unnahbar zu geben. Schluss damit, dass Mädchen nett und friedlich zu sein haben und für gute Stimmung sorgen müssen – beim Familienessen, im Klassenzimmer, an der Bushaltestelle. Dinge haben kein Geschlecht. Vorlieben, Farben, Hobbys, Berufe, Spielzeuge, Überzeugungen, Haarlängen, Begabungen haben kein Geschlecht. Europäische Austern mögen mehrmals pro Jahr abhängig von der Wassertemperatur das Geschlecht wechseln, aber von Menschenkindern ist das nicht bekannt. Jungen «verweiblichen» nicht durch den Gebrauch von Nagellack, und Mädchen werden durch einen Kurzhaarschnitt nicht «burschikos».
Also werde ich immer wieder von vorne anfangen. Immer. Wieder. Verabredung steht.
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