Bischofskonferenz in St. GallenWas die Kirchenchefs zum Missbrauchsskandal sagen – und was nicht
Die Bischofskonferenz erhält Drohungen, sie muss beschützt werden – und stellt sich am Dienstag der Öffentlichkeit. Wie reagieren die Oberen nach der kompliziertesten Woche ihrer Geschichte?
Die Orgel ertönt. Und zwölf Männer schreiten in einer Einerkolonne ins Hauptschiff der Stiftskirche von St. Gallen. Es sind die Bischöfe der Schweiz, gekleidet in der weiss-grünen Kasel, dem Messgewand. Die geistliche Führung der katholischen Landeskirche trifft sich im Herbst jeweils zur Bischofskonferenz, einer ordentlichen Zusammenkunft von Männern mit viel Macht – seit 1863.
In diesem Jahr ist aber vieles anders. Schwieriger.
Hinter diesen Geistlichen liegt eine komplizierte Woche, eine der kompliziertesten in der Geschichte der Schweizer Kirche überhaupt. Am letzten Mittwoch hat eine von der katholischen Kirche selbst (und unter öffentlichem Druck) in Auftrag gegebene Studie über 1000 Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche nachgewiesen. Und diese 1000 Missbrauchsfälle seien nur «die Spitze des Eisbergs», sagten die Forscherinnen der Universität Zürich.
Es trifft auch die ganz oben
Unter Druck seither: die ganz oben. Sie sind nicht nur Teil einer Institution, die moralisch verwerfliches und kriminelles Verhalten zu verantworten hat – sie sind teilweise auch direkt involviert.
Durch die mangelnde Unterstützung bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, durch Vertuschen und Verstecken. Und manchmal auch durch mehr.
So fehlt beispielsweise Monsignore Jean Scarcella, ein Mitglied der Bischofskonferenz, an diesem Dienstag ganz. Der Abt von Saint-Maurice lässt sein Amt ruhen. Ihm wird vorgeworfen, einen Teenager sexuell belästigt zu haben.
Rund 60 Gläubige sitzen an diesem Tag in den langen Kirchenbänken. Da sind aber auch etliche Menschen, die nicht fürs bischöfliche Vaterunser gekommen sind. Es sind Pressevertreterinnen und Vertreter. Sie wollen wissen:
Was haben die Bischöfe an diesem Tag zu sagen?
Kommen die Kirchenoberhäupter in dieser Messe überhaupt auf die schockierenden Studienergebnisse zu sprechen?
Werden Sie um Vergebung bitten?
Um Abbitte?
«Nichts», ruft die Frau, «gar nichts werden diese Kirchenmänner sagen. Wie immer.»
«Nichts», ruft die Frau, «gar nichts werden diese Kirchenmänner sagen. Wie immer.» Die St. Gallerin steht vor dem Eingang der Stiftskirche. Noch ist etwas Zeit bis zum Beginn des Kirchenanlasses mit prominenter Besetzung. Hinein wird die Katholikin nicht gehen. «Und wenn, dann würde ich alle nur ausbuhen», sagt sie und stampft davon. Ein Arzttermin.
Die Frau ist mit ihrem Furor nicht allein. Portale, die gegen eine Gebühr beim Kirchenaustritt helfen, verzeichneten in den vergangenen Tagen eine rekordmässige Nachfrage. Viele wollen nichts mehr mit dieser Kirche zu tun haben, mit ihrer jahrelangen Geschichte des Missbrauchs und der Vertuschung. Die Menschen machen ihrem Ärger Luft. Nicht nur mit dem Austritt. Sie schreiben Kommentare in den Zeitungen, sie fluchen im Stillen und sie drohen in aller Öffentlichkeit.
Diese Woche schickte jemand der Geschäftsstelle der Bischofskonferenz einen Drohbrief. Rund um die Kirche in St. Gallen patrouillieren darum an diesem Vormittag Beamte. Polizeischutz für Bischöfe. Nur eine der vielen Besonderheiten, die diese ereignisreichen Tage hervorgebracht hat.
Denn auch drin in der Kirche geschieht Besonderes, die Bischöfe verlassen mehrmals das Protokoll der traditionellen Messe. Die wütende Frau, die meinte, die Bischöfe würden das Ganze einmal mehr totschweigen, sollte sich täuschen. Die Bischöfe sagen sehr wohl etwas. In der Predigt von Urban Federer zum Beispiel. Der junge Abt von Einsiedeln zitiert aus dem Lukasevangelium, erzählt, wie Jesus einen Mann zum Leben erweckt haben soll, indem er die Bahre berührte und sagte: «Steh auf!»
