Bestseller «One Day» bei NetflixNetflix wagt sich an die rührendste Romanze der Nullerjahre
Mehr als zehn Jahre nach der missglückten Verfilmung von David Nicholls’ Hit «One Day» geht die Liebesgeschichte von Emma und Dexter in Serie. Das Ganze endet ungut – zum Glück.
In der Nacht der College-Abschlussfeier begegnen sich zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie: Eine unscheinbare, schlagfertige 22-Jährige aus einfachen Verhältnissen, welche die Welt verändern will oder zumindest einen kleinen Teil davon. Er: Ein gut aussehender, populärer Typ aus wohlhabendem Haus, dem alles mühelos zufliegt, vor allem die Herzen der Frauen. Er will die Welt nicht verändern, sondern bereisen – und mit 40 reich und berühmt sein.
Am Ende landen Emma und Dexter trotzdem zusammen im Bett. Es ist der Beginn von «One Day», einer der romantischsten Liebesgeschichten des 21. Jahrhunderts. Der englische Autor David Nicholls hat damit Millionen von Leserinnen und Lesern weltweit zum Schmachten und Weinen gebracht. Nun hat Netflix den Bestseller in eine 14-teilige Serie verpackt. Das ist clever, aber vor allem mutig, ist doch der erste Versuch, den Stoff zu verfilmen, 2011 ziemlich missglückt.
Weshalb die Liebesgeschichte so besonders ist
Frauenheld Dexter (Leo Woodall) und Aktivistin Emma (Ambika Mod) passen eigentlich überhaupt nicht zusammen – weder optisch noch intellektuell. «Er hat mit allen geschlafen. Nun ist er mit der Liste durch und bei mir angelangt.» Das ist Ems Erklärung, warum Dex mit ihr nach Hause gekommen ist, obwohl sie nichts verbindet. Nach der ersten gemeinsamen Nacht (ohne Sex, sie will lieber reden) kommen sie trotzdem nicht voneinander los.
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Diese spürbare, aber ungelebte Liebe macht den Reiz von «One Day» aus. Der Clou an der Geschichte ist aber besagter Tag: David Nicholls begleitet Em und Dex während 16 Jahren – blickt aber jeweils nur an einem Tag im Jahr in ihr Leben: am 15. Juli. Die 364 Tage dazwischen darf sich jede und jeder selbst ausmalen.
Was der Film verbockt hat – und die Serie besser macht
Einen derart beliebten Bestseller auf die Leinwand zu bringen, ist per se eine diffizile Angelegenheit; weil man nach dem Lesen zu viele eigene Bilder im Kopf hat und auf vieles aus der Vorlage verzichten muss. Bei der Verfilmung «One Day» und seiner zerstückelten Geschichte fiel das erst recht ins Gewicht. Die Romanze raste in knapp 100 Filmminuten durch das halbe Leben der beiden und verpasste es, den Figuren nahezukommen.
Hier hat die Netflix-Serie einen entscheidenden Vorteil: Die Handlung und die Figuren können sich immerhin über 14 Folgen entwickeln (wenngleich es auch hier nicht allzu sehr in die Tiefe geht und man die 16 Jahre kaum sieht und fühlt).
In der britischen Serie hat es im Vergleich zum Film zudem mehr Raum für Humor, den vor allem Emma und ihre köstliche Mitbewohnerin (Amber Grappy) ausleben dürfen. Als Dex von Em wissen will, ob sie aus religiösen Gründen keinen Sex hatten, erklärt sie ihm, ihre Mutter sei Hindu und ihr Vater ein abtrünniger Katholik: «Gott war da nicht beteiligt.»
Die Chemie kommt schon wieder zu kurz
Ein Hauptproblem des Kinofilms war die Fehlbesetzung von Jim Sturgess als Dexter. Anne Hathaway passte zwar etwas besser zur Rolle der Emma, aber so gar nicht zu ihrem blassen Filmpartner. Da prickelte wenig bis gar nichts zwischen den beiden.
Derweil bringt der Netflix-Dexter, der 27-jährige britische Schauspieler Leo Woodall («White Lotus»), so viel Charisma in die neue Serie, dass es beinahe nicht auffällt, dass die Chemie zwischen ihm und seiner Serienpartnerin auch nicht immer stimmt. Ob und warum genau er für sie brennt, bleibt lange unklar. Dafür ist Emma alias Ambika Mod so dauerelektrisiert, dass sie selbst beim Anblick von Dexters Zahnbürste schwer atmen muss.
Die britische Presse feiert die 29-jährige Britin bereits als grosse Neuentdeckung. «One Day» ist ihre erste Hauptrolle, und sie spielt darin so engagiert, als gäbe es keine zweite. Vor allem in Momenten, in denen sie sich gerade wieder besonders frustriert, wehmütig, verletzt oder zurückgewiesen fühlt, spielt ihr Gesicht das alles mitsamt Untertiteln mit.
Da ist wenig Subtiles bei ihr – ganz im Gegensatz zum grossartigen Woodall. Das liegt aber auch an der überzeichneten Ausstattung, die Netflix Emma verpasst hat: Mit ihrer Riesenbrille «Modell nerdiges Mauerblümchen» erinnert sie an die Figur aus dem Disneyfilm «Encanto». Dazu muss sie Plastiktüten statt Handtaschen tragen, später unvorteilhafte Frisuren und Kostüme. Mit den Frauen aus Dexters Beuteschema, die seine Mutter als Sexpuppen bezeichnet, hat Emma rein gar nichts gemein.
Der Soundtrack ist für Dummies – aber hinreissend
Netflix hat es nicht nur bei der Figurenzeichnung von Emma ein wenig übertrieben, auch bei den Songs trägt die Serie zu dick auf. Zum Beinahe-One-Night-Stand läuft «Love and Affection», beim Morgengrauen «Saturday Sun» von Nick Drake.
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Als Dexters Mutter sich von ihm verabschiedet, nachdem sie ihm offensichtlich etwas Trauriges mitteilen wollte, ertönt «Last Look» von Vanbur, damit es auch sicher jeder begreift, dass sie bald stirbt. Abgesehen davon bringt einen der Soundtrack zuverlässig in Stimmung.
Die zwiespältige Abweichung vom Roman
In der Serie ist Emma, anders als im Roman und im Film, nicht weiss wie Dexter, sondern indischer Herkunft. Man wird das Gefühl nicht los, dies sei aus Diversitygründen so, allerdings nur pro forma.
Denn von Emmas Herkunft und ihrer Familie erzählt die Serie nichts, die kulturellen Unterschiede zwischen den beiden werden ausgespart, obwohl diese mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Rolle gespielt hätten im Grossbritannien der Achtzigerjahre, wo die Geschichte startet.
Der Höhepunkt kommt mit dem Tiefpunkt
Alle, die «One Day» gelesen haben, wissen, dass der ganz grosse Herzschmerz zum Schluss kommt – am 15. Juli 2003. Auch die Serie hält daran fest. Zum Glück! Denn dann richtet sich die gesamte herzzerreissende Aufmerksamkeit auf Leo Woodall. Bis zum beinahe versöhnlichen Ende.
«One Day», 14 Folgen, seit 8. Februar bei Netflix
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