Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Mamablog: Beaufsichtigung von Kindern
Die Krux mit der Vorsicht

Freiraum versus Beschützerinstinkt: Manche Eltern neigen zum Überbehüten – und verhindern Lerngelegenheiten.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Seit Verkündung des (vorübergehenden) Endes der Pandemie scheint es, als ob das Veranstalten von Festivitäten zur olympischen Disziplin geworden wäre. Ob Quartierfest, Grümpelturnier, Festival, Chilbi oder Sackhüpfwettbewerb, Hauptsache möglichst viele Menschen auf engem Raum mit lauter Musik, Drinks für die Grossen und ausgefallenen Aktivitäten für die Kleinen.

Adrenalinschübe vorprogrammiert

Da mein Zweijähriger bisher nur eine Welt mit Corona kannte, sind dies ganz schön viele Premieren. Hinzu kommt, dass sich sein Streben nach Autonomie täglich intensiviert. Beste Voraussetzungen also für solche Menschenansammlungen, die mich als Mami manchmal ganz schön überfordern: Hüpfburg, Karussell, Schminkecke, Akrobatikvorführungen – wo soll man da nur beginnen und wie gelingt es, das Kind im Gewusel nicht zu verlieren? «Wo ist Walter» mag ja lustig sein. Im Buch. Live hingegen sind die Adrenalinschübe vorprogrammiert. Zudem, wer trägt im Sommer schon eine gestreifte Mütze? 

Spass bei Seite, Kinder suchen zu müssen, ist alles andere als lustig. Im Gegenteil. Seit mein Sohn kapiert hat, wie schnell er Mami abhängen kann, genügt ein kurzer Blick zu den reduzierten T-Shirts und prompt hat er seinen Weg zu den ferngesteuerten Autos aufgenommen. Erfolgt dann auf Rufen des Namens keine Reaktion, öffnen sich die Schweissdrüsen im Nu. Gerade Kaufhäuser sind prädestiniert, um Kinder zu verlieren. 

Egal, ob Spielwarenabteilung oder Jugendfest – seit der Rückkehr zur Normalität frage ich mich mehr denn je, wie viel Freiraum gut für ein Kind ist. Soll man es sich austoben, auf Mauern laufen, klettern, hüpfen und rennen lassen oder strikt an der Hand führen? Ich tendiere meist zu Variante eins, denn Gefahren lauern schliesslich überall und lassen sich nicht wegzaubern, obwohl wir alle gerne hätten, dass unseren Kindern nichts zustösst. Ausserdem kann auch eine Überbehütung die Entwicklung insbesondere von Zwei- bis Dreijährigen bremsen. Aber da wäre ja auch noch die zu anti-autoritäre Erziehung, bei der das Austoben gar nicht erst infrage gestellt wird. Allerdings könnte bei diesem Erziehungskonzept mangelnde Fürsorge womöglich zu fehlender Sozialkompetenz oder eingeschränktem Pflichtbewusstsein führen. Sie sehen also, ein gesundes Mass zu finden, fällt mir gerade sehr schwer. 

Grausame Taten, bleibende Erinnerungen

Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich teilweise im sogenannten «dunklen Jahrzehnt der Schweiz» aufgewachsen bin. Zwischen 1980 und 1989 verschwanden in der Schweiz 21 Kinder, wobei von sieben der Opfer bis heute jede Spur fehlt. Werner Ferrari wurde des Mordes an fünf der von Volksfesten oder dem Schulweg weggelockten, missbrauchten und erdrosselten Kinder schuldig gesprochen. Auch der Name Urs Hans von Aesch fällt in diesem Zusammenhang häufig. Der in Spanien wohnhafte Schweizer entführte und ermordete 2007 nicht nur ein fünfjähriges Mädchen im Appenzell, er wurde ferner nach seinem Suizid auch mit dem «Fall Maddie» sowie den ungeklärten Verbrechen der Achtzigerjahre in Verbindung gebracht.

In trauriger Erinnerung bleiben auch all jene Opfer, die in die Hände von im Hafturlaub rückfällig gewordenen Tätern gerieten. Und selbst wenn heute dank kriminaltechnischen Fortschritten Täter oftmals früher ausfindig gemacht werden, können unsere Kinder nicht vollkommen geschützt werden. Man denke nur an den «Fall Rupperswil» oder all die illegal erstellten und tausendfach im Netz geteilten kinderpornografischen Aufnahmen.

Klare Regeln für letztlich mehr Freiheiten

Verunglücken oder verletzen können sich Kinder aber gewiss auch im und ums Haus: Balkongeländer, Medikamente, Pflanzen, Badewanne, Steckdosen, Herdplatten, rutschige Böden, Kaffeemaschine und andere Elektrogeräte, um nur ein paar der vielen Gefahrenquellen zu nennen. Natürlich sollte man nicht tatenlos zusehen, wie der Nachwuchs Weichspüler trinkt, allerdings ist es schlicht unmöglich, sämtliches Unheil von ihm fernzuhalten. Je mehr Erfahrungen ein Kind sammeln kann, desto grösser werden seine Selbstsicherheit und das Vertrauen in sich selbst und damit auch zu seinen Eltern oder anderen Bezugspersonen. Und beidseitiges Vertrauen bildet schliesslich den Grundstein jeder Beziehung.

Wer etwa sein Kind weinend in aller Hektik in der Kita abgibt, kann nicht erwarten, dass es sich in den Kreis stürzt und einfach so zu «Aramsamsam» einstimmt. Verbale und körperliche Kommunikation sind zentral, weshalb es keinesfalls an einer Umarmung zum Abschied fehlen darf. Die Frage Vertrauen schenken oder beschützen und damit vielleicht überbehüten stellt sich übrigens auch noch bei älteren Kindern – auf beiden Seiten: Wer bis zur fünften Klasse noch mit dem Auto zur Schule gebracht wird, hat womöglich ähnliche Entwicklungsprobleme, wie Kinder deren Eltern nie zu Hause sind. 

Zweifellos ist es auch heute noch enorm wichtig, unseren Kindern einzutrichtern, nicht mit Fremden mitzugehen und offen über Vorkommnisse zu sprechen – sei es in der Schule, im Fussballverein oder im Bekanntenkreis. Hierfür braucht es eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung, Zeit, Geduld und Einfühlungsvermögen. Dann steht auch dem Erforschen der Welt nichts im Weg. 

Kennen Sie dieses Dilemma des richtigen Masses beim Beaufsichtigen von Kindern, liebe Leserinnen und Leser? Diskutieren Sie mit.