Partnersuche in den NiederlandenGeert Wilders stolpert auf dem Weg zur Macht
Der Wahlsieger droht bei den Koalitionsgesprächen zu scheitern, bevor sie überhaupt richtig angefangen haben. Mögliche Partner trauen sich nicht über den Weg und zweifeln zudem an der Teamfähigkeit des Rechtspopulisten.

Geert Wilders ist bekannt dafür, dass er niemandem traut und auf absolute Kontrolle pocht. In seiner rechtsextremen Partei der Freiheit (PVV) war das nie ein Problem, denn dort ist der Populist seit der Gründung einziges Mitglied, seine Allmacht also formell abgesichert. Doch kann so jemand regieren und noch dazu in einer Koalition? Eine Frage, die sich seit den Parlamentswahlen in den Niederlanden die möglichen Partner immer dringlicher stellen.
Geert Wilders hat am 22. November zwar mit deutlichem Vorsprung gewonnen, ist aber mit 37 der insgesamt 150 Sitze in der fragmentierten Zweiten Kammer auf mindestens 3 Partner angewiesen. Seit Dezember hat ein sogenannter Informateur im Auftrag des Parlaments sondiert, und zwar bei der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) von Dilan Yesilgöz, bei Pieter Omtzigt mit seinem konservativen Neuen Gesellschaftsvertrag (NSC) und bei der Bauernpartei (BBB) von Caroline van der Plas. Omtzigt kündigte am Dienstagabend überraschend an, sich von den Gesprächen zurückzuziehen. Er wolle mit seiner Partei höchstens eine Minderheitsregierung auf Distanz unterstützen.

Eine kalte Dusche für Geert Wilders, der am Dienstag verärgert reagierte. Ganz überraschend kommt der Rückschlag auf dem Weg zur Macht nicht. Neben inhaltlichen Vorbehalten gegenüber dem Islamkritiker sind bei den Sondierungen zuletzt auch ganz praktische Fragen stärker in den Vordergrund gerückt. Die Frage ist offen, ob Geert Wilders mit seinem Ein-Mann-Verein teamfähig und organisatorisch sowie personell in der Lage ist, die Rolle der grössten Regierungspartei zu erfüllen.
Keine Partei, sondern eine Fassade
Geert Wilders war immer schon Einzelgänger, seit Jahren zusätzlich verstärkt durch die Sicherheitsvorkehrungen. Der Islamkritiker kriegt permanent Morddrohungen von islamistischen Extremisten, muss deshalb rund um die Uhr bewacht werden und öfter sein Domizil wechseln. Im Parlamentsgebäude in Den Haag arbeitet der Abgeordnete in einem Flügel, der für Aussenstehende nicht erreichbar ist. Wilders’ Büro soll wie ein Banktresor abgesichert sein.
Parteiinterne Demokratie ist für Geert Wilders auch in der Parlamentsfraktion bislang ein Fremdwort. Seine Abgeordneten geniessen nicht viel Freiheit. Wo immer der Rechtspopulist auftritt, muss der Fokus auf ihm sein. Parlamentarier in Den Haag oder draussen in der Provinz werden zur Ordnung gerufen oder abserviert, wenn sie nicht ganz auf Linie sind. Wer zu oft in den Schlagzeilen sei, habe auch ein Problem, sagte ein PVV-Parlamentarier bei seinem Rücktritt im vergangenen Jahr. Er sei Opfer einer Kultur geworden, in der Abgeordnete unauffällig bleiben müssten.
Geert Wilders stehe für keine Partei, sondern für eine Fassade, hinter der nichts stecke, werden zwei ehemalige PVV-Abgeordnete des Utrechter Stadtparlaments vom konservativen «NRC Handelsblad» zitiert. Organisatorisch sei da nichts. Auch sie fragen sich, wo Wilders jetzt Personal und Expertise hernimmt, die es für die Regierungsarbeit brauchen wird.
Verfassungswidrige Vorschläge auf Eis gelegt
Der sogenannte Informateur soll Anfang nächster Woche in der Zweiten Kammer einen ersten Zwischenbericht abliefern. Erst dann könnten die Koalitionsgespräche beginnen, über denen nach dem Rückzug eines Partners ein Schatten liegt. Neben den praktischen Bedenken sind auch die inhaltlichen Vorbehalte nicht wirklich ausgeräumt.
Zuerst hatte Geert Wilders angeboten, besonders umstrittene Vorschläge zu seinem Lieblingsthema Islam «auf Eis zu legen». Erst vor kurzem hat der Rechtspopulist drei seiner Gesetzesvorstösse zurückgezogen, mit denen er Moscheen, den Koran und islamische Schulen in den Niederlanden verbieten wollte.
Wilders hat die Anti-Islam-Anschauungen bisher aber immer als Teil der DNA seiner Partei betrachtet, wo die Positionen auch unverändert im Programm stehen. Sie stehen klar im Widerspruch zur Verfassung. Kein Wunder, sind die Partner in spe nur mässig beruhigt.
Auch beim Geld sind sich die potenziellen Koalitionäre nicht grün. Wilders und die Bauernpartei wollen ihre kostspieligen Wahlversprechen umsetzen, während die beiden anderen Partner auf einen ausgeglichenen Haushalt pochen und keine «Luftschlösser» finanzieren wollen. Der Konservative Pieter Omtzigt beklagte am Dienstag, wichtige Informationen zur Lage der Finanzen seien ihm bei den Sondierungen vorenthalten worden. Das klingt nach einer ersten Misstrauenserklärung. Bislang will nur die kleine Bauernpartei wirklich mit am Kabinettstisch sitzen.

