Papablog: Stereotypen in der SchuleMacht Platz für meinen Elfenriesen!
Die Schule wird für den Sohn unseres Autors vermutlich zur Herausforderung. Doch ihn vorab «abzuhärten», kann nicht die Lösung sein.
«Das wird nicht einfach, wenn der in die Schule kommt» sagt meine grosse Tochter und schaut gedankenverloren ihrem kleinen Bruder nach. «Er ist eine Elfe im Körper eines Riesen.» Der Elfenriese hat eben einen Ball in die Hecke geschossen und geht nachschauen, ob er dabei nicht vielleicht irgendwelche Käfer getroffen hat. Und seine Schwester hat ihn gerade sehr treffend bezeichnet.
Er ist mit seinen sechs Jahren so gross wie ein durchschnittlicher Achtjähriger, hat für sein Alter gewaltige Hände und Füsse, ist sackschwer, stark wie ein kleiner Ochse und kann brüllen, dass einem die Ohren abfallen. Er ist aber auch zart wie ein Schmetterling, der keine lauten Geräusche mag. Er macht sich Sorgen, wenn jemand aus einer Gruppe ausgeschlossen wird oder es seiner kleinen Schwester nicht gut geht. Er mag keine Überraschungen. Seine Augen schreckensweiten sich für eine Sekunde, wenn jemand die Stimme erhebt. Er hat nichts für Gewalt übrig, er liebt Nähe, Geschichten und Gummibärchen, und wenn er traurig ist, fragt er, ob man mit ihm unter einer Decke kuscheln kann. Er ist einer, der nicht nur Wasserrutschen und waghalsige Kunststücke auf dem Roller und Fahrrad mag, sondern manchmal auch gerne fliegende Kleider trägt und mit Glitzerschminke oder frisch lackierten Nägeln eine «Bibi und Tina»-Geschichte hört.
Wird man ihm die Flügel ausreissen?
In seiner Kita gehört er mit diesem Verhalten zu den beliebtesten Kindern. Einerseits, weil er Lust an Kümmern und Interaktion hat. Andererseits, weil niemand aufgrund seiner körperlichen Überlegenheit auf die Idee kommt, sich mit ihm anlegen zu wollen. Der Elfenriese kann mit allen spielen, weil er sich gerne auf andere einlässt, und wird zugleich wenig bis gar nicht in Streitereien verwickelt, weil er nicht so aussieht, als wäre das auch nur ansatzweise eine gute Idee. Meine grosse Tochter weiss das alles. Sie weiss aber auch, dass in der Schule andere Regeln gelten. Dass er dort unter den vielen durchaus auch älteren Kindern nicht mehr so riesenhaft wirken wird. Mit ihren fast sechszehn Jahren macht sie sich Sorgen, dass man ihrem kleinen Elfenriesen die Flügel ausreisst. Mir geht es genauso.
Das Bedürfnis nach Trost hat kein Geschlecht – es hat nur eins zugeschrieben bekommen.
Aber glücklicherweise habe ich Erfahrungen mit solchen Jungs. Mit Prinzessinnenjungs, wie ich sie nenne. Alle Jungen sind mehr oder weniger Prinzessinnenjungs. Und zwar in dem Rahmen, in dem sie Trost und Nähe brauchen, verunsichert sind, zart und schüchtern, Lust an Verschönerung und glitzernden Dingen haben. Diese Eigenschaften gehören in der einen oder anderen Form zu Jungen, weil sie zu Menschen gehören. Das Bedürfnis nach Trost und die Begeisterung für quietschpinke Haarspangen haben kein Geschlecht – sie haben nur eins zugeschrieben bekommen. Und deshalb macht es auch gar keinen Sinn, Jungen «abzuhärten», zu verbiegen oder ihnen all diese Dinge auszureden. Damit machen wir sie nur zu Problemen, die sie nicht sind, sondern eigentlich nur haben, weil wir gemeinsam zu wenig unternehmen, um sie aus der Welt zu schaffen.
Und damit stutzen wir ihnen lediglich die Flügel, von denen wir doch eigentlich verhindern wollten, dass man sie ihnen rausreisst. Mit denen sie fliegen können. Und nach verletzten Käfern gucken. Schule wird vermutlich eine grosse Herausforderung für den Elfenriesen. Aber ihm vorab seine Elfenhaftigkeit auszutreiben, wird ihm dabei sicher nicht helfen. Er wird das schaffen. Und wir unterstützen ihn dabei. Denn wir glauben fest an den Elfenriesen.
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