Weekend im WallisSo schön kann nur Kälte sein
Eisbaden im Bergsee, Bikini-Wandern im Schnee: Beim Kälteyogakurs im Unterwallis verlässt man die Komfortzone und findet cooles Glück.

Kalt wird es erst, als wir reingehen, die dicken Wollpullover überziehen. Nahe der Heizung einen heissen Tee trinken. Vorher haben wir bei plus vier Grad Celsius draussen gesessen. Auf der Terrasse der Pension La Gouille kurz vor Arolla VS, auf 1800 Meter über Meer, inmitten schneebedeckter Berge. 17 Teilnehmende des «Yoga du froid» , des Kälteyoga-Wochenendes, morgens um sieben, nur mit Badehose und Bikini bekleidet.
Zwanzig Minuten lang sassen wir da, ohne an die Kälte zu denken, die uns umgab. Weit und breit keine Gänsehaut zu entdecken. Vielleicht ist Loris Hofmann schuld, der Yogalehrer aus Epesses VD, dem wir hinauf nach Arolla gefolgt sind.
Die Hitze im Innern entfachen
Er zeigte uns, wie wir atmen sollen: Bauch maximal einziehen beim Ausatmen, Bauch nach aussen wölben beim Einatmen: Pranayama – die Kraft der Yoga-Atmung, die mehr ist als eine reine Atemtechnik. Vielleicht lenkt sie uns ab, vielleicht entfacht sie aber auch die Hitze in unserem Inneren. Egal wie – es funktioniert!
Sich der Kälte auszusetzen, mobilisiert das Immunsystem und es ist das beste Training für die Gefässe: Bei Kälte ziehen die sich nämlich zusammen, bei anschliessender Wärme weiten sie sich wieder. Minusgrade reduzieren Entzündungen im Körper, sie lassen Fett schmelzen, sie pushen das Herz-Kreislaufsystem, sie machen sogar euphorisch. Loris hat das alles am Abend zuvor erklärt, als wir – neun Frauen und acht Männer zwischen Mitte 20 und Anfang 70 – um den grossen Holztisch in der alten Poststation von Arolla sitzen, die das junge Paar Margot und Jonathan in die schlichte, aber urgemütliche Pension La Gouille verwandelt hat. Es gibt zum Nachtessen Trockenfleisch, Käse und Brot und dazu Rotwein.
Mit dem Eintauchen in die Kälte am nächsten Morgen beginnt der Ernst. Doch später am Tag wird es eigentlich ganz lustig. Denn als wir von der Terrassen-Sitz-und-Atem-Aktion zurück ins Haus kommen und uns über das Frühstück hermachen, hat nur der erste Teil des Kälte-Experiments begonnen, das uns aus der Komfortzone locken und an unser Limit und darüber hinaus bringen soll.

Beim einstündigen Aufstieg zur Bergspitze später am Vormittag – wieder nur spärlich bekleidet – begegnen uns immer wieder ungläubig dreinschauende Winterwanderer und Skifahrer. Manche bleiben stehen. «Ist das nicht kalt?» fragen sie neugierig, als sie uns in Bikini und Badeshorts entdecken. Ist es aber nicht. Eher ein grosser Spass, den knirschenden Schnee unter den spikesbewehrten Wanderschuhen zu hören und die Sonnenstrahlen auf der geröteten, nackten Haut zu spüren.
Schnell wird der Aufstieg so normal, als trüge man die übliche Winterausrüstung. Es wird geplaudert, an steilen Stellen, geschnauft, ein Mann trägt einer der Frauen freundlicherweise das Gepäck. Im Rucksack drin stecken: warme Unterwäsche, Fleecepulli, Schneehose und eine Thermoskanne mit heissem Tee. Der Lac Bleu ist das Ziel: Ein zugefrorener Bergsee, umgeben von zentimeterdickem Schnee. Eine kleine Stelle hat die Sonne vom Eis befreit. Sie wird zum Einstieg in diese natürliche Kältekammer. Schnell sind die Wander- gegen Neoprenschuhe getauscht, die Hände mit Neoprenhandschuhen gewappnet. Und dann geht es hinein. Zügig und ohne Zaudern, einer nach der anderen, bis zum Hals.
Wie ein Messerstich zwischen den Schulterblättern
Beim Eintauchen ins zwei Grad kalte Wasser wird klar: «So fühlt es sich an, wenn jemand Dir ein Messer zwischen die Schulterblätter rammt», sagt Martine, aus Fribourg. Die Kälte schneidet wie eine scharfe Klinge ins Fleisch. Aber statt eines Schreis sind Jauchzer zu hören. «Irgendwie schon ziemlich cool, wenn man es schafft, mitten im Winter in einen zugefrorenen See auf 2000 Meter Höhe zu springen», freut sich Anne-Marie, eine ältere Dame aus Lausanne, und hüpft aus dem Wasser wie ein Kind, das eine Mutprobe bestanden hat.
Einige brechen ein Stück der Eisoberfläche des Sees ab und halten es wie zum Beweis in die Höhe. Nach maximal drei Minuten steigen die meisten rosig aus dem Kältebad und lassen sich die Sonne auf den Körper scheinen. Loris hat sich die Szene angeschaut und blickt verschmitzt unter seiner Wollmütze hervor:
«C’est cool, n’est-ce pas?»

Eingehüllt von den warmen Sachen im Rucksack und aufgewärmt durch den heissen Tee, rutscht der eine oder die andere beim Abstieg lachend im Schnee aus. Der liegt nicht so hoch wie früher, fällt Loris auf. Kein Wunder angesichts des Klimawandels. Wir haben uns überwunden, die Komfortzone zu verlassen und uns getraut, der Kälte die Stirn zu bieten. Das macht stolz und stark.
Beim Mittagessen fällt so mancher Brothappen ins Fondue, der Manager stösst mit reichlich Wein mit der Buchhändlerin auf das gelungene Kälteexperiment an. Alice gesteht: «Ehrlich gesagt hatte ich doch etwas Respekt vor dem Eiswasser! Aber ich war überrascht: Es war doch nicht so kalt, wie ich gedacht habe. Und danach fühlt man sich so lebendig!» Und Anne-Marie verrät: «Ich hatte das Kältebaden vorher schon im Genfersee geübt.»
Am nächsten Morgen um sieben Uhr rollen wieder 17 Männer und Frauen ihre Yogamatten auf der eiskalten Terrasse der Pension aus. Es geht von vorne los. Und niemand fehlt.
Die Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus.
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