Vor allem Dilan Yesilgöz steht vor einem unlösbaren Dilemma. Eine Mehrheit ihrer rechtsliberalen VVD hat keine Berührungsängste und will mitregieren. Eine starke Minderheit warnt aber ebenso dringlich davor, mit Wilders ins Boot zu steigen und den Rechtsextremen zu «normalisieren». Was auch immer die langjährige Regierungspartei entscheidet, es könnte die Rechtsliberalen als zweitstärkste Kraft zerreissen.
Yesilgöz erscheint dabei als tragische Figur. Die 46-Jährige hat Mark Rutte an der Spitze der Partei abgelöst, der als Ministerpräsident noch geschäftsführend im Amt ist und die letzten Jahre auf einen «cordon sanitaire» gepocht hat.
Kehrtwende mit Folgen
Die Nachfolgerin des Langzeitpolitikers hat im Endspurt des Wahlkampfs vom November eigentlich ohne Not diese Abgrenzung nach rechts aussen infrage gestellt und eine Zusammenarbeit mit Geert Wilders nicht mehr ausgeschlossen.
Beobachter in Den Haag sehen in dieser Kehrtwende den Grund für den überraschenden Vormarsch des plötzlich enttabuisierten Rechtsextremen auf den ersten Platz. Dilan Yesilgöz, einst als Flüchtlingskind eines kurdischen Aktivisten aus der Türkei in die Niederlande gekommen, könnte nun einem Politiker an die Macht verhelfen, der sie laut Parteiprogramm nicht ins Land gelassen hätte.

Die Niederlande galten schon immer als Labor für neue gesellschaftspolitische Entwicklungen. Jetzt könnte das Land als Modell dafür dienen, was geschieht, wenn konservative Parteien die Brandmauern nach rechts aussen einreissen. Die Koalitionsgespräche scheitern zu lassen und das Glück in erneuten Wahlen zu suchen, scheint zumindest für die drei potenziellen Partner der rechtsextremen Ikone keine attraktive Option.
Eine Mehrheit im Land wolle diese sehr rechte Regierung mit Wilders, hat Meinungsforscher Maurice de Hond berechnet. Die Gespräche scheitern zu lassen, sei «ein Spiel mit dem Feuer». Denn laut neusten Umfragen käme die PVV bei Neuwahlen jetzt sogar mit noch grösserem Vorsprung auf 50 Sitze.
Die Zeit spielt vorerst für Geert Wilders. «Wir sind stolz, dankbar und selbstbewusst», kommentierte der Rechtsextreme auf dem Kurznachrichtendienst X die neuste Umfrage. Jetzt sei klar, dass die PVV die einzige Volkspartei in den Niederlanden sei.
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