Mamablog: Wenn Kinder schlecht träumenNightmärchen im Kinderzimmer
Der sogenannte Nachtschreck ihres Sohnes versetzt auch unserer Autorin einen gehörigen Schrecken. Und lässt sie über fast vergessene Hexen nachdenken.
Kürzlich weinte mein Sohn nachts so heftig und abrupt, dass ich beinahe aufrecht im Bett stand. Ganz normal bei einem Kleinkind, sollte man meinen. Erfahrungsgemäss kommt das aber nur noch vor, wenn wirklich ein Grund besteht, d. h. wenn Windeln ausgelaufen, der Nuggi unauffindbar oder der Schoppen leer getrunken sind. Oder wenn das Kind krank ist.
Nichts davon traf in besagter Nacht zu. Ausserdem schien der Kleine gar nicht richtig wach zu sein. Alle Versuche, ihn aufzuwecken oder zu beruhigen, schlugen fehl. Urplötzlich schlief er dann wieder ein – und ich war derart verdattert, dass ich einen Moment brauchte, bis der Zwanziger fiel: Logisch, mein Sohn träumte.
Können Zweijährige bereits Albträume haben?
Der Grund des sonderbaren Weinens war geklärt. Also fast. Es gefiel ihm im Traumland offensichtlich nicht besonders gut. Können Zweijährige bereits Albträume haben? Wie mir das Internet verriet, eher nicht. Vielmehr sprach vieles für den sogenannten Nachtschreck. Unsere Kinderärztin bestätigte diese Theorie, vor allem, weil sich der Spuk in den ersten zwei bis drei Schlafstunden abspielte. Solange das Ganze aber weder an Regelmässigkeit gewinnt noch ins Schlafwandeln übergeht, sei es auch nicht weiter gefährlich.
Oder erinnerte er sich an den kürzlich erlebten Aufenthalt im Kinderspital?
Nichtsdestotrotz erwachte mein Mutterinstinkt und ich fragte mich, was vor dem inneren Auge des kleinen Mannes wohl für ein Film gezeigt wurde. War in der Kita etwas vorgefallen? Oder erinnerte er sich an den Streit um den Bagger auf dem Spielplatz? Oder an den kürzlich erlebten Aufenthalt im Kinderspital? Da könnte Mami auch gleich mitweinen. Macht sie aber nicht, Mamis sind ja stark. Immer und überall. Ausser unter der Dusche, wo Weinen erlaubt ist.
Fürchterliche Figuren aus der Kindheit
Unweigerlich kamen mir die beiden Protagonisten meiner kindlichen Angstträume in den Sinn: Räuber und Hexen. Furchtbar real versammelten sich diese regelmässig in meinem Zimmer. Und eigentlich bin ich mir bis heute sicher, dass sie wirklich dastanden, auf jeden Fall die Räuber mit ihren Tüchern um Nase und Mund. Die Hexen waren meistens im Wald, wo sie zuschnappten, sobald sich ein Kind mehr als zehn Meter hineinwagte.
Während die Räuber womöglich auf die eine oder andere Fernsehsendung zurückzuführen waren, basierte die vermeintliche Existenz von Hexen hauptsächlich auf den damals noch immer geläufigen Märchen. Die Brutalität und Kompromisslosigkeit der mehrheitlich auf die Brüder Grimm zurückzuführenden Geschichten würden heute als Horrorfilm durchgehen. Das allerschlimmste dieser Märchen war und ist für mich noch immer «Hänsel und Gretel». Sowohl der Originaltext als beispielsweise auch ein mir kürzlich in die Hände gefallenes Bilderbuch, das noch 1984 neu herausgegeben wurde, sind einfach nur furchtbar.
Alles andere als märchenhaft
Sie erinnern sich vielleicht: Erst einmal werden die Geschwister in «Hänsel und Gretel» von den Eltern im Wald ausgesetzt. Wer macht denn so was? Daraufhin gelangten die beiden in die Fänge einer sadistisch-kannibalischen Hexe, die Hänsel in einen Käfig sperrte und ihn mästete: «Täglich wollte sie sein Fingerchen fühlen, ob er schon fett genug zum Schlachten sei». Nachdem Gretel eigentlich hätte im Ofen gebraten und aufgefressen werden sollen, wurde die Hexe schliesslich selbst Opfer ihres Plans und verbrannte «elendiglich».
Weshalb hat man uns diesen Mist bloss erzählt?
Auch bei anderen Märchen ging es ähnlich brutal zu und her: Das «Rotkäppchen» würde ich heute in die Kategorie «blutrünstig» einordnen. Präsentiert wird eine Welt, in der es alltäglich scheint, dass ein böser Wolf eine Grossmutter verspeist, um schliesslich selbst den Bauch aufgeschlitzt und mit Steinen gefüllt zu bekommen. In der Bilderbuchversion heisst es zudem: «Wie gut, dass Rotkäppchen den Wein zur Stärkung mitgebracht hatte!» Ja, liebe Kinder, trinkt Alkohol, dann werdet ihr gross und stark! Weshalb hat man uns diesen Mist bloss erzählt? Wollte man uns vor Wäldern und Wölfen abschrecken? Grossartige Idee, die bestimmt nicht nur mich in Angst und Schrecken versetzte.
Meinen Sohn versuche ich vor solchen Geschichten zu bewahren, indem ich «geerbte» Bücher nach Gewalt, Rassismus oder anderen überholten Ansichten durchforste. Selbstverständlich können wir unsere Kinder nicht vor allen potenziell gefährlichen Darstellungen schützen – die ja auch von jedem Kind wieder anders interpretiert werden. Es gilt also wie immer, eine gesunde Balance zu finden, damit keine Angst vor dem Sandmann aufkommt.
PS: Als Nachtschreck meines Sohnes habe ich nach wie vor den Bagger in Verdacht. Die Baggerliebe eines Zweijährigen ist nämlich nicht zu unterschätzen.
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