Begegnung mit Natalie PortmanDie Sexszene und überhaupt – spielt sie das jetzt?
Die Hollywoodschauspielerin verwirrt in «May December» in einem erotischen Spiel. Ein Gespräch über Authentizität vor der Kamera und ihre Haltung zur israelischen Politik.
Spielt sie das jetzt? Meint sie es ernst? «Sie wollen doch, dass ich möglichst authentisch wirke», sagt Natalie Portman in die Interviewrunde. «Also bitte, dann bin ich es.» Und lächelt dazu maliziös.
Ja, es geht auch um Sex, genauer um Sexszenen in Filmen, von denen es auch in «May December» eine gibt, und was für eine. Aber was ist gespielt und was echt? Überhaupt: Was soll es heissen, wenn eine gestandene Hollywoodschauspielerin behauptet, sie sei «authentisch»?
Solche Fragen stellen sich zum neuen Film von Todd Haynes automatisch. Auf den ersten Blick erzählt der Regisseur eine grelle Boulevardgeschichte: Es geht um eine erwachsene Frau, die im Hinterraum einer Zoohandlung Sex mit einem 13-jährigen Schüler hat. Sie glaubt, das sei wahre Liebe, der Richter sieht das anders und steckt sie ins Gefängnis. Dort bringt sie das bei der Begegnung entstandene Kind zur Welt. Ein Fressen für die Zeitungen mit den grossen Buchstaben.
Aber das ist nur die Vorgeschichte: Jetzt ist die Täterin von damals – gespielt von Julianne Moore – eine Hausfrau, die im Villenquartier Kuchen bäckt. Mit ihrem «Opfer» von einst (Charles Melton) ist sie seit vielen Jahren verheiratet, der Filmtitel «May December» spielt auf den Altersunterschied zwischen den beiden an.
Natalie Portman spielt, dass sie spielt
Hier kommt Natalie Portman ins Spiel. Der Boulevardskandal soll nämlich verfilmt werden, und sie soll die Verführerin spielen. Um möglichst authentisch zu sein, darf sie einige Tage mit der Originalfamilie verbringen. Mit einem Notizheft in der Hand spricht sie mit allen Beteiligten, sucht Schauplätze auf – die Zoohandlung! – und versucht, sich ein eigenes Bild zu machen. Oder nur ihre Eitelkeit zu befriedigen?
«Also, mit einem Notizheft in der Hand laufe ich normalerweise nicht herum, wenn ich recherchiere», klärt Natalie Portman zuerst einmal die einfachste Frage. Danach wird es komplizierter. «Ich spiele eine Schauspielerin, die eine Schauspielerin spielt, die eine Frau spielen soll, die sich möglicherweise das ganze Leben etwas vorgespielt hat.» Nach diesem Satz macht sie eine Pause. Und fährt fort: «Das ist very, very meta.»
Ja, es ist vielschichtig. Aber es ist genau das, was Natalie Portman als Herausforderung liebt. Das Drehbuch hat ihr eine befreundete Produzentin gegeben, sie selbst hat es Regisseur Todd Haynes zugesteckt, weil sie weiss, dass er ein Spezialist für die «finstere Seite der amerikanischen Vorstädte» ist, wie sie sich ausdrückt.
«May December» spielt tatsächlich mit der Vorstellung, die wir vom Leben zwischen Hot-Dog-Partys und Kuchenbuffets haben (gedreht wurde im sonnigen Savannah, Georgia). Auf den ersten Blick ist alles proper. Aber dann …
Raffiniert legt Todd Haynes seine Netze aus. Dabei spielen Spiegel eine wichtige Rolle, es gibt zwei Schlüsselszenen, in denen Natalie Portman und Julianne Moore so agieren, als ob sie von der Kamera reflektiert würden. Das ist eine direkte Anspielung an den Klassiker «Persona» (1966) von Ingmar Bergman, in dem sich eine Frau langsam in die andere verwandelt.
«Natürlich, Bergman», sagt Natalie Portman. «Er war ein grosser Meister. Ähnlich wie es Todd Haynes heute ist. Und beide haben etwas gemeinsam: Ihre Kunst ist es, Frauen als Menschen zu zeichnen.» Als es auf diesen Satz erstaunte Blicke in der Runde gibt, doppelt sie nach. «Ich weiss, es klingt seltsam. Aber es ist immer noch rar, dass Frauen als Menschen gezeichnet werden.»
Sie muss es wissen. Natalie Portman ist 42 Jahre, hat aber mehr Zeit vor der Kamera verbracht als gleichaltrige Kolleginnen: Ihren ersten Film «Léon» drehte sie mit 12, seither ist sie regelmässig auf der Leinwand zu sehen. Aber das ist noch lange nicht alles: In Harvard schloss sie ein Studium der Psychologie ab. Sie zeichnet Kinderbücher. Ist Co-Besitzerin des Fussballclubs Angel City FC. Führt auch Regie. Und äussert sich immer wieder zu politischen Fragen, besonders um Israel, die Heimat ihres Vaters (auch sie wurde in Jerusalem geboren).
Wurzeln in Israel, aber kein Fan von Netanyahu
Diese Begegnung mit ihr fand vor dem Überfall der Hamas vom 7. Oktober statt. Portman drückte dann auf den sozialen Medien sofort ihre Solidarität mit den Opfern aus und schrieb: «Ich bin erschüttert.» Aber sie ist immer noch keine Anhängerin der Regierung Netanyahu. Schon zuvor blieb sie einer Preisverleihung fern, weil der Ministerpräsident als Redner geladen war, und sagte: «Wie viele Juden in aller Welt kann ich kritisch zur Führung Israels stehen, ohne die gesamte Nation boykottieren zu wollen.»
«Ich will Neues lernen, immer in andere Gefilde vorstossen», sagt Natalie Portman zu ihrer Lebensart. Und in «May December» habe sie tatsächlich viel über ihr Wesen als Darstellerin erfahren.
Es gibt im Film eine Szene, in der sie als eifrige TV-Schauspielerin vor eine Schulklasse tritt. «Haben Sie je Sexszenen gespielt?», will ein forscher Schüler sogleich wissen. Worauf sie einen Vortrag hält über das Mechanische an solchen Aufnahmen, darüber aber auch, dass diese Szenen eben doch eine gewisse Erregung verursachen können – zwei Körper, die sich reiben, die Wärme, der Schweiss. Deswegen sei ihr klar geworden, dass eine Schauspielerin eigentlich immer zwei Rollen spiele: die auf der Leinwand und diejenige zwischen den Aufnahmen, unter der Beobachtung der vielen Mitarbeitenden am Set.
Ist das ernst gemeint? «Bis zu einem gewissen Grad schon», antwortet Natalie Portman. Sie sei sich bewusst, dass Menschen sie manchmal nicht ernst nähmen, weil sie dächten, als Schauspielerin spiele sie sowieso immer allen irgendetwas vor. Aber sie gibt den Ball sofort zurück. «Bei uns weiss unser Gegenüber wenigstens, dass wir spielen können. Wenn Sie dagegen behaupten, authentisch zu sein, müssen wir Ihnen das abkaufen. Obwohl das ja nicht stimmen muss. Am Ende bin ich ehrlicher …»
Die Zeit ist um. «Schönes Gespräch zu einem wunderbaren Film», sagen wir zum Abschied. Sie antwortet: «Finde ich auch.» Total authentisch, oder nicht?
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