Nachfolge von Alain BersetEin Bundesrat für die Grünen – auch wenn sie die Wahlen verlieren?
Der oberste Bauer denkt laut darüber nach, die Grünen in die Regierung zu befördern. Nach der überraschenden Wahl von Elisabeth Baume-Schneider (SP) lässt das aufhorchen.

Markus Ritter gefällt sich in der Rolle des Königsmachers. Vor der letzten Bundesratswahl setzte der Präsident des Bauernverbands und Mitte-Politiker früh den Ton: Die Landwirte wünschten sich Elisabeth Baume-Schneider. Dass die Jurassierin tatsächlich gewählt werden könnte, glaubten die wenigsten. Doch am Ende triumphierte Ritter.
Eine klare Favoritin hatte der Bauernchef auch, als im Frühjahr ein St. Galler Ständeratssitz neu besetzt werden musste: SVP-Frau Esther Friedli sollte das SP-Urgestein Paul Rechsteiner beerben. Beobachter sprachen von einem Test für die Wahlallianz zwischen Bauern und Wirtschaft. Und siehe da: Friedli zog in den Ständerat ein.

Nach diesen Episoden liess eine Aussage Ritters am Wochenende aufhorchen. In der «NZZ am Sonntag» flirtete er offen mit der Idee, im Dezember eine grüne Bundesratskandidatur zu unterstützen. Auf Anfrage bekräftigt er: «Wenn die Grünen mit interessanteren Vorschlägen kommen als die Sozialdemokraten, wenn sie moderatere Leute aufs Ticket nehmen, dann ist am 13. Dezember alles möglich.»
«Blitzgescheit und nur minimal ideologisch»
Ritter macht keinen Hehl daraus, dass viele Landwirte mit den bisherigen SP-Anwärtern unglücklich sind. Entweder engagieren sich diese für ihren Geschmack zu stark im Tierschutz (Jositsch, Aebischer), für eine ökologische Landwirtschaft (Jans), sind zu links (Pult) oder kommen aus dem falschen Landesteil (Nordmann).
Der Bauernpräsident ist sich sicher, dass so mancher Bürgerlicher lieber einen gemässigten Grünen wählen würde. Als mögliche Anwärter nennt er den Glarner Ständerat Mathias Zopfi oder die St. Galler Nationalrätin Franziska Ryser. «Beide sind blitzgescheit und nur minimal ideologisch. Die könnte man sofort in eine Regierung setzen.»

Der arithmetische Anspruch der Grünen auf einen Bundesratssitz sei im Moment viel grösser als jener der SP auf zwei Sitze, so Ritter weiter. Die Sozialdemokraten haben aktuell einen Wähleranteil von 16,8 Prozent, die Grünen kommen auf 13,2 Prozent. Rein rechnerisch bräuchte es für einen der sieben Bundesratssitze 14,3 Prozent.
Natürlich relativiert Ritter, es gelte den Wahlausgang abzuwarten. Da sei noch vieles möglich. Und doch schwingt in jedem seiner Sätze die Botschaft mit: Die Sensation liegt in der Luft!
Kritische 10-Prozent-Marke
In einem harten Kontrast dazu stehen die jüngsten Wahlumfragen. Laut dem jüngsten SRG-Wahlbarometer – dem letzten vor der Wahl – drohen die Grünen unter die psychologisch wichtige Schwelle von 10 Prozent zu fallen, während die SP ihren Wähleranteil steigern kann.
Für mehrere Parlamentarier ist klar: Treffen die Prognosen ins Schwarze, hat sich die Diskussion um einen grünen Bundesratssitz vorerst erledigt. Auch scheint die Bereitschaft für Abenteuer in den Fraktionen gering zu sein.
FDP-Präsident Thierry Burkart machte schon am Wahlpodium des «Tages-Anzeigers» klar, dass für ihn nur jemand vom SP-Ticket für die Nachfolge von Alain Berset infrage kommt. Wohl auch aus Selbstschutz: Der zweite FDP-Sitz wackelt ebenfalls – laut Wahlumfrage kommen die Freisinnigen künftig noch auf 14,1 Prozent und könnten damit gar knapp hinter die Mitte zurückfallen.
Mitte-Präsident Gerhard Pfister sagt, bei Ritters Planspielen handle es sich um eine persönliche Meinungsäusserung, nicht um die Position der Partei. In der Vergangenheit signalisierte Pfister zwar die Bereitschaft, über die Wahl eines grünen Bundesrats zulasten der SP zu sprechen. Nun betont er jedoch: «Es gilt die Wahlresultate abzuwarten.»
«Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selbst.»
Die Grünliberalen anerkennen grundsätzlich den Anspruch der Grünen auf einen Bundesratssitz. Parteipräsident Jürg Grossen sagt: «Wir wollen, dass möglichst viele politische Kräfte in der Regierung vertreten sind.» Sollten die Grünen im Parlament aber tatsächlich so viele Wählerprozente und Sitze verlieren wie prognostiziert, werde dieses Vorhaben eher unrealistisch.
Die GLP selbst will dann Anspruch auf einen Bundesratssitz erheben, wenn sie einen Wähleranteil von 10 Prozent erreicht und wieder im Ständerat vertreten ist. Dieses Ziel dürfte sie laut Umfragen an der kommenden Wahl verfehlen. Die Grünen haben angekündigt, ihre Strategie für die Bundesratswahl erst nach den Wahlen vom 22. Oktober festzulegen.
Um von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt zu werden, braucht eine Bundesratskandidatin oder ein -kandidat das absolute Mehr der Stimmen. Da geht kaum etwas ohne Support aus der grössten Fraktion. Manche spekulieren, dass die SVP durchaus versucht sein könnte, die Sozialdemokraten mit der Wahl eines grünen Kandidaten zu schwächen.
Doch Marcel Dettling, Wahlkampfleiter der Volkspartei und selbst Bauer, winkt ab. «Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selbst», kommentiert er Ritters Vorschlag. «Die Grünen arbeiten gegen die Bauern, wo sie nur können» – er sehe nicht, warum sich seine Partei darauf einlassen sollte. Die SVP habe zudem in der Vergangenheit «am meisten unter Spielchen bei den Bundesratswahlen gelitten». Man werde deshalb auf dem offiziellen SP-Ticket wählen, sofern die Sozialdemokraten eine Auswahl präsentieren.
Ein PR-Stunt für die Bauern?
Dass gewisse Parlamentarier durchaus bereit sind, vom offiziellen Ticket abzuweichen, zeigte sich im letzten Dezember, als Daniel Jositsch im ersten Wahlgang 58 Stimmen erhielt. Eine Überraschung will zum jetzigen Zeitpunkt denn auch niemand ausschliessen.
Dennoch ist für mehrere Gesprächspartner klar, dass Strategieprofi Ritter mit seinen Planspielen vor allem eigene Ziele verfolgt. Ein Parlamentarier, der nicht namentlich genannt werden will, vermutet, dass der Bauernchef auf diese Weise die SP dazu bewegen will, ein moderates Ticket zu beschliessen. Und ein anderer sagt: «Ritter macht Marketing in eigener Sache.» Er wolle die Bedeutung der Bauern in der Bundesversammlung betonen – und seine Rolle als Königsmacher zelebrieren.
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