Auszeichnung für GenforschungMedizin-Nobelpreis geht an zwei Amerikaner
Victor Ambros und Gary Ruvkun werden für die Entdeckung der microRNA und ihrer Rolle bei der Genregulierung ausgezeichnet.
Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an die US-Amerikaner Victor Ambros und Gary Ruvkun für die Entdeckung der microRNA und ihrer Rolle bei der Genregulierung. Das teilte das Karolinska-Institut in Stockholm mit.
Die beiden Forscher hätten ein grundlegendes Prinzip zur Steuerung der Genaktivität entdeckt, hiess es. «Ihre bahnbrechende Entdeckung offenbarte ein völlig neues Prinzip der Genregulierung, das sich als wesentlich für mehrzellige Organismen, einschliesslich des Menschen, erwies», so das Nobelkomitee in seiner Begründung. microRNA erweise sich als grundlegend wichtig für die Entwicklung und Funktion von Organismen.
Gebrauchsanweisung für Zellen
Die in den Chromosomen gespeicherte Information kann mit einer Gebrauchsanweisung für alle Zellen des Körpers verglichen werden. Jede Zelle enthält dieselben Chromosomen und damit denselben Satz von Genen. Verschiedene Zelltypen wie Muskel- und Nervenzellen haben trotzdem sehr unterschiedliche Eigenschaften. Dafür spielen Mechanismen der Genregulation eine Rolle, wie sie von Ambros und Ruvkun beschrieben wurden.
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Die diesjährige Auszeichnung sei «eindeutig ein Preis für Physiologie», betonte Gunilla Karlsson Hedestam, Vorsitzende des Nobelkomitees für Physiologie oder Medizin.
Doch die bereits 1993 in zwei «Cell»-Artikeln veröffentlichte Entdeckung der microRNA – die zunächst wissenschaftlich auf Schweigen stiess – ist nicht nur wesentlicher Bestandteil der Gebrauchsanweisung unserer Zellen – sie hat auch medizinisch weitreichende Folgen: Fehler in der Regulierung durch microRNA können zu Krebs beitragen, ebenso hängen Krankheiten wie angeborene Schwerhörigkeit, Augen- und Skeletterkrankungen mit Mutationen in Genen zusammen, die microRNA kodieren.
Mutationen in einem der Proteine, die für die microRNA-Produktion erforderlich sind, führen zum DICER1-Syndrom, einer seltenen Erbkrankheit, die das Risiko für Krebs in verschiedenen Organen und Geweben erhöht.
Die bedeutendste Auszeichnung für Mediziner ist wie im Vorjahr mit 11 Millionen schwedischen Kronen (rund 910’000 Schweizer Franken) dotiert. Sie geht je zur Hälfte an die beiden Forscher.
Zufällig auf die grosse Entdeckung gestossen
Nach Angaben eines Experten der Nobelversammlung sind die diesjährigen Medizin-Nobelpreisträgerzufällig auf ihre grosse Entdeckung gestossen, die ihnen die prestigeträchtige Auszeichnung eingebracht hat. Aus wissenschaftlicher Neugier und ohne spezifisches Ziel hätten sich Victor Ambros und Gary Ruvkun Fadenwürmer angeschaut, die etwas komisch ausgesehen hätten, sagte Olle Kämpe vom zuständigen Nobelkomitee des Stockholmer Karolinska-Instituts der Deutschen Presse-Agentur.
Manchmal könne es für das Nobelkomitee schwierig sein, bahnbrechende Erkenntnisse in wissenschaftlichen Themengebieten auf die Arbeit einzelner herunterzubrechen – nicht jedoch diesmal, erklärte Kämpe. Ambros und Ruvkun hätten an bestimmten Mutanten von Fadenwürmern gearbeitet, an denen niemand anderes wirklich interessiert gewesen sei. «Sie sind Pioniere, und sie haben dies einfach aus Neugier getan», sagte Kämpe.
Nobelpreisträger schwierig zu erreichen
Victor Ambros (70) arbeitet an der University of Massachusetts Medical School, Gary Ruvkun (72) an der Harvard Medical School sowie am Massaschusetts General Hospital. Als der Preis bekanntgegeben wurde, war es an der Ostküste der USA noch sehr früher Morgen. Ruvkun wurde deswegen vom Anruf der Nobelversammlung geweckt und klang am Telefon noch sehr müde. Ambros hingegen ging zunächst gar nicht ans Telefon. «Ich habe eine Nachricht auf seinem Handy hinterlassen und hoffe, dass er mich bald zurückruft», sagte der Sekretär der Nobelversammlung des Karolinska-Instituts, Thomas Perlmann.
microRNA spielt auch in Schweizer Forschung eine wichtige Rolle
Die mit dem Nobelpreis für Medizin geehrte Entdeckung von microRNA ist auch für die Schweizer Forschung von Bedeutung. Forschende aus diversen Fachgebieten würden damit arbeiten, sagte Markus Stoffel von der ETH Zürich der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
«Der Nobelpreis dafür ist absolut gerechtfertigt», sagte Stoffel. Es handle sich um eine sehr wichtige Entdeckung.
Bisher sei zwar keine Therapie mit microRNA auf dem Markt, es gebe aber bereits fortgeschrittene Programme. Forscher untersuchen auf microRNA-basierende Therapien für verschiedene Krankheiten, wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes.
«Es ist davon auszugehen, dass es in Zukunft Medikamente gibt, die auf microRNA-Medikamenten basieren», sagte Stoffel. Entsprechende Forschung würde auch in der Schweiz betrieben.
microRNA sind eine Familie von Molekülen, die den Zellen helfen, die Art und Menge der von ihnen produzierten Proteine zu kontrollieren. Die Proteine einer Zelle steuern dabei laut Stoffel, wie genau eine spezifische Zelle funktioniert. Wenn diese Genregulation aus dem Ruder läuft, kann dies zu schweren Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Autoimmunität führen.
Bisher 227 Medizin-Nobelpreisträger
Seit der ersten Auszeichnung im Jahr 1901 wurden insgesamt 227 Menschen mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet, darunter 13 Frauen. Im vergangenen Jahr war er an die in Ungarn geborene Biochemikerin Katalin Karikó und den US-Immunologen Drew Weissman gegangen. Sie erhielten ihn für ihre Grundlagenarbeit an der mRNA-Technologie, die die unheimlich schnelle Entwicklung von Corona-Impfstoffen ermöglicht hat. Aus Sicht des Nobelpreiskomitees für Medizin haben Karikó und Weissman mit ihren Arbeiten dazu beigetragen, in beispiellosem Tempo Impfstoffe zu entwickeln, eine verheerende Pandemie einzudämmen und Millionen von Menschenleben zu retten.
Mit der Bekanntgabe in der Preiskategorie Physiologie oder Medizin wird traditionell die alljährliche Nobelpreis-Saison eingeläutet. Am Dienstag und Mittwoch werden die Nobelpreisträger in den Kategorien Physik und Chemie auserkoren, ehe am Donnerstag der Literaturnobelpreis folgt. Am Freitag wird dann der Friedensnobelpreis vergeben – er ist der einzige der Nobelpreise, der nicht in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, sondern in der norwegischen Hauptstadt Oslo vergeben wird.
In Stockholm folgt zum Abschluss Anfang kommender Woche der Nobelpreis in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften. Er geht als einzige der Auszeichnungen nicht auf das Testament des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896) zurück.
Feierlich überreicht werden alle Nobelpreise traditionell an Nobels Todestag am 10. Dezember.
DPA/sme
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