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Meinung

Beichte eines Papierchristen
Per Member-Eingang in den Himmel, oder: Warum ich nicht aus der Kirche austrete

Schauspielerin Phoebe Waller-Bridge in einer Beichtszene aus der Serie «Fleabag».
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Wenn ich es mir recht überlege, dann ist mein Taufschein die teuerste Member-Card, die ich mir in meinem Leben bisher geleistet habe. Geradezu gottergeben zahle ich Jahr für Jahr Hunderte von Franken für meine Mitgliedschaft in der Kirche ein, seit Jahrzehnten schon, ohne dass je ein Pfarrer an die Tür geklopft hätte, ohne dass es mir je in den Sinn gekommen wäre, eine religiöse Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Der erste und einzige spirituelle Service, den ich genoss, ist tatsächlich die Taufe – und die ist auch schon 57 Jahre her.

Immerhin, ich bin nicht allein. (Lesen Sie unsere Umfrage zum Thema: Warum sind Sie noch in der Kirche?)

Es ist viel die Rede von den Zehntausenden von Schweizer Christinnen und Christen – ob katholische oder reformierte –, die Jahr für Jahr aus der Kirche austreten, und die klügsten Soziologinnen und gelehrtesten Theologen analysieren wortreich, welches die Gründe sind. Wirklich erklärungsbedürftig scheint mir jedoch das Folgende: Über 50 Prozent der Bevölkerung sind immer noch Mitglieder einer Kirche – obwohl nur gerade etwa ein Drittel davon sich als praktizierend bezeichnet, also mindestens einmal pro Monat in die Kirche eilt. Es gibt also in diesem Land Millionen Menschen wie mich: Papierchristen.

Womöglich haben unsere Landeskirchen einen Grossteil ihrer Papiermitglieder ausgerechnet einer Todsünde zu verdanken.

Weshalb sind wir Papierchristen, deren einziges religiöses Ritual im Bezahlen der Kirchensteuer besteht, nicht schon lange ausgetreten? Was braucht es mehr als die 1002 dieser Tage enthüllten Missbrauchsfälle, verübt durch katholische Geistliche, damit zumindest die Papierkatholiken austreten?

Womöglich haben unsere Landeskirchen einen Grossteil ihrer Papiermitglieder ausgerechnet einer Todsünde zu verdanken, der fünften nämlich. «Acedia» heisst auf Lateinisch Nachlässigkeit, Trägheit oder einfach Faulheit. Die Acedia lässt den modernen Menschen seinen Wecker fünfmal snoozen, bevor er endlich aufsteht. Die Acedia ist schuld daran, dass die gereinigten Hemden ein Jahr lang in der Wäscherei liegen bleiben, weil einem der Weg dahin zu weit ist. Und ganz besonders heimtückisch ist diese alttestamentarische Apathie bezüglich Abonnements, Mitgliedschaften und Verträgen. Wie sollen schlaffe Seelen, die es nicht schaffen, die Membership eines Streamingdienstes zu kündigen, einen Vertrag mit dem Allmächtigen auflösen? Allein der Gedanke daran verursacht ein Gefühl tiefer Erschöpfung.

Und wer nicht zu faul für einen Kirchenaustritt wäre, den plagt womöglich das schlechte Gewissen. Das schlechte Gewissen, zu wenig für eine bessere Welt zu tun. Für die Flüchtlinge. Für die Alten und für die Kranken. Für die Bekämpfung von Armut und Hunger. Viele Papierchristen plagt dieses schlechte Gewissen, zu wenig zu tun für alles. Deshalb zahlen sie Kirchensteuern, um nachts trotzdem gut zu schlafen.

Eine Versicherung gegen die Feuer der Hölle

Tatsächlich spielte ich lange mit dem Gedanken, aus der Kirche auszutreten, um fortan meine Kirchensteuer auf der Strasse an Bedürftige zu verteilen, selbst zu helfen, statt es zu delegieren. Doch seit der Pandemie trage ich kein Bargeld mehr auf mir, so überlasse ich es weiterhin der Kirche, sich um das Wohl meines Nächsten zu kümmern.

Aber es gibt in der Diskussion unter Pfarrern und Priester den Begriff des «Feuerversicherungsglaubens». Das Wort zielt auf uns Papierchristen. Es spielt darauf an, dass Menschen sich durch ihre Mitgliedschaft gegen Ungemach im Jenseits absichern wollen, so wie man eine Versicherung abschliesst, um sich gegen Diebstahl oder Sachschäden zu schützen.

Wenn ich einmal an den Himmelspforten stehen sollte, hoffe ich schon, dass es dort so etwas gibt wie einen Member-Eingang.