Nach MissbrauchsskandalKirchgemeinden proben den Aufstand
Adligenswil überweist die Kirchensteuer fortan auf ein Sperrkonto, weitere Gemeinden wollen folgen. Der päpstliche Vertreter in der Schweiz prüft jetzt die Öffnung seiner Archive.
Nach dem Bericht der Universität Zürich über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche kündigte der Kirchenrat von Adligenswil LU an, die Einnahmen aus den Kirchensteuern per sofort auf ein Sperrkonto einzuzahlen. Gleichzeitig forderte er alle Kirchgemeinden auf, dasselbe zu tun. Der Vorschlag sei vielerorts auf Interesse gestossen, sagt Mirjam Meyer von der Kirchgemeinde Adligenswil. «Die meisten möchten sich erst nach der Kirchenratssitzung von nächster Woche äussern.» Die Kirchenräte würden befürchten, dass sie unter Druck kommen, wenn die Namen der Gemeinden bereits publik sind.
Wie in vielen Gemeinden im Land fürchtet man in Adligenswil, dass die versprochene lückenlose Aufklärung nur «Lippenbekenntnisse» bleibt. Meyer rechnet vor: «Die Landeskirche des Kantons Luzern liefert ein Prozent der Einnahmen aus den Kirchensteuern an das Bistum Basel ab. Würden alle zehn Kantone des Bistums mitmachen, fehlten dem Bischof 3,8 Millionen Franken. Er könnte dadurch seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen.»
Das Sperrkonto soll erst aufgehoben werden, wenn das Bistum folgende Forderungen erfülle: Missbrauchsfälle müssen unabhängig untersucht und eine unabhängige Meldestelle eingerichtet werden. Ausserdem solle Nuntius Martin Krebs das Archiv der päpstlichen Vertretung in der Schweiz für Untersuchungen öffnen.
Nachdem diese Zeitung letzten Sonntag geschrieben hat, dass Krebs die Zusammenarbeit mit der Historikerkommission verweigere, macht der Nuntius nun eine Kehrtwende und kündigt an, den Zugang zum Archiv prüfen zu lassen. In einem Schreiben an die SonntagsZeitung, das in Kopie an Bischof Joseph Bonnemain ging, räumt Krebs ein: «Es besteht ein Dilemma zwischen dem diplomatischen Schutz des Archivs und der Aufklärung von Missbrauchsvergehen in der Kirche.» Und er fügt hinzu: «Ich darf Ihnen versichern, dass ich begonnen habe, zusammen mit Fachleuten nach gangbaren Lösungen zu suchen, wie mit diesem Dilemma umzugehen ist.»
Bischöfe ergreifen die Flucht nach vorn
Noch vor einer Woche begründete Krebs die negative Antwort um Zugang zum Archiv mit «internationalem Recht, wonach die Archive und Schriftstücke der Mission jederzeit unverletzlich» seien. Am Montag wurde dies zum Thema bei der Fragestunde im Parlament. Auch der Vatikan nahm Stellung und begründete umständlich die Haltung seines Vertreters in der Schweiz.
Nicht nur beim Nuntius steigt der Druck – auch bei der Schweizer Bischofskonferenz ergreift man die Flucht nach vorn. Am Samstagmorgen gab sie bekannt, man werde ein kirchliches Straf- und Disziplinargericht einrichten. Vorrang hätten zwar weiterhin die zivilen Strafverfolgungsbehörden. Diese würden bei Missbrauch oder anderen Straftaten zwingend eingeschaltet. Das kirchliche Gericht solle sich jedoch zusätzlich mit Sanktionen befassen, wenn ein Verstoss gegen ein Kirchengesetz vorliege.
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