Federer sieht das als Gleichnis zu heute, als Auftrag, die Missbrauchsfälle anzugehen. «Wir sollen die Bahre berühren. Der Zug des Leides hat sich aufgetan. Gut so!»
Volksnah auf Schweizerdeutsch
«Wir sind betroffen.» Er sagt es gleich zu Beginn. Und zum Schluss noch einmal. Auch Monsignore Markus Büchel, Vizepräsident der Bischofskonferenz (SBK), findet Worte für etwas, das bisher lange ungesagt blieb. Der St. Galler Bischof spricht von Schmerz, er spricht von Mitgefühl. Er tut dies zum Schluss gar auf Schweizerdeutsch. Es wirkt volksnah.
Dabei ist Büchel selbst in die Schlagzeilen geraten. Die Studie der Forschenden der Uni Zürich berichtet vom Fall eines Priesters in der Ostschweiz, der mehrmals des Missbrauchs von Kindern beschuldigt wurde. Jahrzehntelang wurde gegen den Verdächtigen nicht vorgegangen.
Als Markus Büchel das Bischofsamt von seinem Vorgänger Ivo Fürer 2006 übernahm, versetzte er den Priester mit zweifelhaftem Ruf in ein Kloster. Laut dem Portal kath.ch amtete dieser aber noch immer als Seelsorger und Priester, noch im Januar 2023 nahm der Geistliche an einer Eucharistiefeier teil. Eine kanonische Voruntersuchung soll laut der Studie nie eingeleitet worden sein, auch eine Meldung nach Rom gab es nicht. Warum?
Markus Büchel hat sich bisher nicht dazu geäussert. Und sein Vorgänger kann sich nicht mehr äussern. Er liegt in der Gruft der Stiftskirche. Letztes Jahr ist Ivo Fürer verstorben.
«Ein Bischof befindet sich ständig in der Zwickmühle.»
Nicht alle schweigen. Gewisse Stimmen aus dem Innern der Kirchenwelt sind dabei sogar besonders laut. Jene von Nicolas Betticher zum Beispiel, dem ehemaligen Generalvikar des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg, heute ist er Priester in Bern. Gegenüber kath.ch erhob Betticher schwere Vorwürfe gegen sechs Schweizer Bischöfe, vier davon sind noch im Amt.
Vor allem beschrieb er, wie sich ein Bischof dauernd in der Zwickmühle befinde.
«Er ist der oberste Chef der Legislative und gleichzeitig der Vater seiner Priester und natürlich auch der Getauften.» Das Einfachste sei dann, man mache einfach nichts, dann komme auch nichts raus.
Die Messe in St. Gallen ist mittlerweile vorbei. Während die Bischöfe durch einen Seitenausgang verschwinden, laufen die Gläubigen beim Ausgangstor direkt auf die Presseverantwortlichen zu, die sich postiert haben. Diese wollen wissen, was die Menschen nach dieser Messe denken. «Wir müssen es dem Herrgott überlassen», sagt eine in ein Mikrofon. Eine andere, extra aus Schwyz angereist, spricht davon, dass die Gläubigen nun aufstehen statt austreten müssten.
«Eine komplizierte Messe, die nicht einfach so Fragen beantworten kann.»
Auch Louis Stähelin sass an diesem Tag in der Kirchenbank der St. Galler Kathedrale und hörte den Bischöfen zu. Er sei zufällig gerade in der Nähe gewesen, sagt er.
Stähelin ist nicht nur Katholik, sondern auch Politiker. Der St. Galler Stadtparlamentarier kandidiert gerade für die nationalen Wahlen – für Die Mitte. Der Vertreter der ehemaligen Christdemokratischen Partei spricht von einer «komplizierten Messe, die nicht einfach so Fragen beantworten kann». Denn das Problem liege tiefer. Beim Zölibat. Und bei der fehlenden Gewaltenteilung. «Ein Bischof vereint ja Judikative und Exekutive in einem. Wie soll er da Fälle von Missbrauch adäquat behandeln?»
Louis Stähelin erwartet keine Antwort auf diese Frage. «Zumindest nicht heute», sagt er. Er muss weiter. Mittagessen, die Kinder kommen aus der Schule.
Bischof Büchel sagt: «Wir müssen das aufarbeiten – gemeinsam.»
Wie und wann?
Darauf gibt der Bischof keine Antwort. Nicht heute.
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