Mythen und FaktenWelche Wirkung hat Eisbaden tatsächlich?
Gewichtsverlust, besseres Immunsystem, tieferer Schlaf – dem Winterschwimmen werden viele positive Effekte nachgesagt. Doch was stimmt? Ein Basler Medizinprofessor ordnet ein, und eine Rhein-Winterschwimmerin gibt Tipps.

Winterschwimmen ist im Trend. Doch weshalb tun sich Menschen das an? Steigt man in unter 15 Grad kühles Wasser – der Rhein hat momentan 6,3 Grad –, bedeutet das für den Körper Stress pur.
Trotzdem werden dem Eisbaden viele positive Gesundheitseffekte nachgesagt, beispielsweise Hilfe beim Abnehmen, bessere Immunabwehr und tieferer Schlaf. «Ich habe danach immer ein starkes Glücksgefühl und bin voller Energie«, sagt die Basler Winterschwimmerin Claire Foltzer.
Doch welche dieser Effekte sind tatsächlich wissenschaftlich erwiesen? Stephan Gadola, Chefarzt Klinik Rheumatologie und Schmerzmedizin am Bethesda-Spital in Basel, hat die aktuelle Studienlage analysiert und ordnet ein.
Gewichtsabnahme
Mit regelmässigem Eisbaden kann man abnehmen. Verantwortlich dafür ist unser braunes Fettgewebe. Wird braunes Fettgewebe durch Kälte aktiviert, wird Körperfett verbrannt. Der Effekt ist bei Testpersonen bereits aufgetreten, als sie sich sechs Wochen lang täglich zwei Stunden einer Temperatur von 17 Grad ausgesetzt haben. Regelmässiges Eisbaden führt zudem zu einer höheren Insulinsensitivität, was bei Diabetes den Stoffwechsel verbessert.
Aber: Wer länger Kälte ausgesetzt ist, kompensiert dies womöglich, indem er mehr isst.
Krebszellen
Durch Kältetherapie kann zumindest bei Mäusen das Wachstum verschiedener Tumorarten verlangsamt werden. Dazu gehören unbehandelbare Krebsarten wie Bauchspeicheldrüsenkrebs. Wurde das braune Fettgewebe entfernt, wuchsen die Tumore ungehemmt weiter. Ein tieferes Verständnis, wie Kälte diesen Effekt auf das braune Fettgewebe auslöst, könnte laut Gadola in Zukunft tatsächlich zu neuen Tumortherapien führen.
Immunsystem
Bei regelmässigen Winterschwimmern wurde ein Anstieg von verschiedenen Immunzellen im Blut und von gewissen Immuneiweissen nachgewiesen. Andere für das Immunsystem wichtige Zellen und Eiweisse blieben jedoch unverändert.
Kaltwasserbadende scheinen seltener an Erkältungen zu erkranken. Das ist zumindest der Schluss, den man aus einer klinischen Studie ziehen kann, die Eisschwimmer mit ihren Lebenspartnern verglich. Allerdings haben Poolschwimmer dasselbe Resultat gezeigt. «Das kann darauf hindeuten, dass bereits eine geringere Abkühlung der Körpertemperatur das Immunsystem stärkt», sagt Gadola.
Schlafqualität und Regeneration
Kaltwasserbaden reduziert nach dem Sport tatsächlich die Regenerationszeit und «hängt mit einer erhöhten Sprint-Geschwindigkeit 24 Stunden nach der sportlichen Leistung zusammen», so Gadola.
Nachdem gut trainierte Ausdauerläufer nach ihrem Training den gesamten Körper in kaltes Wasser getaucht hatten, wachten sie in der Nacht weniger oft auf und bewegten auch Arme und Beine im Schlaf weniger. Gleichzeitig erhöhte sich der Anteil an Tiefschlaf im ersten Nachtabschnitt.
Sollte sich eine verbesserte Schlafqualität in besser kontrollierten Studien bestätigen, könnte das laut Stephan Gadola für verschiedene Krankheiten, beispielsweise für chronische Schmerzsyndrome, von grosser Bedeutung sein: «Denn bisher gibt es kein Medikament, das den Tiefschlaf nachweislich verbessern kann.»
Psychische Gesundheit
Beim Winterschwimmen werden nachweislich Stresshormone freigegeben. Das erklärt die von vielen Eisbadern geschilderte Euphorie direkt nach dem Schwumm.
Auch längerfristige Auswirkungen könnten möglich sein: «In kleinen Fallstudien hatte regelmässiges Eisbaden einen dramatisch positiven Effekt auf Depression. Diese interessanten Beobachtungen verdienen grösser angelegte Studien», sagt Stephan Gadola.
Eine verbesserte Schlafqualität (siehe vorherigen Punkt) hätte mehr Energie, Stress- und Angstabbau, eine höhere Schmerzgrenze, positive Stimmung und verbesserte geistige Klarheit zur Folge.
Momentan wird auch ein vielversprechender positiver Effekt des aktivierten braunen Fettgewebes auf die Psyche diskutiert. Braunes Fettgewebe hat eine wichtige Funktion für den Tag-Nacht-Rhythmus und das Nervensystem. Die Aktivierung des braunen Fettgewebes durch regelmässiges Winterschwimmen könnte deshalb einen stabilisierenden Einfluss auf die mentale und emotionale Widerstandskraft haben.
Schmerzen und Entzündungen
Kälte hilft bei Entzündungen und gewissen Schmerzen. Beim Eisbaden verengen sich die Blutgefässe. Dadurch wird das Einfliessen von Entzündungszellen behindert. Die verlangsamte Nervenleitung vermindert die Schmerzreize. Deshalb werden beispielsweise bei einem verstauchten Knöchel Cool Packs aufgelegt.
Dem Eisbaden werden auch positive Effekte bei chronischen Schmerzen wie beispielsweise Fibromyalgie nachgesagt. Das basiert bisher aber nur auf Erfahrungen ohne wissenschaftlichen Nachweis.
Herzkreislaufsystem
Regelmässiges Kaltwasserschwimmen vermindert eine Reihe von kardiovaskulären Risikofaktoren, beispielsweise das Cholesterin und den Blutdruck. Allerdings wurde bei einigen Schwimmern auch erhöhte Blutwerte für Troponin gemessen – was ein Hinweis auf einen Herzmuskelschaden ist.
«Für Menschen mit erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko ist beim Eisbaden grosse Vorsicht geboten», sagt Gadola. Generell rät er allen Personen, sich dem Eisbaden nur schrittweise, mit Vorsicht und in geführten Gruppen anzunähern.
Fazit
«Beim Eisbaden geschehen Dinge mit dem Körper, die durchaus interessant sind», sagt Stephan Gadola. Momentan würde er das Winterschwimmen aber noch nicht als Therapie empfehlen, da für den Umgang noch keine Standards festgelegt wurden: «Je nach Alter, Gesundheitszustand, Körpergrösse und -zusammensetzung, Erfahrung mit Eisbaden, Wassertemperatur, Badedauer und Bewegung im Wasser kann Eisbaden eher gesundheitsfördernde oder -schädigende Einflüsse haben.»
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